© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
Organschonende Hinrichtungen
China: Kritik wegen Organentnahme bei Exekutierten / Chinesischer Arzt hat ausgesagt
Rita Baldegger

Im Film Hong Gaoliang (Red Sorghum) von Zhang Yimou muß ein Bauer auf Befehl der japanischen Besatzer einem Untergrund-Kommunisten bei lebendigem Leibe die Haut abziehen. Nachher sitzt der Häuter wider Willen mit Wahnsinn im Blick im Sorghum-Feld.

Mit den gleichen Gewissensbissen kämpft heute ein chinesischer Arzt, der Ende Juni vor einem Menschenrechtsunterausschuß des amerikanischen Repräsentantenhauses als Zeuge aufgetreten ist. "Meine Arbeit beinhaltete das Entfernen von Haut und Hornhäuten bei über hundert exekutierten Gefangenen", sagte Wang Guoqi, ein Verbrennungsspezialist, der China vor einem Jahr verließ und seither in den USA lebt. Manchmal sei bei den Hinrichtungen absichtlich gepfuscht worden, und so mußte Wang im Oktober 1995 einem noch lebenden Gefangenen am Exekutionsort die Haut abziehen. Vorher waren dem Opfer, das während der ganzen Prozedur noch atmete, die Nieren entfernt worden. Er, Wang, bereue diese Tat zutiefst.

Die Aussage des Arztes, die von der chinesischen Regierung bestritten wurde, untermauert Meldungen, wonach Exekutierte in China als unfreiwillige Organlieferanten mißbraucht werden. Vor der Hinrichtung werden den Gefangenen Blutproben entnommen und auf ihre Verträglichkeit mit Organempfängern überprüft. Am Hinrichtungstag würden zuerst jene sterben, deren Organe zur Verpflanzung vorgesehen seien. Die in China übliche Methode der Hinrichtung, ein Genickschuss, läßt Herz, Leber, Lungen und Nieren unversehrt.

Der Dissident Harry Wu schreibt in einem kürzlich veröffentlichten Bericht, daß manche Gefangene mit einem Herzschuß hingerichtet werden, wenn Zähne oder Hornhäute benötigt werden. Der Bericht, der sich auf die Aussagen von Beamten, Ärzten und Angehörigen stützt, kommt zum Schluß, daß die Organentnahme bei Exekutierten weit verbreitet ist. Diese geschieht in Ambulanzfahrzeugen am Hinrichtungsort oder im Krankenhaus. Bei einem Fall sei der Verurteilte direkt im Krankenhaus erschossen worden, wo der Organempfänger schon auf das Herz wartete.

Gemäß Wu stehen hohe Regierungs- und Militärbeamte zuoberst auf der Warteliste, gefolgt von vermögenden Auslandschinesen und Ausländern, dann von Angehörigen des Militärs und zu guter Letzt von Normalbürgern. Harry Wu behauptet, daß ausländische Patienten bis zu 15.000 US-Dollar pro Organ an die Krankenhäuser bezahlen. Da die Krankenhäuser auf einen reibungslosen Organtransfer vom Exekutierten zum Patienten angewiesen sind, dürften auch die Justiz- und Gesundheitsbehörden nicht leer ausgehen. Wie viele ausländische Patienten als Transplantationstouristen nach China reisen, ist kaum zu ermitteln. Die amerikanische International Herald Tribune berichtete im letzten Jahr, daß über 1.000 Malaysier in China eine Spenderniere empfangen hätten. Die Organreisenden nahmen mindestens 10.000 US-Dollar in bar mit und brachten den Ärzten Geschenke, eine Flasche Cognac, Zigaretten oder Parfum für die Frau.

Die Ärzte hätten gegenüber den Patienten keinen Hehl daraus gemacht, daß die Organe von Hingerichteten stammten. Ein Patient sah am Vorabend der Exekution – und der angesetzten Organverpflanzung – die Verurteilten im Fernsehen und wußte, daß einer von ihnen sein Nierenspender sein würde. Im Jahr 2000 wurden laut Amnesty International mindestens 1.000 Hinrichtungen vollzogen. Das chinesische Justizsystem sorgt dafür, daß der Nachschub nicht ausbleibt.


 
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