© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   29/01 13. Juli 2001


Eine neue Lebenslüge
Deutschland soll endgültig zum Einwanderungsland werden
Michael Wiesberg

Der vergangene Mittwoch dürfte ein schwarzer Tag für die Unionsparteien gewesen sein. Ein sichtlicher gutgelaunter Innenminister Otto Schily (SPD) suchte unentwegt nach Superlativen, um die "Arbeit von historischem Rang" der Süssmuth-Kommission anzupreisen. Diese stellt auftragsgemäß die Weichen genau in jene Richtung, die die rot-grünen Gesellschaftsingenieure seit Jahr und Tag vorgeben: Deutschland soll endlich zum "Einwanderungsland" werden. Die CDU-Politikerin Rita Süssmuth hat sich, aus welchen Gründen auch immer, zur "nützlichen Idiotin" des rot-grünen Regierungslagers machen lassen und die Union unter erheblichen Zugzwang gesetzt. Deren Politiker, wie zum Beispiel der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Bosbach, die berechtigte Kritik an den Ergebnissen des Kommissions-Berichtes äußerten, stehen jetzt als Hinterwäldler dar, die sich der "Modernisierung unserer Gesellschaft" verweigerten. So tönte die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), die Union drohe zum "Standortrisiko" zu werden.

Hinweise auf Ausländerkriminalität, Drogenhandel und organisiertes Verbrechen wurden von Hans-Olaf Henkel im Namen der deutschen Wirtschaft als Rückfall in alte Zeiten vom Tisch gewischt: "Wenn jetzt führende Politiker das Angstfaß aufmachen", so Henkel, "dann wäre das fatal." Was Henkel damit sagen will, ist offensichtlich: Die Wirtschaft will Zuwanderung um jeden Preis, koste es die deutsche Gesellschaft, was es wolle.

Zustimmend zu den Ergebnissen der Süssmuth-Kommission haben sich auch die Kirchen, Gewerkschaften und andere angeblich "gesellschaftlich relevante Gruppen" in Deutschland geäußert. Es dürfte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch die Unionsparteien sich im Namen "deutscher Interessen" den vermeintlichen Erfordernissen der Zeit beugen werden.

Die rot-grüne Regierung ist mit dieser Entwicklung ihrem zentralen ideologischen Ziel, der definitiven Umwandlung Deutschlands in ein Einwanderungsland, sehr nahegekommen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Maximalforderungen nach einer weiteren "Liberalisierung" des Asylrechtes (meint: Ausdehnung des Asylrechtes auf die Opfer "nichtstaatlicher Verfolgung") oder des Familiennachzugsrechtes jetzt oder später durchgesetzt werden können. Entscheidend ist, daß von der rot-grünen Regierung erfolgreich der Eindruck erweckt wurde, es bestehe inzwischen ein "gesamtgesellschaftlicher Konsens" im Hinblick auf die Umwandlung Deutschlands in ein Einwanderungsland.

Daß sich die Union in der Einwanderungsdiskussion so heillos in die Defensive gedrängt sieht, liegt auch daran, daß der linke Flügel der CDU offen oder unter der Hand mit Süssmuth sympathisiert.

Entscheidend ist, daß die Ergebnisse der Süssmuth-Kommission keinerlei Abstriche an der ideologisch motivierten Zuwanderung ("Einwanderung aus humanitären Gründen") nach Deutschland machen. Im Gegenteil. Die Tore sollen noch weiter aufgerissen werden. Es wird auf das Asylrecht verwiesen, das angeblich keine Abstriche erlaube. Die Union hätte, wenn sie jetzt ernstgenommen werden wollte, vorzeitig auf die Umwandlung des derzeitigen Individualanspruchs auf Asyl in eine institutionelle Garantie drängen müssen bzw. diese Umwandlung zur conditio sine qua non für einen möglichen Konsens mit der Regierung erklären müssen. Weiter hat es die Union unterlassen, auf die Auflösung von bilateralen Sozialabkommen mit Nicht-EU-Staaten zu drängen, die in Form eines unregulierten Familiennachzugsrechtes mitverantwortlich für ungewollte Zuwanderung aus Staaten sind, die mit der deutschen Kultur nicht "kompatibel" sind. Gerade aber der unregulierte Zustrom von Zuwanderern aus diesen Staaten stellt das Kernproblem dar. Deutschland hat jetzt schon den höchsten Anteil an Zuwanderern aus Nicht-EU-Staaten, vor allem aus islamischen Staaten. Dieser Zustrom würde, sollten die Ergebnisse der Süssmuth-Kommission verwirklicht werden, weiter zunehmen. Daß sich diese Zuwanderer in großen Teilen nicht integrieren lassen oder nicht integrieren lassen wollen, hat das vergangene Jahrzehnt gezeigt. Inzwischen findet zum Beispiel bei der dritten oder vierten Generation von nach Deutschland eingewanderten Türken eine Reethnisierung statt. Diesen Prozessen ist mit blauäugigem Integrationsgerede nicht beizukommen. Dieses suggeriert, daß Integration vorrangig eine Bringschuld der deutschen Gesellschaft ist, die gefälligst immer mehr Geld aufzubringen hat, um ungewollte Zuwanderer irgendwie "integrationswillig" zu stimmen. Gerade Zuwanderer aus islamischen Staaten betrachten Integration aber zunehmend als Einbahnstraße, die darin ihren Ausdruck findet, daß die deutsche Gesellschaft unentwegt Zugeständnisse zu machen hat. Dies zeigt bereits der Besuch einer beliebigen sozialen Einrichtung in einer deutschen Großstadt, wo Informationshinweise inzwischen mehrsprachig abgefaßt werden müssen. Was dies heißt, liegt auf der Hand: Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten sind bestrebt, in Deutschland ihre eigenen Spielregeln durchzusetzen.

Die ganze bemühte Integrationsrhetorik versucht zu übertünchen, daß die Integration vieler Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten gescheitert ist. Diese Realität nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, gehört zu den Lebenslügen dieser Republik – eine Lebenslüge, die sich zum Sprengsatz entwickeln könnte. Denn bereits jetzt sind in jeder deutschen Großstadt Indizien einer Entwicklung zu erkennen, die der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger als "molekularen Bürgerkrieg" beschrieben hat: "Der Anfang ist unblutig", schreibt Enzensberger, "die Indizien sind harmlos. Der molekulare Bürgerkrieg beginnt unmerklich, ohne allgemeine Mobilmachung. Allmählich mehrt sich der Müll am Straßenrand. Im Park häufen sich Spritzen und zerbrochene Bierflaschen ... In den Schulzimmern werden die Möbel zertrümmert, in den Vorgärten stinkt es nach Scheiße und Urin. Es handelt sich um winzige, stumme Kriegserklärungen, die der erfahrene Städtebewohner zu deuten weiß." Am Ende dieser Entwicklung stehen, so Enzensberger, Räume, die off limits (meint: Ghettos) sind, die nicht mehr ungefährdet betreten werden können. Die ethnisch motivierten Ausschreitungen in England und Frankreich sollten hier eigentlich Lehre genug sein.

Wer diese Entwicklungen als Angstmache oder rückwärtsgewandte Bedenkenträgerei abtut, handelt verantwortungslos gegenüber den Interessen Deutschlands. Tragisch ist es, daß in dieser für die weitere Entwicklung Deutschlands so schicksalhaften Phase konstatiert werden muß, daß das rechtsdemokratische Lager in Deutschland so gut wie wirkungslos ist. Wenn es der ernstzunehmenden demokratischen Rechten in absehbarer Zeit nicht gelingt, sich politisch spürbar zu artikulieren, dann werden Fakten geschaffen sein, die nicht mehr revidierbar sind. Entschlossener Widerstand ist deshalb heute dringender denn je vonnöten.


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