© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
"Ein unberechenbares Volk"
Kroatien: Die geplante Auslieferung zweier Generäle nach Den Haag löste eine ernste Regierungskrise aus
Carl Gustaf Ströhm

Was die kroatische Opposition bisher nicht zustande brachte, schaffte die Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, innerhalb weniger Stunden: Mit ihrem Erscheinen in Zagreb löste sie die bisher schwerste Regierungskrise in Kroatien aus. Die Folgen dieser Destabilisierung sind kaum abzuschätzen. In einem für das Haager Tribunal typischen, wenn auch rechtsstaatlich zweifelhaften Schachzug, hatte del Ponte versucht, nach der Auslieferung des serbischen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic nun das "politische Gleichgewicht" wiederherzustellen. Sie präsentierte in Zagreb die Forderung, zwei prominente kroatische Generäle auszuliefern, die im "vaterländischen Krieg" (1991–95) hohe Kommandofunktionen ausübten und 1995 bei der Rückeroberung der Krajina eine Rolle spielten.

Dem Vernehmen nach soll es sich um General Rahim Ademi und den General im Ruhestand Ante Gotovina handeln. Ademi ist gebürtiger Albaner, der sich im Krieg in kroatische Dienste stellte. Auf die Auslieferungsforderung reagierten vier Minister der sozialliberalen HSLS mit Rücktritt. Der HSLS-Parteivorstand hatte sich mehrheitlich gegen eine Auslieferung ausgesprochen. Aber in sich ist diese Partei, die sich mit den "gewendeten" Ex-Kommunisten und jetzigen Sozialdemokraten unter Premier Ivica Racan in einer Koalition befindet, wiederum gespalten. Vizepremier Goran Granic, Bruder des ehemaligen Tudjman-Außenministers Mate Granic, hat bereits erklärt, er mißbillige den Parteibeschluß und halte die Auslieferung – genauer gesagt: die bedingungslose Zusammenarbeit Kroatiens mit dem Haager Tribunal – für unausweichlich.

Ähnlich äußerte sich Präsident Stipe Mesic und – nach einigem Zögern – Racan. Kroatien würde in eine hoffnungslose Isolierung geraten, wenn es den Haager Direktiven nicht folgen sollte, lautet die offizielle Parole. Demgegenüber lehnt die national gesinnte Opposition – vor allem die HDZ (Kroatische Demokratische Union) als immer noch stärkste Partei jede Auslieferung kroatischer Staatsbürger ab. Faktisch läuft alles darauf hinaus: Generäle gegen Geld. Dazu kommt noch der "Wechselkurs": Wie viele kroatische Angeklagte wiegen einen Milosevic auf? Regierungschef Racan weiß genau: Wenn er der vorherrschenden Volksmeinung folgen und die Auslieferung von Personen ablehnen sollte, die in der Masse des kroatischen Volkes als Helden der Befreiung betrachtet und sogar verehrt werden, öffnet sich zwischen seiner Regierung und der Volksmeinung ein kaum zu überbrückender Abgrund. Das Ende seiner Regierung wäre besiegelt.

Sollte Racan andererseits die Absicht gehabt haben, den Forderungen des Westens – diesmal in Gestalt der Chefanklägerin del Ponte – zu widerstehen, könnte er vielleicht bis in den Herbst finanziell durchhalten: dann wäre der Staat Kroatien zahlungsunfähig. Manches spricht dafür, daß Racan schon aus politisch-pragmatischen Gründen von den Forderungen nach Auslieferung nicht begeistert ist, daß er sich aber unter ungeheurem Druck befindet.

Das traurige Schicksal Racans zeigt, daß ein kleiner Staat wie Kroatien heute von den übermächtigen supranationalen Institutionen jederzeit erpreßt werden kann. Die westliche Standardformel lautet: "Ihr kriegt von uns kein Geld, wenn ihr nicht tut, was wir (der Westen) für richtig halten." Kroatien befindet sich also heute – ebenso wie andere postkommunistische Länder (etwa Mazedonien) – in einer neokolonialistischen Abhängigkeit. Von einer "Souveränität" dieser Staaten kann keine Rede mehr sein.

Der Haager Gerichtshof selber ist ein rechtlich zweifelhaftes Instrument, das offenbar eher der politischen Disziplinierung als einer einwandfreien Rechtsfindung dienen soll. Gegen die Urteile dieses Gerichts gibt es keinerlei Rechtsmittel und keine höhere Instanz. In Kroatien, wo sich eine nicht ungefährliche Empörung zusammenbraut, herrscht der Eindruck, in Den Haag solle der kroatische Verteidigungs- und Befreiungskrieg "demontiert" und in einen "Völkermord" umgemünzt werden, welchen die Kroaten angeblich an der serbischen Minderheit begangen hätten. Dabei wendet man ein Prinzip an, das schon während der Kriegsverbrecherprozesse nach 1945 fragwürdig war: Offiziere werden für alles verantwortlich gemacht, was in ihrem Befehlsbereich geschah – auch wenn sie davon nichts wußten und etwaige Ausschreitungen auch nicht befohlen hatten.

Die Argumentation ist im Grunde einfach: In Den Haag soll bewiesen werden, daß der kroatische Staat, der 1991 unabhängig wurde, durch ein Verbrechen entstanden ist. Die Kroaten sollen somit akzeptieren, daß ihr Staat letztlich verbrecherisch ist – und daß sie sich folglich in eine neue "südslawische", balkanische Gemeinschaft einordnen müssen. Dahinter steht die Absicht, das Entstehen eines mitteleuropäischen Bewußtseins zu verhindern. Im Grunde geht es darum, die Uhr um elf Jahre zurückzudrehen. Heute erinnert man sich, daß sich seinerzeit einflußreiche westliche Kreise gegen einen "Zerfall" Jugoslawiens aussprachen.

Schon kursiert in Zagreb das Gerücht, die westlichen "Protektoratsmächte" seien auch mit der gegenwärtigen kroatischen Regierung unzufrieden. Auch der Ex-Kommunist Racan sei ihnen "zu nationalistisch". Der Versuch allerdings, die Kroaten zu "domestizieren", könnte ungeahnte Folgen haben. "Wir Kroaten sind ein unberechenbares Volk", sagte dieser Tage ein Intellektueller aus Dalmatien. "Mit Geld lassen wir uns nicht so leicht kaufen." Kroatien steht – so oder so – ein heißer Herbst bevor.


 
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