© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Wenn das Geld im Kasten klingt
Zur umstrittenen Plakataktion des Fördervereins für das Holocaust-Mahnmal
Baal Müller

Die Proteste gegen die Plakataktion des Fördervereins für das Holocaust-Mahnmal haben überraschend schnell Wirkung gezeigt: die Aktion wird, wie Lea Rosh als Sprecherin des Vereins mitteilte, bereits Mitte August beendet. Während unter den großen Parteien im wesentlichen nur die CSU gewagt hat, vorsichtige Bedenken gegen die aggressive und, nach Selbsteinschätzung des Vereins, "provozierende" Verwendung des Schriftzuges "Den Holocaust hat es nie gegeben", zu formulieren, wurde energische Kritik vor allem vom Zentralrat der Juden geäußert; zudem haben Holocaust-Überlebende Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt.

Zwar wird der Holocaust vom Förderverein natürlich nicht geleugnet, schließlich wird die Behauptung im Kleingedruckten mit den Worten zurückgenommen: "Es gibt immer noch viele, die das behaupten. In 20 Jahren könnten es noch mehr sein. Spenden Sie deshalb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas." Es folgt eine Telefonnummer mit dem Hinweis, daß dem Anrufer automatisch fünf Mark über seine Telefonrechnung abgebucht werden.

Paul Spiegel als Präsident des Zentralrats hat besonders die angebliche Mißverständlichkeit des Plakates hervorgehoben und auf die "verletzten Gefühle" von NS-Opfern hingewiesen; zudem würden "Rechtsradikale" das Plakat zu "Propagandazwecken" mißbrauchen. Grundsätzlich eigne sich der Holocaust nicht für eine Werbekampagne. Spiegel widersprach auch der Behauptung Roshs, es habe zwischen Förderverein und Zentralrat eine Einigung gegeben; vielmehr habe er auf eine sofortige Beendigung der Aktion gedrängt, was von Lea Rosh jedoch "aus technischen Gründen" abgelehnt wurde. Gleichzeitig nahm er sie jedoch vor dem Vorwurf in Schutz, sie leiste der "Auschwitz-Lüge" Vorschub – als ob sich ein tatsächlicher oder angeblicher Holocaust-Leugner gerade auf den Mahnmalsverein mit der Begründung berufen würde, dieser sage ja schließlich dasselbe.

In Wirklichkeit sagt er etwas ganz anderes: Er sagt erstens dasjenige, wovon er hofft, daß es möglichst viele "Rechtsradikale" und besonders auch die bekanntlich so faschistoide Mitte der Bevölkerung behaupten, damit sein "zivilreligiöses" Engagement stets neue Nahrung und Begründung erfährt, und er sagt es zweitens und vor allem deswegen, um zu zeigen, daß er allein es auch sagen darf – im Gegensatz zu allen anderen, denen unterstellt wird, daß sie es so gerne öffentlich sagen würden, wenn sie nur dürften.

Es ist also vor allem Macht und Diskurshoheit, die es zu demonstrieren gilt; man möchte unmißverständlich deutlich machen, daß man selber über den Tabus steht, die man gesetzt hat, und provoziert somit nicht durch den Inhalt, sondern durch die Legalität der Äußerung in diesem besonderen und durch alle Weihen der politisch-moralischen Unfehlbarkeit geheiligten Fall.

Daß der Verein sich dabei verrechnet hat und auf den Widerspruch derer stieß, deren Interessen er zu vertreten vorgibt, ist zwar erfreulich; besser wäre jedoch, wenn nicht nur der Zentralrat der Juden gegen das Plakat erfolgreich protestiert hätte, der seinem Ruf durch eine solche Kritik ohnehin nicht schaden kann, da er eine noch sicherere moralische Immunität in der veröffentlichten Meinung genießt als Lea Roshs Mahnmalsverein.

Ein Sturm der Entrüstung hätte durch die gesamte Öffentlichkeit gehen müssen angesichts der unerträglichen Selbstgefälligkeit und geldgierigen Dreistigkeit des Vereins, dessen hetzerischer Werbeslogan nicht nur die KZ-Opfer beleidigt, sondern das gesamte deutsche Volk, dem er pauschal die sogenannte Auschwitz-Lüge unterstellt. Gemeint ist mit Roshs Provokation schließlich nicht die verschwindend geringe Minderheit, die die Ermordung von Juden im Dritten Reich insgesamt in Frage stellt, sondern die dazu "schweigende Mehrheit". Das "Tätervolk" insgesamt soll aus seiner nicht vorhandenen heilen Welt gerissen werden, indem ihm beständig bedeutet wird, der Holocaust sei als quasireligiöses Tabu jeder Vergleichbarkeit mit anderen Massenvernichtungen entzogen, er dürfe nur in staatlich legitimierten rituellen Akten thematisiert werden und jede Äußerung über ihn, die von der für offiziell erklärten abweiche, sei ein gefährliches Wagnis an den bewußt unscharf gehaltenen Grenzen der Legalität.

Obgleich die Äußerung, daß es den Holocaust nicht gegeben habe, in dieser Form kaum irgendwo vertreten wird und sich die ernstzunehmenden Diskussionen nur auf die Frage nach der Zahl der Opfer oder die Methoden der Vernichtung beziehen, wird suggeriert, daß viele Menschen dieses Faktum als solches – und nicht bloß zum Beispiel seine "Singularität" – in Frage stellen und daß diese sich in der imaginierten "konservativen" Mitte der Bevölkerung befinden.

Besonders hinterhältig ist die durch die alpine Idylle auf dem Plakat angeregte Assoziationskette, die eine Verbindung zwischen bayerischem (Rest-)Konservatismus, deutschem Konservatismus überhaupt und der Leugnung des Holocaust konstruiert. Die unterschwellige Botschaft dieser agitativen Suggestion ist eindeutig: Nicht die tatsächlichen Neonazis sind die eigentlich gefährlichen Holocaust-Leugner, sondern diejenigen, die sich mit dieser besonders symbolträchtigen, "typisch deutschen" Seelenlandschaft identifizieren, die so boshaft heimattreuen, beharrlich volkstümlichen und volkstümelnden Durchschnittsdeutschen, jene fast ausgestorbene Spezies also, die man in unserem Land freilich mit der Lupe suchen muß.

Auch die wochenendliche Fahrt ins gebirgige Naherholungsgebiet ist also irgendwie anrüchig, weil "typisch deutsch"; Natur und Landschaft sind gefährlich, weil ihr unbeschwerter Genuß dazu beiträgt, den Holocaust "zu verdrängen". Der "volkstümliche" Deutsche, der angesichts des Holocaust noch heiter und unbeschwert zu sein wagt, ist ein Dorn im Auge der Tugendwächter, ist anrüchig, gefährlich und daher unter pädagogische Aufsicht zu stellen.

Zum Glück gibt es jedoch ein Mittel, um sich von dem anerzogenen schlechten Gewissen für einen Augenblick zu befreien; religionsgeschichtlich ist es als Ablaßhandel bekannt. "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt", lautet eine erfolgreiche Parole aus der Reformationszeit. "Mit fünf Mark sind Sie dabei", läßt sich ein anderer populärer Slogan hinzufügen. Nur einen Anruf und fünf Mark kostet das schöne Gefühl, nicht zu den an latenter Holocaust-Leugnung laborierenden Deutschen gehören zu müssen.


 
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