© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
Österreich: Die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Privat-Konkurrenz
Der ORF soll kein "Rotfunk" bleiben
Carl Gustaf Ströhm

Wer anderthalb Jahre nach der Bildung der ÖVP-FPÖ-Koalition in Österreich dortigen Funk oder Fernsehen einschaltet, stößt immer noch auf eine "linke", teils einseitige, teils boshafte Berichterstattung und Kommentierung. Besonders beliebtes Angriffsziel ist im öffentlich-rechtlichen ORF Jörg Haider. Es vergeht kaum ein Tag, da er nicht als Buhmann Nation präsentiert wird, und zwar gerade in scheinbar "harmlosen" Kulturprogrammen.

Hier eine kleine Auswahl: Anläßlich des Todes des bekannten ORF-Moderators Robert Hochner wurde ein Zusammenschnitt der Tätigkeit des Verstorbenen vor der Kamera gebracht, und noch der Tote mußte dazu herhalten, Haider einen Eselstritt zu versetzen, indem er – völlig aus jedem Zusammenhang gerissen – mit dem Satz zitiert wurde, Haider könne "doch nicht annehmen, daß die Zuhörer ihm Glauben" schenkten.

Bei der Präsentation eines Kulturfestivals in Oberösterreich unter dem Titel "Raus aus der Gemütlichkeit" hörte man im TV-Programm den Sprechchor: "Raus aus dieser Koalition" (gemeint waren natürlich ÖVP/FPÖ), obwohl dies nun wirklich keine politische Sendung war. In einem Kulturbeitrag von ORF 2 wurde der Kärntner Maler Valentin Oman zitiert, der erklärte, er stelle in Kärnten seine Bilder aus Protest gegen Haider nicht mehr aus. Solche und ähnliche Fälle ließen sich beliebig aufzählen. Der öffentlich-rechtliche ORF läßt keinen Zweifel, daß er die "bürgerliche" Koalition von Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) für ein Feindbild hält.

Nun hat die vielgeschmähte Wiener Koalition, von der böse Zungen behaupten, sie sei zwar an der Regierung, aber nicht an der Macht, eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens durchgesetzt: Der Nationalrat hat am 5. Juli mit den Stimmen der regierenden ÖVP und FPÖ das neue ORF-Gesetz verabschiedet. Auch das Privatfernseh-Gesetz wurde beschlossen, wobei der grüne Abgeordnete Peter Pilz als einziger Angehöriger der Opposition dafür stimmte, weil er "privates Fernsehen und Konkurrenz für den ORF" für wichtig halte. Auch "weitere Beschäftigungsmöglichkeiten für Fernseh-Journalisten in Österreich" seien wünschenswert. Keine Zweidrittelmehrheit fand sich für die von der Regierung angestrebte verfassungsmäßige Verankerung der künftigen ORF-Stiftung. Dadurch sollte der bisher überbordende Einfluß politischer Parteien – vor allem der SPÖ – dramatisch eingedämmt werden. In Zukunft werden aber zumindest aktive Politiker und Parteifunktionäre nicht mehr den Gremien des ORF angehören dürfen. Bisher gab es zwischen dem "Rotfunk" ORF und der SPÖ-Parteizentrale enge personelle Bindungen – man wechselte vom Parteisekretariat ins ORF-Sekretariat. Gleichzeitig übten die Landeshauptleute (Länder-Ministerpräsidenten) auf ihre Landesstudios einen in jeder Hinsicht "überwältigenden" Einfluß aus. Die Sozialdemokraten fahren daher schweres Geschütz auf: "Das neue ORF-Gesetz ist ein weiterer Ausdruck für eine Regierungspolitik der Einschüchterung, Verfolgung und Diffamierung", erklärte SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl. Deswegen habe die SPÖ die Initiative "SOS Demokratie" ins Leben gerufen, "von der die Regierung noch viel hören wird". "Denn", so Kuntzl, "wir fühlen uns verpflichtet, gegen diese Politik anzukämpfen".

Der Versuch der schwarz-blauen Koalition, den ORF in gewisser Weise zu "entmonopolisieren" und ihn gleichzeitig stärker an seine öffentlich-rechtliche Aufgabe zu binden (ORF 1 unterscheidet sich mit dem Big Brother-Pedants à la Taxi Orange kaum von RTL & Co.), hat schon im Vorfeld zu wütendem Widerstand geführt. Ein von der Regierung zur Beratung eingesetzter "Weisenrat" unter ORF-Altintendant Gerd Bacher schlug deshalb vor, daß der ORF im Hauptabendprogramm Anspruchsvolles "jedenfalls zur Wahl" stellen sollte – worauf Protest seitens des ORF ausbrach: Ein Qualitätsprogramm kostet Quote und eine sinkende Quote kostet Werbegelder. Zwischenzeitlich war von mehr als zwei Milliarden Schilling (285 Millionen Mark) Verlust pro Jahr für den ORF die Rede. Zwischen dem ORF-Generalintendanten Gerhard Weis und FPÖ-Klubobmann im Parlament, Peter Westenthaler, ist kürzlich auch eine Verbalschlacht entbrannt, bei welcher der FPÖ-Politiker den ORF-Chef bezichtigt, rechtswidrige Absprachen mit privaten Medien (Zeitungen) über die Aufteilung des Anzeigen- und Werbegeschäfts getroffen zu haben. Selbst die liberale Neue Zürcher Zeitung spricht von einer Politisierung des ORF und von "unverhohlenen Interventionen" der Politiker. Einer der krassesten Fälle wurde noch zur Zeit des "roten" Kanzlers Franz Vranitzky bekannt: Auf Betreiben des SPÖ-Chefs wurde ein Journalist, der durch seine kritischen Fragen unangenehm aufgefallen war, aus einer Diskussionsrunde mit dem Kanzler auf dessen Veranlassung wieder ausgeladen.

Interessant ist allerdings, daß seltsame finanzielle Interessengemeinschaften über "ideologische" Grenzen entstehen. So entpuppt sich die sonst keineswegs linke Neue Kronen Zeitung unter ihrem Verleger Hand Dichand als eifrigste Vorkämpferin für das bisherige System, welches der inzwischen im Zorn aus der Krone ausgeschiedene Kolumnist "Staberl" (Richard Nimmerrichter) unverblümt als "Rotfunk" zu bezeichnen pflegte. Es heißt, der schwerreiche Dichand sei gegen die jetzige Regierung, weil sie ihn den Zutritt zum Privatfernsehen verwehre. So macht sich die Krone für die Wiener SPÖ und den "roten" Bürgermeister Michael Häupl stark, während sie an ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel kein gutes Haar läßt.

Hinter dem Kampf um den ORF und um die Einführung eines privaten Fernsehens – Österreich ist eines der letzten Länder Europas, in dem bisher privates terrestrisches Fernsehen nicht gestattet war – wird die ganze Problematik der Wiener Medienszene sichtbar. Die auflagestarken Zeitungen wie Krone und Kurier sind in der Mediaprint zusammengefaßt, welche zur Hälfte der westdeutschen WAZ-Gruppe gehört. Die Nachrichtenmagazine Format, Profil und News hängen mit der deutschen Bertelsmanngruppe zusammen. Die einzige rein österreichische Medienunternehmung ist die Styria, welche inzwischen die Wiener Presse besitzt – aber auch dieses Haus ist eher links (-katholisch) geprägt und der neuen Koalition nicht gut gesonnen.

ÖVP und FPÖ sehen sich in gewisser Hilflosigkeit einer nicht freundlichen Medienlandschaft gegenüber. Ob der Versuch, von der Spitze her – über die Besetzung der oberen Positionen und der Aufsichtsgremien – Änderung zu erzielen, Erfolg haben kann, ist eine offene Frage. Solange vor den Mikrophonen sowie vor und hinter den Kameras "Seilschaften" tätig sind, die um keinen Preis eine bürgerliche, nichtsozialistische Regierung wollen und solange die Koalitionsparteien die Medienfrage statisch-hierarisch betrachten (ein Erbübel aller bürgerlichen Parteien), kurzum: solange im Programm selber kein Gleichgewicht hergestellt ist, könnten selbst die schönsten Reformen ins Leere stoßen.


 
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