© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Prager Professoren 
Politisch getönte Portraits
Wolfgang Müller

Sollte es noch bildungsbürgerliche Privatbibliotheken geben, dann fehlte die "Hamburger Ausgabe" der Werke Goethes darin sicher nicht. Mit ihr wurde der Name des Herausgebers, des im Frühjahr hochbetagt verstorbenen Kieler Germanisten Erich Trunz, über die Grenzen seines Faches hinaus bekannt. Solch ein Ruhm ist eine zweischneidige Sache. Wie bei Heidegger und Schmitt zieht er Privatdetektive und Moralapostel an. Trunz fand seinen Schattenmann in dem für die SZ schreibenden Hans Peter Kunisch, der den "braunen" Prager Jahren nachspürt und Trunz als "Anpasser" entlarvt. Für einen Diener des heutigen Zeitgeistes ein schöner Nachweis, Wesenverwandtes erfühlen zu können, doch keine umwerfende Forschungsleistung. Das muß man auch anderen Beiträgern attestieren, die in Aufsätzen u. a. über Herbert Cysarz (ein "Originalgenie", wie Peter Becher aus Hans-Dierich Sanders Nachruf in der Welt von 1985 zitiert), Josef Pfitzner und Wilhelm Weizsäcker Einblicke in einen farbigen Abschnitt deutscher Geistesgeschichte gewähren wollen, dabei aber oft Zugeständnisse an heute opportune Deutungen der deutsch-tschechischen Beziehungen machen. Daniel Kraft, in einer Stiftung für "deutsche-tschechische Verständigung" tätig, streift in seiner Studie über den am 10. Mai 1945 vermutlich der blutigen "Abrechnung" zum Opfer gefallenen Slawisten Eugen Rippl mitunter sogar die Grenze zum Zynismus. Den Tiefstpunkt politisierter Wissenschaftsgeschichte erreicht jedoch das von Josef Zumr (Philosophisches Institut der Akademie der Wissenschaften der CSR) gebotene Lebensbild des Philosophen Emil Utitz, eines Schulfreundes von Franz Kafka. Zumr ignoriert nicht nur deutsche Forschungen wie die Wolfhart Henckmanns zu Leben und Werk des Philosophen komplett, sondern wartet auch mit peinlichen Angaben auf, etwa damit, daß Husserls berühmter, nur als Aufsatz publizierter Vortrag über die "Krisis der europäischen Wissenschaften" das "letzte Buch" des 1938 verstorbenen Denkers gewesen sei.

 

Monika Glettler/Alena Mísková: Prager Professoren 1938–1948. Zwischen Wissenschaft und Politik. Klartext Verlag, Essen 2001, 682 Seiten, 42,10 Mark


 
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