© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/01 06. Juli 2001

 
Dem Weltgeist ein Zuhause
Die Sanierung der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Berlin-Mitte ist abgeschlossen
Wolfgang Saur

Die Berliner Museumsinsel in ihrer städtebaulichen Gestalt und kulturellen Bedeutung stellt ein einzigartiges Denkmalensemble im europäischen Kontext dar. Hundert Jahre liegen zwischen der Eröffnung von Schinkels Altem Museum (1830) und der des Pergamonmuseums (1930). In dieser Zeit entstand durch die ständig wachsenden preußischen Sammlungen und ihre museologische Präsentation die anschauliche Abbreviatur einer Idee des universalen Wissens, "ein geistiges Weltgebäude, das in Mannigfaltigkeit und Einheit ohne Gleiches in Deutschland und von höchstem Wert, eine Kulturschöpfung ersten Ranges" war, so Ludwig Justi, von 1909 bis zu seiner Entlassung 1933 Direktor der Nationalgalerie.

Es gelang mit dem Bau vier weiterer Museen nach Schinkel tatsächlich, das idealistische Programm Friedrich Wilhelms IV. zu realisieren, der schon 1841 angeordnet hatte, die "ganze Spreeinsel ... zu einer Freistätte für Kunst und Wissenschaft umzuschaffen". Wie es die Inschrift am Alten Museum verkündet hatte, wurde es so die gelehrte Mission der Berliner Museen, "das enzyklopädische Studium des Weltkulturerbes" voranzutreiben. Was Wunder, daß diese atemberaubende "Architekturcollage" als polyphone Totalfigur nun selbst Eingang gefunden hat in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO (Dezember 1999).

Im gleichen Jahr hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den "Masterplan" für die Museumsinsel verabschiedet (4. Juni), der ein gestuftes und auf zehn Jahre ausgelegtes Sanierungskonzept vorsieht und sich auf ein Kostenvolumen von circa zwei Milliarden Mark belaufen wird.

Dieser Plan wird im wesentlichen durch vier Motive gesteuert: 1) Die bis in die Gegenwart reichenden Kriegsschäden müssen beseitigt werden. Dies ist besonders eklatant im Fall der Ruine des Neuen Museums, dessen Aufbau und zukünftige Bedeutung für die Insel einen großen Teil der Architekturdiskussion der letzten Jahre auf sich gezogen hat. 2) Aufgrund von Nachkriegsversäumnissen müssen sämtliche Gebäude generalüberholt werden von den Fundamenten bis zum Dach. 3) Es gilt, die zeitüblichen technischen Standards überall zu installieren und 4) den denkmalpflegerischen Schutz zu ergänzen durch eine konzeptionelle Angleichung der Stätte an moderne museumspädagogische und -didaktische Leitideen.

Diesem Ziel wird die Errichtung eines neuen Eingangsgebäudes für die Besucher und der "Museumshöfe" für die Verwaltung am Kupfergraben dienen, besonders jedoch der Einbau einer "Archäologischen Promenade" auf der "Ebene 0", welche die Insel vom Alten Museum bis in die Spitze zum Bode-Museum durchziehen wird und – ebenso philosophisch wie praktisch – eine neuartige Zusammenschau und imaginäre Rekombination der Altertümer ermöglichen soll. Eine bisweilen angestimmte Zukunftsmusik phantasiert darüber hinaus die Rückführung der Gemäldegalerie (wiedervereinigt seit 1998 am Kulturforum), ja selbst die Umsiedelung der außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem an den Schloßplatz (Masterpläne 2 und 3). Der erste Abschnitt des Masterplans ist eben jetzt erfüllt, indem Totalsanierung und Umbau der alten Nationalgalerie in diesen Tagen abgeschlossen und der Öffentlichkeit zur Besichtigung übergeben wurden.

Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, betonte anläßlich der Eröffnung die Verpflichutng des Bundes, die Museumsinsel der neuen Hauptstadt als nationales Kulturerbe ins Zentrum seiner Interessen zu rücken. Die Stiftung würde eine völlige Übernahme der Baukosten durch den Bund begrüßen.

Schuster hat in origineller Weise die Geschichte der Museumsinsel mit der Metamorphose von Bildungsidee und musealer Ästhetik synchronisiert und dabei jedem Bau als "Solitär" eine symbolische Grundidee zugeordnet. Vollzieht zunächst der Einzelne seine humanistische Kunstandacht in der dem Pantheon angelehnten Schinkelschen Rotunde (1830), propagieren die ikonographischen Programme in Stülers Neuem Museum (1843–59) einen Bildungstempel für die Wissenschaften. Das ästhetische Raffinement in Bodes Renaissancemuseum (1904) erlaubte dem Besucher ein Gestalterlebnis epochenspezifischer Ensembles, und das Pergamonmuseum (1912–30) veranschaulichte mit seiner Monumentalität die heroische Tragödie des Nietzscheschen Übermenschen. Am Ideal der Nation orientiert sich schließlich die von Stüler entworfene und von Strack 1866–76 errichtete Nationalgalerie, die noch vor der staatlichen Einigung die deutsche Idee als Kulturnation sinnfällig verkörpern sollte.

Architektonisch führt der Bau die klassizistische Linie weiter und inszeniert das Museum wirkungsvoll auf einem mächtigen Sockel als hochgelegenen Musentempel, zu dem pathetisch eine gewaltige Freitreppe emporführt. Gillys Entwürfe zu einem monumentalen Grabmal Friedrichs des Großen und Klenzes Walhalla bei Regensburg hatten hier modellhaft Pate gestanden. Gleich der Akropolis wirkt die Nationalgalerie in ihrer räumlichen Erhabenheit und feierlichen Einfriedung durch die Säulengänge dem Alltagsgeschehen entrückt wie eine "ästhetische Kirche" in ihrem "heiligen Hain".

Als vaterländische Sammlung galt ihre Bestimmung zunächst der zeitgenössischen Kunst und stellte vor allem Peter Cornelius (1783–1867) als idealistisch-christlichen Künstler in den Mittelpunkt: den "deutschen Raffael". Ankäufe zeitgenössischer Historienbilder tendierten dann zu einem vordergründigen Patriotismus, dem die Direktoren Max Jordan (1874–1896), Hugo von Tschudi (1896–1909) und Ludwig Justi gegenzusteuern suchten. Tschudi machte sich stark für die damals moderne Kunst des Impressionismus und erweiterte die Nationalgalerie konzeptionell zu einer internationalen Kollektion. Mit der "Deutschen Jahrhundertausstellung" 1906 entwickelte er erstmals einen zwingenden stilgeschichtlichen Begriff von der Entwicklung deutscher Malerei zwischen 1775 und 1875. Diese große Retrospektive führte zur Wiederentdeckung der deutschen Romantik, vor allem des genialen Caspar David Friedrich, dessen Meisterwerke wie "Abtei im Eichwald" (1809/10) und "Mondaufgang am Meer" (1822) zu den Kostbarkeiten der Nationalgalerie zählen.

Während heute die neue Nationalgalerie Mies van der Rohes am Kulturforum die klassische Moderne des 20. Jahrhunderts präsentiert, bleibt das alte Haus in Mitte weiterhin dem 19. Jahrhundert vorbehalten und versammelt Schätze seit der Romantik: so Leibl und Menzel, impressionistische Klassiker wie Monet oder Renoir, Deutsch-Römer und Symbolisten, so Feuerbach und Böcklin, bis hin zu Sezessionisten wie Stuck und Corinth. Diese werden ab 2. Dezember wieder zu sehen sein; der aktuelle Termin hingegen bezeichnet den Bauabschluß und gilt einer Würdigung der Architektur.

Diese beansprucht selbst den Status eines monumentalen "Exponats" und weist dem "archäologischen Blick" eine vierfache Schichtenbildung auf. Es handelt sich um die Stracksche Urfassung (1866–76), die Umbauten von Justi (1911–13) und von Hanfstaengl (1935–36), schließlich die Kriegszerstörung und den Wiederaufbau (1948–55). Diese bleiben auch der jetzigen Restaurierungsleistung eingeschrieben als integrale Bestandteile eines sorgfältig zu lesenden "Textes". Als Leitgedanken der dreijährigen Sanierung, die Zeit- und Kostenrahmen einzuhalten vermochte (Gesamtaufwand 133,5 Millionen Mark), durch das Architekturbüro HG Merz, Stuttgart/Berlin, formulierten die Verantwortlichen "die Konservierung der noch vorhandenen historischen Substanz und deren behutsame Ergänzung durch eine neue zeitgemäße ’Schicht‘".

Mit großem Respekt vor der historischen Bauleistung vermittelt die Neugestaltung zwischen zurückliegenden Perioden und heutigen Anforderungen. Fast unsichtbar wurde der Einbau einer neuen Museumstechnik hinter Wände gelegt und im Keller- und Dachgeschoß konzentriert. Gerade der Dachstuhl kann als Meisterleistung der geglückten Gemeinschaftsarbeit von Technikern und Denkmalpflegern gelten, kam es doch darauf an, die alte Borsigsche Eisenkonstruktion zu erhalten. Konservatorischen und Sicherungsbedingungen folgt der Einschub einer zweiten Fensterfront.

Am nachhaltigsten jedoch wird sich der Einbau zweier Mittelsäle im dritten Geschoß auswirken, die nun die Werke Friedrichs und Gemälde Schinkels aufnehmen können. Sie ergeben sich aus der Nutzung der Lichtschächte der ursprünglich zweigeschossigen Cornelius-Säle. Hier dominiert eine noble, zurückhaltende Monochromie, welche die Meisterwerke, zumal Friedrichs, erst recht zur Geltung bringen wird. Anders die Gestalt der gründerzeitlichen Querhalle und des Kuppelsaals, deren opulente Dekore in ihrer alten Farbenpracht erstrahlen.

So wird zum 125. Geburtstag ihrer Gründung die Nationalgalerie wieder ein attraktives Zentrum deutscher und europäischer Kunst im neuen Berlin sein. 


 
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