© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Von Bismarck lernen
Carl Gustaf Ströhm

Während man in Berlin noch über die Entsendung der Bundeswehr nach Mazedonien grübelt, hat der Konflikt im Süden des Balkans längst die Dimensionen eines Krieges angenommen. Es ist kein „Bürgerkrieg“, wie fälschlicherweise behauptet wird - denn Bürgerkriege finden vorzugsweise zwischen Angehörigen derselben Nation statt. In Mazedonien gibt es in diesem Sinne keine „Bürger“, sondern Angehörige zweier in Mentalität, Geschichte, Religion und sozialer Lage unterschiedlicher Nationen: die Albaner (Skipetaren) und die slawischen Mazedonier. Zwischen beiden gibt es keine „Brücke“: Es gibt kaum „gemischte“ Ehen, jeder blieb schon früher für sich und betrachtete seinen Nachbarn, wenn dieser nicht dem eigenen Volk angehörte, mit einer Mischung aus Mißtrauen, Verachtung und Haß - je nach jeweiliger Position.

Die Bemühungen des Spaniers Javier Solana und neuerdings des Franzosen François Léotard, die verfeindeten Völker unter einen Hut zu bringen, grenzen ans Tragikomische: Da werden Waffenstillstände und Feuerpausen unterzeichnet, die, bevor die Tinte getrocknet ist, bereits durch neue Kampfhandlungen entwertet sind. Bei Solana wie bei Léotard wird man den Eindruck nicht los, sie wollten um jeden Preis (auch um den des totalen Realitätsverlustes) einen albanisch-mazedonischen „Frieden“ produzieren, weil ihnen eigene Probleme im Nacken sitzen - die ETA oder die Korsen.

Faktisch herrscht in Mazedonien Krieg zwischen zwei Nationen. In diesem Krieg - der kein Bürgerkrieg ist - hat jener die besseren Karten, der nichts oder nur wenig zu verlieren hat: das aber sind die Albaner. Sie stellen fast ein Drittel der Bevölkerung - und sowenig wie die Kosovo-Albaner den Staat Jugoslawien akzeptieren, sind die „mazedonischen“ Albanier bereit, ein „slawisches“ Mazedonien anzunehmen, das seine Legitimation ausschließlich aus orthodox-slawischen Wurzeln bezieht.

Die slawisch-christlichen Mazedonier sehen mit Schrecken, daß ihr junger Nationalstaat angesichts der demographisch im Vormarsch befindlichen Albaner den Bach hinuntergeht. Der teils naive, teils infame Vorschlag des Westens, Mazedonien in einen „Multi-Kulti“- Nationalitätenstaat zu verwandeln, wird von den slawischen Mazedoniern wohl zu Recht als das Ende ihrer Staatlichkeit betrachtet. Kein Mazedonier ist bereit, mit Albanern wirklich gleichberechtigt und loyal zu kooperieren - zumal man in Skopje weiß, daß der „Krieg im Wochenbett“ für die slawische Seite bereits verloren ist. Die Albaner vermehren sich - die Slawen schrumpfen, ähnlich wie die übrigen Europäer.

Unter den Albanern - nicht nur in Mazedonien, sondern im Kosovo und in der Republik Albanien - wächst eine große Zahl junger Leute heran, die keinerlei Zukunftsperspektive haben, weil sie Albaner sind. Niemand will sie: der Westen nicht, ihre balkanischen Nachbarn erst recht nicht. Das ist eine ideale Reservearmee für den Guerilla-Kampf: am Ende lockt, wenn alles gut geht, die internationale Anerkennung. Statt die Dinge in die Hand zu nehmen und die unvermeidliche Neuordnung dieses Raums zu gestalten, klammert sich der Westen an fiktive Grenzen und Besitzstände und jagt den Ereignissen hinterher. Jetzt erst schwant westlichen Politikern, daß die mazedonische Frage direkt oder indirekt mit dem Nahen Osten, mit Rußland/Tschetschenien, mit der Türkei/Griechenland, mit Bulgarien/Serbien zusammenhängt. In Berlin sollte man sich an Bismarck erinnern: „Der Balkan ist mir nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert.“


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen