© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
"In einer Demokratie gewinnt immer der Schwächere"
Interview: David Horowitz über die Neue Linke, die Revolution als zivilreligiöse Vision und die Kunst der politischen Kriegführung
Matthew Richer

Herr Horowitz, was war oder ist die New Left, die amerikanische Neue Linke?

Horowitz: Die New Left war der Versuch, den Kommunismus von den Verbrechen des Stalinismus zu trennen, ihn sozusagen vor ihnen zu retten. Eine solche "Rettung" erwies sich als mehr oder weniger unmöglich. In Wirklichkeit unterschied sich die Neue Linke kaum von dem, was ihr vorausging. Wie ihre radikalen Vorläufer war die Neue Linke im Grunde eine Zivilreligion; eine säkulare Vision der sozialen und wirtschaftlichen Gleichheit unter den Menschen.

War dieser Gedanke dann ein hehres Ziel oder eher eine Strategie?

Horowitz: Beides, aber mehr das letztere. Es war ein Weg, die Revolution am Leben zu erhalten und sich gleichzeitig von ihren Sünden reinzuwaschen. Jede politische Bewegung muß eine Strategie entwickeln, um überhaupt etwas erreichen zu können.

Die Clintons führten ihren Wahlkampf 1992 als "Neue Demokraten". Tony Blair sprang 1997 auf denselben Zug auf, indem er sich als Vertreter der "New Labour" verkaufte. Handelt es sich hierbei lediglich um eine andere Spielart der Strategie dieser "Neuen Linken"?

Horowitz: Ja, auf jeden Fall.

Welche Rolle haben Sie in der Neuen Linken gespielt?

Horowitz: Ich war Mitherausgeber der Zeitschrift Ramparts (deutsch: "Barrikaden"), die in den sechziger Jahren als Flaggschiff der Neuen Linken fungierte. Als es damit zu Ende war, setzte ich meine Arbeit als Aktivist und Publizist fort.

Warum wird man Marxist? In Ihrer Autobiographie "Radical Son" schrieben Sie, daß "Sozialismus bloß ein Wunsch ist, dazuzugehören".

Horowitz: Genau. Im Sozialismus geht es darum, so ziemlich alle Unterschiede aufzuheben – ob sie auf Reichtum, Klasse, Rasse, Religion oder was auch immer basieren. Jeder sollte dazugehören. Das ist ein Teil der "Religion".

Warum haben Sie mit dem Marxismus gebrochen?

Horowitz: Also, ich hatte mich in den siebziger Jahren mit den "Black Panthers" eingelassen. Und 1974 brachten die Panther in einer "politischen Säuberung" einen guten Freund um. Das rüttelte mich auf. Eine Zeitlang stieg ich sozusagen aus der Politik aus. 1984 stimmte ich dann für Reagan. Danach gab es kein Zurück mehr.

Wie reagierten Ihre Freunde in der Neuen Linken auf Ihren Bruch mit ihr?

Horowitz: Ich habe in der Neuen Linken keine Freunde mehr. Dafür habe ich neue Freunde unter den Rechten. Das ist schon in Ordnung so.

In der radikalen Literatur stößt man immer wieder auf die Ansicht, daß sich die gerechte Gesellschaft nur mit Gewalt durchsetzen läßt: Wir müssen dieses einmalige, reinigende Verbrechen zulassen, um dann aus den Trümmern eine perfekte, gerechte Gesellschaft aufbauen zu können. Existiert diese revolutionäre Mentalität heute immer noch?

Horowitz: Gar keine Frage. Die Linke ist durchsetzt davon. Dies ist erforderlich, um die ideale Gesellschaft, die Utopie zu schaffen. Es ist Teil der religiösen Vision. Allerdings sind die heutigen Linken schon zufrieden, wenn sie die Revolution ein Stück weit vorantreiben können, anstatt alles auf einmal erreichen zu wollen. Was aber alle diese Marxisten eint, ist, daß sie keinen Plan für die Zeit nach der Revolution haben. Wenn sie einmal ihre sämtlichen Ziele verwirklicht haben – was dann? Marx hat alles mögliche zu der Frage geschrieben, wie Vermögen zu teilen sei. Wie man Vermögen schafft, dazu hat er nichts gesagt.

Die Linke hat die Angewohnheit, die Menschheit im abstrakten Sinn zu lieben, nicht aber einzelne Menschen. Können Sie sich das erklären?

Horowitz: Aber sicher. Die Linken sind an dem Menschen als Idee interessiert und nicht an den Menschen als Menschen. Wenn einzelne Menschen ihrer Vision im Weg stehen, dann sind sie verzichtbar.

Inwieweit sind Sie mit der europäischen Linken in Berührung gekommen?

Horowitz: In den 1960er Jahren war ich mit Bertrand Russells "Peace Foundation" in London involviert. Aber ich weiß wenig über europäische Angelegenheiten. Ich habe keine Zeit, mich damit zu befassen, denn Amerika ist genug Arbeit für mich.

Der amerikanische Gelehrte Allan Bloom war der Meinung, daß die moderne Linke der deutschen Philosophie viel verdankt – eine Linie, die mit Hegel und Marx beginnt. Würden Sie dem zustimmen?

Horowitz: Klar, da ist eindeutig was dran. Im "Achtzehnten Brumaire" gibt es eine Stelle, wo Marx Goethes Mephistopholes zitiert: "Alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht." Ich glaube, mehr braucht man dazu nicht zu sagen. Andererseits war eins der Bücher, die meine eigene politische Konversion beeinflußt haben, Friedrich Hayeks "Die Verfassung der Freiheit". Dieses Buch gehört zu den besten Plädoyers für die Freiheit, die mir je in die Hände gefallen sind.

Um auf die Entschädigungszahlungen für die Nachkommen amerikanischer Sklaven zu sprechen zu kommen: Worum geht es dabei wirklich?

Horowitz: Na ja, um verschiedene Dinge. Zunächst mal um Geld. Die Anwälte, die die Bundesregierung "im Namen der schwarzen Amerikaner" verklagt haben, werden ein Vermögen daran verdienen, wenn sie damit durchkommen. Für den durchschnittlichen Schwarzen wird wenig oder gar nichts übrigbleiben. Dann geht es aber auch um politische Macht. In einer Demokratie gewinnt immer der Schwächere. Man muß also so tun, als stünde man auf der Seite der Schwachen und Unterdrückten. Das ist ein fortwährender Prozeß, und die Linke kann das gut. Obwohl die Schwarzen in Amerika einen höheren Lebensstandard genießen als Schwarze irgendwo anders in der Welt, muß ihnen ständig erzählt werden, daß sie einer rassistischen Gesellschaftsordnung zum Opfer fallen. Und deswegen stellt die Linke die Republikaner als böswillige Rassisten dar.

In Ihrem neuen Buch "The Art of Political Warfare" behaupten Sie, der Rechten fehle das Geschick, politische Kriege zu führen. Was meinen Sie damit?

Horowitz: Die Anhänger der Linken sind Missionare. Ihre Motivation ist das Streben nach einem visionären Ideal. Konservative dagegen sind darum bemüht, die Regierung zu stabilisieren, statt sie zu stürzen. Die Demokraten wollen nicht die Regierung verbessern, sondern die Welt. Wenn ein republikanischer Kandidat eine Wahl verliert, geht er nach Hause, sucht sich eine Stelle in der Privatwirtschaft und kümmert sich um seinen eigenen Kram. Verliert ein Demokrat, dann läuft das ganz anders. Bei jeder Wahl steht ihre ganze Daseinsberechtigung auf dem Spiel. Eine Niederlage können sie sich einfach nicht leisten, und deshalb ist ihnen jedes Mittel recht, um zu gewinnen.

Warum hat dann Ronald Reagan so viel erreichen können?

Horowitz: Reagan war ein Ausnahmefall unter den Republikanern. Aber er war auch jahrelang ein liberaler Demokrat. Bevor er den Republikanern beitrat, war er Gewerkschaftsvorsitzender gewesen. Deshalb verstand er die Regeln der politischen Kriegführung, und er kannte seinen Gegner. Er wählte seine Ziele mit Sorgfalt aus und vermittelte sie in Form einer Vision für Amerika. Seine Ziele waren der Sieg über das "Evil Empire" Sowjetunion und die Befreiung der Wirtschaft aus den Zwängen eines übermächtigen Staatsapparates. Außenpolitisch stellte Reagan die Sowjets als die Unterdrücker der Welt dar und die USA als Retter der freien Welt, als Hoffnung der Unterdrückten. Innenpolitisch warnte er vor einem Zuviel an Regierungsmacht, das die Steuerzahler unterdrückt. Das Geheimnis von Reagans Erfolg lag in seiner Vision.

Lassen Sie uns jetzt zum Thema der Zensur kommen. Die Gegner der JUNGEN FREIHEIT haben sich verzweifelt darum bemüht, uns zum Schweigen zu bringen. Aber in den deutschen Massenmedien wurde kaum darüber berichtet.

Horowitz: Die Linke kann Dissens nicht ertragen. Dissens bedroht ihre Vision, ihre Religion. Darum nehmen sie ihn so persönlich und reagieren mit Gewalt. Und deswegen versuchen sie zu zensieren. Sie nennen es nur anders – Toleranz etwa. Die Perspektive der JUNGEN FREIHEIT setzt sich anderen Perspektiven entgegen. Außerdem verteidigt die Linke wieder einmal die Unterdrückten.

In vielerlei Hinsicht spielt der Holocaust in Deutschland dieselbe Rolle wie die Sklaverei in den USA. Wer in Deutschland von nationaler Identität spricht, wird von der Linken als Nazi und Holocaust-Sympathisant diffamiert. Mit diesem As trumpft die deutsche Linke jedesmal.

Horowitz: Hören Sie, ich bin selber Jude. Ich will kein Geld von Deutschland. Aber ich glaube, daß die Parallelen zwischen der amerikanischen Sklaverei und dem Holocaust schwach sind. Sklaverei hat es zu verschiedenen Zeitpunkten in jeder Nation der Erde gegeben. Zudem kämpfte ein großer Teil der weißen Bevölkerung Amerikas für die Abschaffung der Sklaverei. Hätte eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung erfolgreich Widerstand gegen die Judenvernichtung geleistet, dann wäre dieser Vergleich legitimer.

Der Vergleich war nicht historisch gemeint, sondern politisch. Der Holocaust ist genau wie die Erblast der Sklaverei benutzt worden, um die verschiedensten Regierungsmaßnahmen durchzusetzen. Der demokratische Senator Bill Bradley bezeichnete die Sklaverei als "Erbsünde Amerikas". Genauso nannte der deutsche Außenminister Joschka Fischer Auschwitz den "Gründungsmythos der Bundesrepublik".

Horowitz: Tatsächlich? Das ist äußerst merkwürdig.

Ja, das ist es.

Horowitz: Tja, mir ist schon klar, daß es Menschen gibt, die den Holocaust für politische Zwecke mißbrauchen. Diesem Typen geht es bloß darum, aus toten Juden politischen Nutzen zu ziehen, und das ist schamlos. Hier zeigt sich wieder einmal, daß die Linken sich immer auf die Seite der Unterdrückten schlagen. Wenn sie dabei den Holocaust benutzen müssen, dann tun sie das halt.


 
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