© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
CD: Klassik
Federleicht frisch
Julia Poser

Nicolaus Joseph Fürst Esterházy von Galátha hatte sich am Südende des Neusiedler Sees ein Schloß mit unvorstellbarem Luxus und enormer Prachtentfaltung erbaut: Esterháza. Zehn Millionen Goldgulden kostete den reichen Magnaten der Umbau. "Dies ist der einzige Ort in Europa, wo ich Versailles wiedergefunden habe", sagte der französische Botschafter Prinz Rohan bei einem Besuch. Der Schloßherr liebte es aber auch, mit Lorenzo di Medici "dem Prächtigen" verglichen zu werden. Im Schloß selbst gab es einen imposanten Musiksaal; daneben erhob sich das festliche Opernhaus, in dem es, wenn der Fürst in den Sommermonaten in Esterháza (heute heißt der Ort Fertôd) residierte, tägliche Vorstellungen gab. Zweimal wöchentlich wurde Oper gespielt. Der Festsaal existiert auch heute noch, während das Opernhaus schon im 19. Jahrhundert abgetragen wurde. Jährlich finden hier die Haydn-Festpiele statt, und die Unesco hat die Anlage auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt.

Zur Einweihung des Schlosses empfing Fürst Nicolaus im September 1768 den gesamten österreichischen und ungarischen Adel. Sein Kapellmeister Joseph Haydn hatte für die illustren Gäste eine Opera buffa nach einem Lustspiel von Carlo Goldini komponiert: "Lo Speziale" – Der Apotheker.

Federleichte und reizvolle Frische zeichnet diese amüsante Verwechslungskomödie aus. Zwar übernimmt Haydn die bewährten Figuren der Commedia dell’Arte, doch gibt er den vier Personen der kleinen Oper musikalisches Profil und feine Charaterisierung. Da geht es um den alten heiratslustigen Apotheker, um sein hübsches, junges und vor allem auch reiches Mündel sowie um ihre beiden Verehrer. Für die kecke Guiletta hat Haydn eine bezaubernde Spottarie komponiert, die in hüpfendem Presto den von ihr abgewiesenen Volpino besingt. Die Finali der drei Akte sind von buffoneskem Charakter, wobei sie schon Mozarts Aktschlüsse ahnen lassen. Daß Haydn für die Partie des Valpino einen Sopran und keine Männerstimme genommen hat, ist eine feine Ironie auf das Kastratenwesen. In der türkischen "Salamenica"-Arie des verkleideten Verehrer Volpino klingt sogar die damals beliebte Türkenmode an.

Obwohl Haydn durch seine Stellung als Kapellmeister in Esterháza und Eisenstadt fast völlig vom damaligen Wiener Musikgeschehen abgeschnitten war, zeigt sich in "Der Apotheker" der Einfluß des Wiener Singspiels mitvolkstümlichen Melodien, die heute noch durch ihre tonmalerischen Effekte begeistern.

Die CD-Firma Berlin Classics hat dieses bisher verkannte Werk auf nur einer CD herausgebracht. Die Deutsche Kammerakademie Neuss am Rhein dirigiert Johannes Goritzki mit viel Temperament und großer Spielfreude. Der Tenor Giuseppe Morino gibt den wichtigtuerischen, aber am Ende geprellten Apotheker Sempronio in bester Buffo-Manier. Griletta, sein Mündel, wird von Barbara Mészáros mit neckischem Sopran gesungen, doch kann sie auch gefühlvolle Töne zeigen. Ihren Auserwählten Mengone, der nur ihr zuliebe den Apothekergehilfen spielt, bringt der junge Hauke Möller mit kraftvollem Tenor. Köstlich eine wütende Arie zu Beginn, in der er sich über das ständige Pillendrehen beklagt: "pista, pista!" In der Hosenrolle des eitlen Volpino gefällt besonders der schöntimbrierte Sopran von Alison Browner. Mit dieser Aufnahme beschert uns Haydn ein überaus reizvolles, sommerliches Vergnügen. Für die vielen Festivals, die in Deutschland überall aus den Boden sprießen, wäre "Der Apotheker" eine charmante Neuheit, deren Aufführung sich lohnen würde. Wie übrigens auch die vielen anderen unbekannten Opern Haydns aus seiner Zeit als Kapellmeister in der Sommerresidenz Schloß Esterháza oder im Winterquartier Kismarton, dem heutigen Eisenstadt im Burgenland.


 
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