© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
Pluralismus weggetreten!
Bundeswehr: Patriotismus gilt beim Militärischen Abschirmdienst als strukturgefährdend / Oberleutnant der Reserve aus einer Wehrübung entlassen
Kurt Wolff

Mit Ablauf des 16. August 2001 ist der Oberleutnant der Reserve Götz Kubitschek aus einer Wehrübung bei der Führungsunterstützungsbrigade 900 entlassen worden, dies nach dreitägigem Bürokratenkrieg und drei Wochen vor der Zeit. Die Begründung sagt: „In der Zeit vom 23. 6. 1995 bis zum 24. 1. 1997 waren Sie verantwortlicher Redakteur des Ressorts ’Sicherheit und Militär‘ der Publikation JUNGEN FREIHEIT. Sie haben sich somit an rechtsextremistischen Bestrebungen beteiligt. Zusammen mit Herrn Peter Felser sind Sie Autor des Buches ’Raki am Igman‘. In diesem Buch wurde zusammengefaßt unter anderem ausgeführt, daß die Haltung der heutigen deutschen Armee gegenüber ihren Traditionen, dem Dichter Ernst Jäger beispielsweise, zwiespältig sei. In den Soldatengesprächen über das Thema ’Wehrmacht-Ausstellung‘ werde der Widerspruch zwischen der Feigheit von oben und der Courage einzelner dramatisch sichtbar. Schlaglichtartig erscheine die Schizophrenie einer Armee, die ’im Kopf wieder soldatisch sein muß, obwohl sie es nicht mehr sein soll oder darf‘. ... Ihr Verhalten hat sich als Gefahr für das innere Gefüge und der Sicherheit der Bundeswehr erwiesen.“

Jäger und Sammler solcher Beutestücke ist Oberst Klocke vom Militärischen Abschirmdienst (MAD). Kubitschek schilderte den Gesprächsverlauf: „Sie sind ein Extremist!“ - „Wie kommen Sie zu dieser Bewertung?” - „Hören Sie, Herr Oberleutnant: Ich mache hier nur meine Arbeit. Ich gebe nur meine Erkenntnisse weiter.” - „Haben Sie denn irgendein Werk von Ernst Jäger gelesen?“ - „Nein.“ - „Ich auch nicht: Der Autor heißt Ernst Jünger.“ - „Ach so.“ - „Wie können Sie einen Autor zur Begründung eines rechtsextremistischen Verdachts anführen, den Sie gar nicht kennen?„ - „Hören Sie, Herr Oberleutnant, ich erledige hier nur meine Aufgabe.“ - „Das kennen wir.“ - „Werden Sie nicht unverschämt.“ - „Da spricht der richtige.“, und so fort.

Unbeantwortet in Kubitscheks Fall ist zum einen die Kurzfristigkeit des Vorgehens: Wehrübungen sind monatelang im voraus eingeplant. Dem Offizier kurz nach Beginn der Übung die Wehrunwürdigkeit mitzuteilen, ist schlampig oder boshaft. Zum anderen war Kubitschek trotz seiner längst aktenkundigen Redakteurstätigkeit bei der JUNGEN FREIHEIT von Dezember 1997 bis März 1998 im Bosnieneinsatz. Dies legt die Vermutung nahe, daß der Toleranzrahmen enger geworden ist. Auch diese Frage konnte Kubitschek nach eigener Aussage noch nicht klären.

Das Buch, über das Kubitschek stolperte, ist eine Reportagensammlung aus einem SFOR-Einsatz in Sarajewo, die er gemeinsam mit dem damals noch aktiven Oberleutnant Peter Felser verfaßt hat. Es hat in allen wichtigen Bundeswehrorganen, in Zeitungen, Zeitschriften und im Radio Besprechungen erfahren und wird als besonders gelungene atmosphärische Schilderung des Auslandseinsatzes in der Truppe gut verkauft. Die Kapitel schildern den Einsatz-Alltag der Truppe, die Patrouillefahrten über Land, die Begegnungen mit der Zivilbevölkerung und mit Soldaten anderer Nationen. Kritik an der Bundeswehr wird dort formuliert, wo es um das Traditionsverständnis und um die Verletzung grundlegender Führungsprinzipien geht. So muß sich beispielsweise ein Oberstleutnant Kritik gefallen lassen, wenn er nach der zehnten Lagebesprechung noch immer nicht den Namen des meldenden Fähnrichs kennt, ihn jedoch allabendlich beim gemeinsamen Wein erneut fragt, ob er verheiratet sei und schon Kinder habe; dies mit jenem eingeübten Interesse, das einem Vorschlag des Führungshandbuchs folgt, die Untergebenen doch zum Zwecke der Motivation möglichst namentlich anzusprechen und nach den Familienverhältnissen zu befragen.

Auch der andere Autor, Oberleutnant Felser, hat die Quittung für seine Autorschaft erhalten. Er wurde kurz nach Erscheinen des Buches strafversetzt und von weiterer Beförderung ausgeschlossen. Er verlor seinen Rechtsstreit, weil es dem Justizapparat der Bundeswehr gelang, den Fall in kleine Bausteine zu zerlegen und auf formalem Weg zu gewinnen. Während der gesamten Zeit des Verfahrens und des Verlustes der Ehrenrechte eines Offiziers hat Felser kein klares Gespräch über den Extremismus-Vorwurf führen können. Versiert verschanzten sich ranghohe Offiziere hinter juristischen Floskeln und thematisierten wahlweise die Versetzung oder den Beförderungsstopp, dies jedoch losgelöst vom Hintergrund des eigentlichen Vorwurfs: als Patriot eine Gefahr für die militärische Sicherheit und Ordnung der Truppe zu sein.

Die Bundeswehr sucht sich über Anzeigen in der taz und in sanften Personalgesprächen einen anderen Typ Offizier: Eloquenz, Teambegabung, Diskursfähigkeit. Wer beispielsweise in Koblenz zur Wehrübung kommandiert wird, lernt den Nabel der Armee kennen. Das dort ansässige Heeresführungskommando wurde bei seiner Aufstellung vor Jahren als erster Schritt zum neuen deutschen Generalstab begrüßt: neue deutsche Souveränität, die besten Strategen zur Führung der Auslandseinsätze und Großmanöver um lange Kartentische geschart, durch die Türen gleiten Adjutanten mit Lageänderungen auf Meldeblöcken. Heute weiß man, daß diese Hoffnungen vergebens waren. Der Eingang gleicht dem irgendeiner Firma, der wehrübende Oberleutnant der Reserve wird im Hotel untergebracht und verliert sein letztes Restchen Kriegsgott, wenn er in gedämpften Fluren seinem Major hinterhertrabt, in juristischen Formeln zu denken beginnt, um bald auch vom Schreibtisch aus die Staatsbürger in Uniform zu verwalten.

Zum Verwalter des Personalstammamtes der Bundeswehr ist Generalmajor von Scotti geworden. Er war vor einigen Jahren als Divisionskommandeur der letzten Panzergrenadierdivision in den Neuen Ländern erst wenige Monate im Amt, als er als politisches Königsopfer versetzt wurde: In seinem Divisionsbereich lag mit Schneeberg jener Ort, am dem einige Soldaten auf Video Vergewaltigungs- und Erschießungsszenen nachgestellt hatten. Aufgrund dieser Bilder stellte die Öffentlichkeit damals das komplette Ausbildungskonzept der Bundeswehr für den Auslandseinsatz in Frage. Generalmajor von Scotti, der zum Zeitpunkt der Vorfälle noch nicht im Amt war und selbst dann als Divisionskommandeur keinen Einfluß auf die Umtriebe einiger einfacher Soldaten gehabt hätte, wurde vom damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) einer Konsequenzen fordernden Opposition zum Opfer gebracht. Zu seiner Verabschiedung kamen ungewöhnlich viele hochrangige Offiziere zusammen. Sie demonstrierten damit, mit Rühes Vorgehen nicht einverstanden zu sein. Die Entlassung des Oberleutnants der Reserve Kubitschek ist unterzeichnet von Generalmajor von Scotti.

 

Das Buch „Raki am Igman“ ist über den JF-Buchdienst oder über jede Buchhandlung (ISBN 3-935063-11-3) erhältlich. Es ist in zweiter, erweiterter und überarbeiteter Auflage erschienen und kostet 24 Mark.


 
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