© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Arkadische Antike
Ausstellung: "Die Tempel von Paestum" in München
Rüdiger Ruhnau

Seit ihrer Wiederentdeckung in der Mitte des 18. Jahrhunderts waren die Tempel von Paestum eine Hauptattraktion für alle Italien-Reisenden. Die meisten von ihnen kamen in Paestum zum ersten Mal direkt mit der griechischen Baukunst in Berührung, bis dahin waren ihre Vorstellungen von der Architektur der Antike ausschließlich von der römischen Baukunst bestimmt gewesen.

In einer reizvollen Sonderausstellung des Museums für Abgüsse Klassischer Bildwerke in München wird anhand von 60 Graphiken aus Folianten und Büchern sowie einer Anzahl von Originalplänen, Rekonstruktionen, Aquarellen und Gipsabdrücken ein Überblick über die 250 Jahre andauernde Beschäftigung mit den Tempeln von Paestum gegeben. Eine gute Vorstellung von der räumlichen Weite der Bauwerke vermitteln die dreidimensionalen Korkmodelle im Maßstab 1:50, denen aktuelle Forschungsergebnisse zugrunde liegen.

In der archäischen Zeit der griechischen Stadtstaaten (750–500 v. Chr.) setzte eine gewaltige Kolonisationsbewegung ein. An den Küsten des Mittelmeeres, in Sizilien und in Unteritalien entstanden Siedlungen, die bald Glanz und Reichtum gewannen. Paestum, das alte Poseidonia, die antike Stadt am Golf von Salerno, wurde berühmt durch die drei gut erhaltenen dorischen Tempel aus der griechischen Blütezeit.

Zu besonderem Einfluß und Ansehen gelangten die beiden stark gegensätzlichen Staaten der dorischen Spartaner und der ionischen Athener. Die Spartaner waren wegen ihrer Kriegstüchtigkeit und Tapferkeit geachtet und gefürchtet. Bei den handeltreibenden Athenern entwickelte sich aus der Aristokratie eine Demokratie. Aus dem 50jährigen Kampf mit den Persern gingen die Griechen mächtig und voll Selbstbewußtsein hervor, sie erreichten bald darauf ihre höchste Blüte.

Während die griechischen Wohnhäuser im allgemeinen recht einfach waren, wurden die Tempel, die Wohnstätten der Götter, prächtig ausgestaltet. Anfangs aus Holz gebaut, errichtete man sie in der perikleischen Zeit aus Marmor und bemalte einzelne Teile mit kräftigen Farben, besonders mit Rot, Blau und Gold. Der Tempel öffnete sich nicht der Masse, wie bei den christlichen Kirchen, sondern nur den Priestern. Fast immer hatten die Tempel einen rechteckigen Grundriß. Sie standen auf einem Unterbau von mehreren Stufen, besaßen einen Vorraum, einen Hauptraum mit dem Götterbild und den hinteren Raum, der als Schatzkammer diente.

Der Poseidontempel in Paestum zeigt die klassische Anordnung des griechischen Gotteshauses, auf allen vier Seiten den vollständigen Säulenumgang mit je sechs Säulen an Vorder- und Rückseite und doppelt so vielen Säulen (zwölf plus zwei) an den Längsseiten. Diese Hauptform des Tempels, Peripteros, gab mit der von Säulen getragenen Eingangshalle (Portikus) dem Klassizismus in der Architektur eine neue Wende. Das Kennzeichen des dorischen Stils, die dorische Säule, verleiht den Bauten etwas Würdevolles. Ohne Basis, auf dem Untergrund stehend, ist ihr Kapitel einfach gestaltet. Auch der Parthenon und die Propyleen auf der Akropolis sind im dorischen Stil gebaut.

Im Jahre 1787 suchte Goethe von Neapel aus zusammen mit dem Maler Kniep die von Piranesi meisterhaft dargestellten Tempel von Paestum auf. Zum ersten Mal sah er Originalzeugnisse griechischer Baukunst und schrieb am 17. Mai an Johann Gottfried Herder: "Es ist die letzte, und fast möchte ich sagen herrlichste, Idee, die ich nun nordwärts vollständig mitnehme." Zur ersten Ausgabe seines Reiseberichtes wählte er als Motto: "Auch ich in Arcadien". Arcadien, eine mythische Landschaft, in welcher Götter und Menschen harmonisch zusammenwirken, wurde für den Dichterfürst Goethe das Land, das ihm den höchsten Gewinn an äußerer und innerer Bildung brachte.

Deutlich zeichnen sich zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert zwei Epochen des Reisens ab, den Kaveliers- und Bildungsreisen folgen die wissenschaftlichen Reisen. Johann J. Winckelmann, der die antiken Kunstwerke in einen großen kunstgeschichtlichen Zusammenhang einordnete, gilt als Begründer der neueren Archäologie. Seine Auffassung vom Wesen der griechischen Kunst als "edle Einfalt und stille Größe" findet durch die Zeugnisse der intensiven Beschäftigung führender Baumeister mit den drei berühmten Tempeln von Paestum ihre Anerkennung und kann an den von Dieter Cöllen in den Jahren 1996/99 angefertigten Korkmodellen des Poseidon-, Hera- und Athenatempels bestens begutachtet werden. Bis heute ist die Forschung noch nicht abgeschlossen.

Das Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke ist in dem ehemaligen NS-Verwaltungsbau am Königsplatz untergebracht. Das von Paul Troost entworfene Gebäude ist ein typisches Beispiel für die Architektur des Dritten Reiches und hat die Zerstörungen während des Krieges weitgehend überstanden.

Die Ausstellung selbst befindet sich in etwas liebloser Präsentation im hinteren Teil des Lichthofes, während der vordere Teil mit den Gipsabgüssen antiker Statuen bestückt ist und infolge seiner kulturellen Nutzung den Troost’schen Monumentalbau sozusagen "demokratisiert".

 

Die Ausstellung im Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke, Meiserstraße 10, ist bis zum 15. September zu besichtigen. Öffnungszeiten Mo.–Fr. 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Info.: 089 / 28 92 76 90


 
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