© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
Am Katzentisch der Ölmultis
Mineralölwirtschaft: Aral-Verkauf an BP schwõcht Wettbewerb und schafft Abhängigkeit / Keine "großdeutsche Allianz" mit OMV
Jörg Fischer / Rüdiger Goldmann

Ein Neun-Milliarden-Euro-Geschäft zwischen dem deutschen Energiekonzern E.ON und dem drittgrößten Ölkonzern der Welt, der britisch-amerikanischen BP-Amoco, hat am 16. Juli die Karten im Tankstellenmarkt neu gemischt: BP übernimmt zum Jahreswechsel 51 Prozent an der E.ON-Tochter Veba Oel AG samt deren 3.010 Aral-Stationen in ganz Europa und steigt damit in Deutschland und Österreich zum Marktführer auf. Mengenmäßig kontrolliert BP/Aral ein Viertel des deutschen Marktes, wirtschaftlich soll die Fusion jährlich Einsparungen von rund 236 Millionen Euro bringen, zu dem auch der Abbau von 1.500 Beschäftigten beitragen soll. Immerhin: die Aral/BP-Stationen werden unter der Marke Aral geführt werden. E.ON erhält im Gegenzug von BP gewichtigen Einfluß bei der Ruhrgas AG, die in Deutschland einen Marktanteil von etwa 60 Prozent und in Österreich einen Marktanteil von sieben Prozent hält und kräftig expandieren will.

Was die deutsche Presse nahezu einhellig als überragenden Erfolg von E.ON feierte, stellt sich bei näherer Betrachtung als Ausverkauf einer gesamten deutschen Grundstoffindustrie und als Betrug am deutschen Steuerzahler dar.

Wie zuvor mit der Uhrenindustrie, der Feinmechanik, der optischen Industrie und Unterhaltungselektronik verliert Deutschland durch den Verkauf an BP einen ganzen Industriezweig - zum Nachteil seiner Verbraucher und unter Verlust von technischem Wissen und Erfahrungen seiner hochspezialisierten Erdölexperten. Nach dem im März diesen Jahres angekündigten Verkauf der DEA-Tankstellen an Shell ist nun durch die geplante Übergabe des Veba Produktions- und Tankstellennetzes an BP die Situation klar: Deutschland verabschiedet sich wohl für immer von seinem zwar nie glänzenden, aber für den heimischen Markt immer wichtigen Ölmarkt. Es setzt sich nunmehr dauerhaft internationalen Kartellen und deren Absprachen aus. Nicht ohne Grund hat daher die Londoner Investmentbank Merrill Lynch letzte Woche die BP-Papiere von „neutral“ auf „buy“ heraufgestuft. Damit messen die Analysten der Aktie ein interessantes Wertsteigerungspotential bei. Die Globalisierungsfalle hat wieder einmal zugeschnappt.

Und eben dies hatte in weiser Voraussicht die Große Koalition mit den Ministern Franz Josef Strauß (CSU) und Karl Schiller (SPD) 1969 durch die Gründung einer nationalen (west-)deutschen Explorationsfirma, der Deminex, unter dem Einfluß aller verbliebenen und noch nicht von internationalen Multis übernommenen Ölfirmen, d.h. der Veba Oel, Wintershall (BASF), Preußag, Saarbergwerke, Schachtbau und UK Wesseling verhindern wollen. Vorausschauend und den Ölpreisschock von 1973 ahnend, wollten sie ein in (west-)deutscher Hand befindliches Energieinstrumentarium zur Disziplinierung der Ölmultis schaffen, das besonders in Notzeiten bei Verknappung der Ressourcen zur Liefersicherheit oder bei Versagen des Wettbewerbes eingesetzt werden sollte. Subventioniert durch Steuermittel, hatte die Deminex nach Anlaufschwierigkeiten erstaunliche Erfolge, indem ihr insbesondere aus politischen Gründen von Entwicklungsländern wie Nigeria, Iran, Peru, Trinidad, Indonesien, Guayana, Argentinien, Vietnam, Libyen, Ägypten und Syrien, aber auch in der Nordsee, Vertrags- und Bohrerlaubnisrechte sowie Produktionslagerstätten zugesprochen wurden.

Mit rückzahlbaren Subventionen in Höhe von etwa 3,2 Milliarden Mark, die ihr zur Verfügung gestellt wurden, konnte die Deminex Ende der achtziger Jahre über Aral (Veba Oel und Wintershall) sowie die RWE-Tochter DEA eine Förderung von knapp zwölf Millionen Tonnen pro Jahr aufweisen, was dem vierfachen der deutschen heimischen Produktion oder etwa zehn Prozent des (west)deutschen Verbrauchs entsprach. Sie war im Weltmaßstab innerhalb von 20 Jahren zu einer mittelgroßen, hochprofitablen, etablierten und von allen Parteien geschätzten Explorationsfirma emporgewachsen. Und als der Eiserne Vorhang fiel, hellten sich ihre Zukunftsaussichten noch mehr auf, galt es doch den sowjetrussischen Markt mit Hilfe der hochkompetenten mitteldeutschen Kollegen des VEB Erdöl-Erdgas Gommern in einer gemeinsamen, gesamtdeutschen Firma zu explorieren. Die Russen selbst breiteten den Deutschen einen schwierigen, aber beschreitbaren roten Teppich aus. Ihre Angebote zur Zusammenarbeit häuften sich. Die Deminex hatte das finanzielle Polster, VEB Gommern das örtliche technische Wissen mit russisch-sprechendem Personal für dieses riesige Gebiet mit seinem unermeßlichen Potential an Öl und Gas. Doch die Rechnung wurde ohne die Veba Oel gemacht, deren Management - im internationalen Ölgeschäft weitgehend kurzsichtig, überfordert und dilettantisch - sich querstellte, eine Fusion mit VEB Gommern ablehnte und die Angebote der Russen im Vorfeld aus den verschiedensten Gründen blockierte. Fehlende Wirtschaftlichkeit, politische Unsicherheit, mangelnde Rechtssicherheit drohten beim Rußland-Geschäft. Gommern wurde in der Folge von der Treuhand genauso abgewickelt wie auch gleichzeitig die hochangesehene seismische Dienstleistungsfirma VEB Geophysik Leipzig.

Es folgte der Verkauf der weltweit führenden westdeutschen seismischen Schwesterfirma Prakla aus Hannover für 42 Millionen US-Dollar durch Finanzminister Theo Waigel (CSU) an einen direkten US-Konkurrenten. Dann traf es die Deminex selbst. Die Veba Oel, Mehrheitsgesellschafter dieser Firma, bestimmte eine Realteilung unter den verbliebenen Eignern - Deminex wurde aufgelöst. Deutschland verabschiedete sich für immer von seiner Erdölindustrie. Und der Rest - von Wintershall abgesehen - der Veba Oel selbst, wurde zur „Stärkung des Kerngeschäfts“ von E.ON von dieser an BP - und nicht an die österreichische OMV, die ebenfalls interessiert war und ein Angebot abgegeben hatte - verkauft. OMV-Generaldirektor Richard Schenz gab sich zunächst gelassen: „Die OMV hat bereits jetzt einen Marktanteil von 21 Prozent, BP hält derzeit bei rund 17 Prozent. Nach dem Deal sind OMV und BP gleichauf.“ Durch eine OMV-Aral-Allianz wäre mit einem Schlag ein „großdeutscher“ Konzern mit etwa 3.880 Tankstellen in Europa entstanden. Die vor allem in Ost- und Mitteleuropa starke OMV verfügt über 1.080 Stationen, davon knapp 560 in Österreich.

Das Nachsehen hat der deutsche Steuerzahler: Milliarden Mark sind als Subventionen in die Deminex, und damit ja auch an die Veba Oel, mit dem Ziel gesteckt worden, eine eigenständige heimische Ölindustrie aufzubauen, um ein Gegengewicht zum Kartell der internationalen Multis in der Hand zu haben. Doch die Reserven, die mit diesen Geldern gefunden wurden, werden nun an eben einen dieser Multis verkauft, als gäbe es keine Verpflichtung gegenüber dem deutschen Steuerbürger. Den Veräußerungsgewinn streicht E.ON ein, dazu noch steuerfrei. An den Steuerzahler fließt nichts zurück.

Eine reale Hürde gibt es noch: Der Chef des Bundeskartellamtes, Ulf Böge, will bei der EU- Kommission darauf bestehen, daß die Aral-Übernahme von der deutschen Wettbewerbsbehörde geprüft wird. „Wir stellen einen Verweisungsantrag; darüber muß dann Brüssel entscheiden, ob dem stattgegeben wird“, sagte Böge letzte Woche im Deutschlandfunk. Zuvor hatte das Kartellamt mitgeteilt, daß für den in Brüssel angemeldeten Einstieg des Ölkonzerns Shell bei der RWE-Tochter DEA ein Antrag auf Verweisung nach Deutschland gestellt worden sei. Zusammenschlüsse von Firmen, deren Gesamtumsatz weltweit mehr als fünf Milliarden Euro beträgt, müssen von der EU-Kommission entschieden werden. Böge macht jedoch geltend, daß in Fällen, wenn zwei Drittel des Umsatzes in einem nationalen Markt erzielt werden, die Kartellbehörden des Landes zuständig seien. „Diese hohe Konzentration als solche wird immer Sorgen auslösen“, so Böge.

Die EU-Kommission will nun bis zum 31. August entscheiden, ob sie die Mega-Transaktion genehmigt oder eine bis zu vier Monate lange vertiefte Prüfung einleitet.


 
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