© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Verfassungsfeinde
Karl Heinzen

34 Prozent aller erwachsenen Deutschen engagieren sich eh­renamtlich und in­vestieren im Durch­schnitt wöchentlich fünf Stunden in diese freiwillige Tä­tigkeit. Auch wenn man bedenkt, daß das Anstechen und ge­meinsame Leertrinken von großen Bier­fässern als eine nicht allein in Süd­deutschland beliebte Form der Brauch­tumspflege neben vielen an­deren privat oder gesellig betriebenen Hobbyaktivi­täten mitgezählt wurde, ist das Ausmaß der zu unterstellenden Unei­gennützig­keit nicht bloß beachtlich, sondern auch alarmierend.

Aus gutem Grund steht im Zentrum der Ordnung unseres staatlichen Lebens das Individuum und nicht der Gemeinsinn mit seinen unvermeidlichen kollektivisti­schen Implikationen. Es mag ja reizend sein, wenn sich Einzelne unter Hintan­stellung ihrer eigentlichen persönli­chen Interessen „sozial“ engagieren. Die Situation entgleitet jedoch, sobald derartige in letzter Konsequenz verfas­sungswidrigen Einstellungen zur Massen­erschei-nung werden und sich die Stimmen mehren, die sie den Menschen noch dazu als Leitbild oktroyieren wollen. Die vermeintliche Freiwilligkeit eines ge­meinnützigen Verhaltens kann als Legi­timation nicht ausreichen, es ist viel­mehr verantwortungslos und ge­fährlich, sich auf sie zu berufen: Auch die Na­tionalsozialisten waren ihrer Partei überwiegend freiwillig beigetre­ten und übten ihren Terror freiwillig und nicht selten sogar ehrenamtlich aus. Wir sollten heute alles dafür tun, daß sich ähnliches nicht im Zeichen ei­nes neuen Gemeinsinns wiederholt.

Vor diesem Hintergrund kann das Verhal­ten der Politik nur mit Sorgen betrach­tet werden. Dem Gemeinsinntotalitaris­mus tritt sie nicht durch einen ent­schlossenen Appell an den Eigennutz der Menschen entgegen, sondern verlegt sich auf subversive Ge­genstrate­gien, um ihm vielleicht auf lange Sicht ein menschliches Antlitz geben zu können. Derartige Versuche sind aber nur wenig aussichtsreich. Ge­mein-sinnfanatiker wer­den ihr Eigenin­teresse nicht neu entdecken, bloß weil sie plötz­lich 300 Mark ihrer mo­natlichen Auf­wandsent­schädi-gung nicht mehr versteu­ern müs­sen. Umgekehrt wer­den Menschen mit vernünftigen Er­werbsabsichten durch derartig geringfü­gige Beträge nicht gerade angelockt, um der al­truisti­schen Destruktivität des sozia­len En­gagements von innen heraus entge­genzu­wirken.

Die Kapitulation der Politik scheint hier kein anderer als Gerhard Schröder mit seinem Appell formuliert zu haben, daß ehrenamtliche Tätigkeit „zu einem Teil der Unternehmenskultur“ werden müsse. Vielleicht handelt es sich aber auch um einen seiner berühmten Schach­züge: Wo, wenn nicht in der Wirtschaft ist das Bewußtsein noch lebendig, daß Leistungen für die sich kein Markt fin­det, auch nichts wert sein können? Die Unternehmen müssen hier gegenüber ei­ner Oberwasser fühlenden Ehrenamtslobby Standhaftigkeit beweisen. Sie dürfen sich nicht in soziales Engagement ab­drängen lassen und damit ihren Daseins­zweck verfehlen.


 
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