© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
Ein orgiastisches Treiben
Am Sonntag enden die Feierlichkeiten zur "Landshuter Hochzeit"
Hagen Schnauss

Nehmen wir das Jahr 1475. Im niederbayerischen Landshut herrscht Geschrei und Gedränge. Die etwa zehntausend Einwohner vereinen sich mit mehr als doppelt sovielen Gästen zu einem orgiastischen Freß- und Saufgelage. An acht Festtagen werden 333 Ochsen und unzählige Schweine verschlungen, dabei 110 Zentner Kerzenwachs verbrannt. Spätgotisch buntes Treiben blüht in rauschenden Tanzfesten, prunkenden Aufzügen und Turnieren in scharfem Gestech. Was geschieht?

Herzog Ludwig der Reiche richtet seinem Sohn Georg die Hochzeit aus. Braut ist die sanfte Hedwig, Tochter des Königs Kasimir IV. von Polen. Sogar Kaiser Friedrich III. ist zu Gast. Diese Hochzeit wurde legendär, vor allem des ungeheuren Aufwandes wegen, mit tagelangen Polterabenden und Volksbelustigungen in höfischem Glanz. Man ließ, nicht nur beim Fressen und Saufen, die Sau raus. 60.766 Gulden soll der Wahnsinn der Überlieferung nach gekostet haben, 25 Millionen Mark nach heutigem Wert. Es herrschte Ausnahmezustand in Saus und Braus.

1903 ließ man das Fest wiederauferstehen. Nun wird es alle vier Jahre in historischer Treue nachgestellt, eine riesige Zeugkammer angelegt, aus der die Landshuter Bürger mit spätgotischen Kostümen eingekleidet werden. Denn nur Landshuter dürfen mitmachen. Derer 2.000 an der Zahl geraten fortan nach einer Olympiade in ein wahres Fieber, dem fast die gesamte Stadt erliegt. Lange Haare sind nun Pflicht bei Männern, also gestatten selbst Banken ihren Angestellten solcherlei Haartracht.

Endlich ist es soweit. Zu Beginn schildert ein Festspiel im Prunksaal des historischen Rathauses die Erwartung und Vorbereitung der Stadt für die Ankunft und Vorbereitung der Braut Hedwig. Beim anschließenden Tanzspiel tritt ein Herold auf, die fürstlichen Gäste ziehen ein und begleiten den Schreittanz des Brautpaares. Darauf spielt die "Landshuter Hofmusik" Instrumentalstücke und Tanzweisen aus der Zeit um 1475.

Höhepunkt der Woche ist stets der sonntägliche Hochzeitszug vor dem geeigneten Schauplatz der Altstadt. Das Hochzeitspaar, begleitet vom Kaiser, Herzog und Fürsten ist zu bestaunen, ebenso wie polnischer Adel, Zünfte und Räte der Stadt, Geistlichkeit, Ritter zu Pferde, Fahnenschwinger, Armbrustschützen, Trommler und Stadtknechte. Dahinter tummeln sich, alle ununterbrochen den Schlachtruf "Hallooo" rufend und brüllend, Gaukler, Reigentänzer, Spielleute, Bürgerpaare, Kinder mit Betreuerinnen und schöne und schönste Jungfrauen. Lumpige Bettler beschließen den Zug. Darauf wird auf dem Turnierplatz das Lagerleben eröffnet, spätmittelalterliches Treiben im Schein von Holzfeuern und Fackeln. Hinter Holzzäunen geschützt, lassen sich die Landshuter von den mehr oder weniger zeitgenössisch gekleideten Besuchern betrachten. Diese können sich ihrerseits in den kernig gestalteten Freßbuden beköstigen.

Man nimmt es den Landshutern ab, das Treiben wirkt wahrlich echt und ursprünglich. Von einem DisneylandCharakter kann die Rede nicht sein. Gesichter sind hier markant, und man glaubt sie schon auf Gemälden Dürers oder Cranachs gesehen zu haben. Ästhetisch kommt man auf die Kosten. Die Jungfrauen lernen in Kursen, wie in den langen Gewändern zu schreiten sei. Ebenso die Ritter in ihren glänzenden Harnischen sind eine Pracht, stolz wie Condottieri.

Reich sind die Landshuter, zahlen das Fest aus eigener Tasche. Weil man der Sponsoren nicht bedarf, sieht man auch keine Werbung. Der Erfreulichkeiten sind viele, auch nach dem Trubel. Man munkelt daraufhin von einem Anstieg der Geburtenrate. "O glanzig Purpur, Lippelin/ O perlfarb schlankes Hälselin/ O pomeranzen, Brüstelin".

 

Informationen im Internet unter www.landshuter-hochzeit.de 


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen