© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
Die Elite der Eliten
Zwei Sammelwerke zur Symbiose von Politik und Wissenschaft geben Selbstanklagen Nahrung im Kampf um den moralischen Hochsitz
Wolfgang Müller

Im Vergleich mit zwei seiner nam haftesten Vorgänger, dem asketi schen Preußen Max Planck und dem herben Danziger Adolf Butenandt, wirkt der Süddeutsche Hubert Markl, seit 1996 amtierender Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), wie ein leutseliger Showmaster. Jede Managementberatung könnte ihn als "begeisterungsfähig und innovativ" im Handumdrehen "weltweit" vermitteln. Und doch macht diesem so konzilianten Herrn über Forschungsmilliarden gerade ein ernstes Akzeptanzproblem zu schaffen. Markl würde gern Biopolitik mit angelsächsischer Ellenbogenfreiheit treiben. Also etwa die Stammzellenforschung voranbringen, ohne daß pietistische Fundamentalisten wie Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin seine Gentechnologen dabei belästigen. Da derartige moralische Widerstände in Deutschland regelmäßig mit "Verstrickungen" zwischen 1933 und 1945 begründet werden, ist Markl darauf verfallen, hier die Meinungsführerschaft an sich zu reißen. In einer so peinlichen wie sprachlich monotonen Rede ("Schuld", "Mitschuld", "Schuld und Scham" usw.), die man keinem Untersekundaner verziehe, hat er sich daher vor einigen Wochen auf einem Berliner Symposion für die Miturheberschaft an "Verbrechen der Nazi-Diktatur" entschuldigt, die Forschern der MPG-Vorgängerin, der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), anzulasten sei (FAZ vom 18. Juni). Denn die Altvorderen als Verbrecher zu denunzieren, das sichert bei uns eben immer noch einen Logenplatz auf dem Hochsitz der Moral.

Die von der MPG 1997 eingesetzte Forschungskommission, deren jetzt in zwei Bänden präsentierte Studien Markls wohlkalkulierten Selbstanklagen Nahrung geben, hat die Hoffnung auf vergangenheitspolitische Verwertbarkeit ihrer Resultate nicht enttäuscht. Dafür garantierten einschlägig in Erscheinung getretene Wissenschaftshistoriker wie die weit linksaußen angesiedelte Susanne Heim, die mit Götz Aly einst über deutsche Eliten als "Vordenker der Vernichtung" fabulierte, Karen Schönwälder, die Doktorandin des Marburger DKP-Politologen Reinhard Kühnl, oder der investigative Kölner Genetiker Benno Müller-Hill mit seiner Schülerin Ute Deichmann, die einmal mehr dem "Blut von Auschwitz" auf der Spur sind, die, festgemacht an den Namen Otmar von Verschuer und Josef Mengele, ohne Umweg in die KWG-Institute führt.

Solchen ideologischen Dispositionen zum Trotz: Unbestreitbar erweitern die dreißig Studien über rassenhygienische und genetische Forschungen, Eugenik und Euthanasie, über die ganze Palette anwendungsbezogener, oft auch rüstungs- und kriegswirtschaftlich höchst relevanter Forschungen, unser Wissen über den engen Zusammenhang von Wissenschaft und Politik. Nur haben die Deutschen auf "Zweckforschung" mit den als "verbrecherisch" eingestuften Konsequenzen kein Patent. Und der Kern jener "Scheußlichkeiten" ist seit dem Nürnberger Prozeß und Alexander Mitscherlichs Report über die "Medizin ohne Menschlichkeit" bekannt. Die heutige "Aufarbeitung" mit ihrem selektiven Zugriff dient daher primär aktuellen wissenschaftspolitischen Interessen. Etwa Markls Strategie, eifernd vergangene "Schuld" zu bekennen, um als "Geläuterter" sogleich darauf zu bestehen, daß es zwischen der Euthanasie im Zeichen des "Staatsterrors" und modernen Selektionen, etwa der "Nichtannahme eines Embryos in eigener Verantwortung der Eltern", erhebliche "moralische und rechtliche Unterschiede" gebe (FAZ vom 25. Juni). Ob Markl damit den Moraldiskurs auf die Vergangenheit beschränken kann, ist mehr als fraglich. Müller-Hill jedenfalls will sein Wissen wohl kaum im Sinne seines Auftraggebers verwenden, wenn er andeutet, daß die Beschäftigung mit den Naturwissenschaftlern im Dritten Reich wohlbegründete, tiefe Zweifel an "der Moral heutiger genetischer Forschung" nähre.

Tagesaktuell weniger brisant, aber auch dem Zusammenhang von Politik und Wissenschaft an zentraler Stelle nachgehend, untersucht die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Berliner Akademiegeschichte im 19. und 20. Jahrhundert die 1700 gegründete Preußische Akademie der Wissenschaften zwischen 1914 und 1945. Im Mittelpunkt steht dabei das "Verhältnis der Akademie und ihrer Mitglieder zu Republik und Diktatur", und natürlich die mittlerweile fast schon stereotyp klingende Frage nach dem Ausmaß der politischen "Verstrickung" von scheinbar "autonomer" Wissenschaft.

Wolfgang J. Mommsen steuert in seinem einleitenden Aufsatz über die Akademie "in den beiden Weltkriegen" auf die unmittelbarste Form intellektueller Hilfsdienste zu. Während er jedoch trotz des recht wirksamen "Augusterlebnisses" von 1914 auch bei der "Elite der Elite" nüchtern einräumt, beim "Krieg der Geister" hätten sich Max Planck, Albert Einstein und ihre Kollegen wohl weniger profiliert als die führenden Köpfe der Akademien in London oder Paris, gibt Mommsen diese vorsichtige Position bei seinem Eilmarsch durch die Akademiegeschichte nach 1933 auf. Hier greift er auf Geschichtsklitterungen des Journalisten Aly zurück, um zu behaupten, wegen der von Albert Brackmann projektierten "Ostsiedlungsforschung" sei die Akademie "in ihrer Außenwirkung in ein Instrument nationalsozialistischer Propaganda umfunktioniert" worden.

Anders als in den MPG-Bänden bleiben solche Verengungen in diesem Opus jedoch die Ausnahme. Deutlich wird vielmehr, daß es in der Wissenschaftsgeschichte zugeht wie im richtigen Leben. Darum kann Peter Weingart, der sich mit dem Einfluß der "Rassenhygiene" und der "NS-Rassenideologie" auf die Forschungspolitik der Akademie befaßt, konstatieren: "Wissenschaft und Politik sind nicht säuberlich trennbar, und gute Wissenschaft und Moralität fallen nicht notwendig zusammen. Diese Erkenntnis sollte Anlaß sein, über die Selbstgefälligkeit des nachträglichen moralischen Urteils hinaus der Gefahr immer gewärtig zu sein, daß die gleichen Paradoxien auch die Hinterlassenschaften der gegenwärtigen Generationen sein können."

Nicht wenig zu solcher Bescheidenheit – in der immer noch Rankes Neugier durchscheint, wissen zu wollen, wie es denn "eigentlich" gewesen ist – tragen die vergleichenden Studien von Theresa Wobbe ("Modernisierung der Wissenschaften in Deutschland und in den Vereinigten Staaten"), Conrad Grau ("Wiederanknüpfung internationaler Wissenschaftskontakte nach 1918") und Roy MacLeod ("Die Akademien der Alliierten und ihre Reaktion auf den Ersten Weltkrieg") bei. Und eine gegen jede pädagogische Simplifizierung immunisierende Unübersichtlichkeit ergibt sich aus einem Vergleich der Beiträge von Wolfgang Hardtwig, Dieter Hoffmann und Jens Thiel. Hardtwig beschreibt, wie in der Weimarer Republik der preußisch-deutsche Nationalismus und eine markante "Preußenloyalität", ablesbar in den vom Mythos des "großen Königs" gespeisten alljährlichen "Friedrichsreden", die "selbstverständliche Gesinnungsgrundlage" dieser "Forscher- und Weltdeutungselite" abgaben. Hoffmann zeichnet am Beispiel Max Plancks die bis in den Widerstand reichenden Ambivalenzen dieses Nationalismus nach, erinnert mit einem Heisenberg-Zitat auch an die Präsenz des "alten, kultivierten Berlins" noch bei der (inoffiziellen) Feier zu Planks 50jährigen Akademiejubiläum im Sommer 1944. Da lag der schäbige, von Thiel aus den Akten der Finanzverwaltung rekonstruierte Streit um die noch offene Mietrechnung des jüdischen Rechtshistorikers Paul Abraham erst ein paar Monate zurück. Abraham hatte als ein "Kärrner" der Akademie lange das Wörterbuch der römischen Rechtssprache bearbeitet. Im Februar 1943 ist er ohne Wiederkehr Richtung Osten "evakuiert" worden.

 

Doris Kaufmann (Hg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Wallstein Verlag, Göttingen 2000, 2 Bände, 767 Seiten, 80 Mark

Wolfram Fischer (Hg.): Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1914–1945. Akademie Verlag, Berlin 2000, 594 Seiten, Abb., 128 Mark


 
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