© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
Kolumne
Schutzheilige
von Klaus Motschmann

In letzter Zeit häufen sich in unseren Medien die Nachrichten von beträchtlichen Entschädigungszahlungen, die erkrankten Menschen von den „Verursachern“ gezahlt werden. Den vorläufigen Rekord hält wohl ein an Lungenkrebs leidender Amerikaner, dem ein Gericht ein Schmerzensgeld in dreistelliger Millionenhöhe zuerkannt hat. In Deutschland werden derartige Summen zwar noch nicht erzielt. Die jüngsten Auseinandersetzungen um ein Medikament der Firma Bayer, das mit dem Tod von 52 Patienten in aller Welt in Zusammenhang gebracht wird, deuten aber an, welche Entwicklungen auch hier zu erwarten sind. Obwohl auch in diesem Falle, wie schon zur BSE-Krise, wissenschaftlich einwandfreie Nachweise für den bislang nur vermuteten Zusammenhang fehlen, werden in zahlreichen Kommentaren die ideologisch abgewetzten Phrasen von kapitalistischer „Profitmaximierung auf Kosten der Gesundheit von Menschen“als taufrische Erkenntnisse vermittelt. Man sollte sich nicht wundern, wenn demnächst das Gesundheitsministerium die Ergänzung „und Patientenschutz“ erhält, analog zum „Verbraucherschutz“ des Landwirtschaftsministeriums. Auch auf diese Weise läßt sich die Systemveränderung mit anderen Mitteln begünstigen.

Wenn es unseren ideologisierten „Schutzheiligen“ wirklich allein um die Abwehr aller möglichen Bedrohungen des menschlichen Lebens ginge, dann hätten sie sich längst einmal über einige andere „Verursacher“ medizinisch-sozialer Probleme mit gleicher Deutlichkeit geäußert, zum Beispiel zur Einrichtung von Raucherecken auf Schulhöfen in den siebziger Jahren. Ist bereits vergessen, was damals von progressiven Verfechtern der antiautoritären Pädagogik dazu auf die Proteste zahlreicher Eltern erklärt worden ist? Sie konnten froh sein, wenn es beim Zigarettenrauchen blieb, was oft genug nicht der Fall war. Mit der Hippie-Welle wurden alle Bedenken gegen den Gebrauch sogenannter weicher Drogen weggeschwemmt, um das „konditionierte falsche Bewußtsein der Gesellschaft“ bei gleichzeitiger „Lustmaximierung“ zu zerschlagen. Damals waren jährlich 500 bis 750 Drogentote zu beklagen; bis heute zigtausend Drogenabhängige.

Gewiß: die Gefahren der damaligen Verharmlosung sind inzwischen erkannt. Aber viel zu spät, um die damals herbeigeführten Probleme hinreichend lösen zu können. Wer fragt in diesem Zusammenhang nach dem „Verursacherprinzip“ und nach der Verantwortung? Handelt man weiterhin verantwortungslos?

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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