© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/01 06. Juli 2001

 
Pankraz,
Julius Cäsar und das verstimmte Piano

Zeitunglesen wird für Gläubige immer verdrießlicher, zumindest in Amerika, wo sich die Neurologen jetzt prononciert (und nicht geizend mit populären öffentlichen Erklärungen) der Erforschung von Gehirnregionen zuwenden, die "das religiöse Gefühl produzieren". "Ist der liebe Gott eine chemische Reaktion?" lauten nun also die Schlagzeilen oder: "Werden wir im Gottesdienst alle zu Epileptikern?" Dergleichen tut vielen Presbytern weh.

Ein Professor hat die Gehirnströme meditierender Tibetmönche gemessen und dabei festgestellt, daß bei denen die Aktivität jener Regionen, die uns eine Orientierung im dreidimensionalen Raum ermöglichen, rapide nachläßt. Ein anderer setzte seinen Probanden elektroleitende Motorradhelme auf, in die er magnetische Impulse hineinschickte, worauf die Probanden das Gefühl bekamen, daß unmittelbar hinter ihnen ein Geist stehe. Wieder ein anderer fütterte die Probanden mit halluzinogenen Drogen, was zu der Vorstellung führte, "mit dem Universum eins zu sein".

Aber ist das wirklich so revolutionär, wie es sich ausgibt? Was an solchen Experimenten auffällt, ist doch vielmehr ihre Nähe zu traditionellen religiösen Exerzitien, wie sie bei den Völkern schon vor vielen Jahrtausenden üblich waren und weiter sind.

Die zeittötenden Tänze der Leopardenmänner und Derwische, die Atemübungen der Yoga-Weisen, das Pilz- und Betelkauen indianischer Schamanen und Medizinmänner – all das läuft ja immer auf dasselbe hinaus: auf die Ausschaltung gewisser, uns von der Natur mitgegebener Gehirnfunktionen bzw. auf ihre Benutzung für ursprünglich nicht vorgesehene Zwecke, auf ihre Umfunktionierung.

Das religiöse Gefühl ist von der Natur dem Überlebensinstrument "Gehirn" keineswegs von Anfang an beigegeben, es wird fürs körperliche und momentane Überleben nicht unbedingt gebraucht. Wer auf geistige Dauer, auf Transzendenz und Weltsinn aus ist, wer deren "Wahrheit" erfahren will, muß die natürlichen Gehirnfunktionen wenigstens zeitweise und partiell außer Gefecht setzen. Und genau das hat die Menschheit getan, das Risiko nicht scheuend, das damit verbunden war.

Riskant war die Sache deshalb, weil kein Lebewesen auf Dauer erfolgreich gegen seinen eigenen Körper agieren kann. Die ungeheure Plastizität des menschlichen Gehirns erlaubt zwar vieles, doch Überstrapazierung beim Umfunktionieren rächt sich, führt zu Ausfällen und Deformationen, die lebensuntüchtig machen und letztlich tödlich sind. Trotzdem hat es der frühe Mensch mit seinen priesterlich-mystischen Praktiken gewagt, religiös zu werden. Aber blieb ihm denn etwas anderes übrig?

Er reagierte spontan auf ein organisches Bedürfnis, wie jedes Lebewesen auf Bedürfnisse reagiert, er hatte ein religiöses Bedürfnis, und deshalb entwickelte er Gefühlstechniken, die dieses Bedürfnis stillten, auch wenn er dadurch beim Überlebenskampf Nachteile hinnehmen mußte. Doch wie entsteht ein religiöses Bedürfnis? Welche "natürliche" Konstellation gibt es einem ein?

Es gibt einen Asterix & Obelix-Comic, wo Cäsar einen Triumphzug abhält, bei dem ihm ein Sklave einen Lorbeerkranz über den Kopf halten muß. Im Verlauf irgendeiner Intrige hat Asterix jedoch dafür gesorgt, daß der Kranz, den der Sklave hält, nicht aus Lorbeer, sondern aus duftendem Basilikum geflochten wurde, und Cäsar fragt sich, während er in stolzer Haltung die jubelnden Römer grüßt, verwundert per Gedankenblase: "Wieso hab’ ich jetzt plötzlich Appetit auf Schwarzwurzeln mit Vinegrettesoße?"

Cäsars Appetit, sein Bedürfnis, wird von außen angeregt, aber es liegt wiederum auch tief in seinem Inneren, der Appetit ist eine Wiedererinnerung, eine Anamnesis. Mag sein, es ist richtig, was die amerikanischen Neurologen sagen, und das religiöse Gefühl wird vom Gehirn selbst hervorgebracht, und zwar unter außergewöhnlichen, abnormen Bedingungen. Dann ist aber immer noch nicht erklärt, was es mit der äußeren Seite der Wiedererinnerung auf sich hat, was das Ziel der Erinnerung ist und wer dieses Ziel eingepflanzt hat.

Unser Gehirn (hat schon Karl Popper gesagt und hat in der jetzigen Diskussion Daniel Batson von der Universität Kansas wiederholt) ist nicht selbst Erinnerung, Gefühl, Gedanke, sondern es transportiert diese Phänomene, verschafft ihren "Wellen" die notwendige korpuskulare Unterlage. Es ist wie ein Piano, man kann mit ihm Musik machen, aber deshalb ist das Piano selbst nicht Musik.

Ein verstimmtes, seiner ursprünglichen Töne beraubtes Piano taugt nicht einmal mehr zum Erzeugen von Musik. Der Verdacht liegt durchaus nahe, daß das religiöse Gefühl, das durch "Verstimmen" (Derwischtänze, Yoga, Drogen) entsteht, keine auch nur annähernde Entsprechung der äußeren Wahrheit liefert, auf die es sich bezieht. Deshalb muß dieses Gefühl erzogen, mit Vernunftkategorien untermauert, mit verläßlichen Riten umflankt, mit Behutsamkeit ausgekostet werden. Die pure Mystik, die pure "Vereinigung mit dem Universum", führt ins Nichts; alle Kleriker welcher Religion auch immer haben das gewußt und davor gewarnt.

Freilich, wenn einige Neurologen daraus schließen, daß man das religiöse Gefühl, weil es eine Entartung des Gehirns sei und zu nichts als Religionskriegen, Fanatismus und Intoleranz führe, bekämpfen, am besten auf chemotherapeutischem Wege ausschalten müsse, so schütten sie das Kind mit dem Bade aus. Außerdem verfallen sie der typischen Hybris vieler Naturforscher, man könne durch (genetische oder sonstwie geartete) Manipulationen am Körper auch den Geist manipulieren, mit dem Piano allein also doch irgendwie Musik machen.

Keine Rechnung geht weniger auf. Es sind zu viele Unbekannte darin und eine nur allzu Bekannte, die besagt, daß kein Baum je in den Himmel wächst.


 
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