© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
Mediencoup statt Frieden
Israel: Die Nahost-Reise von Außenminister Fischer führt in ein Land am Rande des Krieges
Ivan Denes

Bundesaußenminister Joseph Fischer war diese Woche auf Nahostreise. Als er im Juni in Tel Aviv weilte, bescherte ihm die Geschichte - in Form eines Selbstmordanschlags auf die Diskothek „Dolphinarium“ - einen großen Auftritt auf der internationalen Bühne. Der Grünen-Politiker eilte zu Yassir Arafat und drängte diesen, Waffenstillstandsverhandlungen zuzustimmen. Er soll sogar den Text diktiert haben, unter den der Palästinenserführer seine Unterschrift setzte. Was Fischer damals nicht wußte oder nicht zur Kenntnis nehmen wollte: nach jedem größerem Anschlag drückt Arafat sein Beileid aus und bietet einen sofortigen Waffenstillstand an - aus blanker Angst vor der Vergeltung. Arafat bricht systematisch sein Wort, seine Unterschrift ist nicht das Papier wert, das sie trägt. Das haben nicht nur Israelis erfahren, das haben auch Jordanier und Libanesen gleichermaßen erlebt und teuer bezahlt. Kein Zufall, daß Premier Ariel Scharon Arafat als „pathologischen Lügner“ bezeichnete.

Ob Fischer persönlich als Friedensstifter im Nahostkonflikt taugt, bleibt eine offene Frage. Vom früheren Parteigänger Arafats und der PLO bis zu seinem wiederholtem Bekenntnis, deutsche Außenpolitik werde von Auschwitz bestimmt (und zwischen Auschwitz und der Gründung Israels gibt es einen gewissen Kausalzusammenhang), ist es ein langer ideologischer Weg, voller Windungen und Wandlungen, die nicht gerade zur erhöhten Glaubwürdigkeit Fischers beigetragen haben.

Seit dem letzten Fischer-Besuch im Nahen Osten hat sich die Lage erheblich geändert. Der Tenet-Waffenstillstand und der Mitchell-Plan sind an Arafat und seinen islamistischen Verbündeten - der Hamas und dem „Islamischen Heiligen Krieg“ (Dschihad Islami) - gescheitert. Laut der jüngsten Planung des israelischen Generalstabes ist eine langjährige Konfrontation zu erwarten. Nur hat sich inzwischen die geopolitische Lage erheblich verändert. Syrien und der Irak haben sich ausgesöhnt und ein militärisches Bündnis geschlossen - zwecks gemeinsamen Vorgehens gegen Israel. Die Türkei hat ihr Bündnis mit Israel erweitert und der Stationierung israelischer Kampfflugzeuge auf türkischen Stützpunkten zugestimmt. Zuverlässigen diplomatischen Quellen in Nikosia zufolge haben Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien unter der stillschweigenden Zustimmung des Weißen Hauses beschlossen, anstelle Arafats den arabischen Standpunkt in der Palästina-Frage selbst in die Hand zu nehmen. Anders ausgedrückt bedeutet dies eine Rücknahme des Beschlusses des arabischen Gipfels von Rabat im Jahr 1974: Arafats alleiniges Recht, das palästinensische Volk zu vertreten, wird ihm von arabischer Seite aberkannt! Es zeichnet sich das Ende der Ära Arafat ab. In diesem äußerst kompliziert gewobenen Netz von Interessen und Kräftefeldern will jetzt der charmante politische Gartenzwerg von der Spree als Vermittler und Friedensstifter auftreten. Es liegt auf der Hand: Bei dieser Reise geht es weniger um politische Substanz als vielmehr um einen Medien-Coup Fischers, der natürlich von unseren linkslastigen Medien, von taz bis Ulrich Wickert, mit großen Beifall verfolgt werden wird.

Die Nahost-Berichterstattung ist bei uns haarsträubend einseitig. Wenn palästinensische Heckenschützen morden und die israelische Armee Vergeltung übt, werden meist nur die arabischen Opfer gezeigt. Rücken israelische Panzer für drei Stunden in Dschenin ein, nehmen dort eine Zentrale des Dschihad Islami aus und befreien 70 Gefangene aus dem Gefängnis, auf die das Standgericht wartet - wegen ihrer Zusammenarbeit mit Israel -, wird über eine „Neubesetzung der palästinensischen Gebiete“ berichtet. Besetzt die Israels Polizei nach dem Blutbad in der Jerusalemer Pizzeria das Orienthaus in Ostjerusalem - anstelle eines Gegenschlages -, wird von einer „Provokation“ gesprochen, ohne zu erwähnen, daß in den Osloer Vereinbarungen klipp und klar festgeschrieben wurde, daß die Palästinenser in Jerusalem lediglich kulturelle und erzieherische Aktivitäten entfalten sollen. Das 1897 erbaute Orienthaus war aber längst in ein inoffizielles palästinensisches Außenministerium umfunktioniert, wozu EU-Diplomaten intensiv beigetragen haben. Das weiß Fischer genau, aber er schweigt. Es ist nicht opportun, würde Ex-Kumpan Daniel Cohn-Bendit sagen.

Will man aufrichtig sein, geht diese Einseitigkeit auf einen Denkfehler zurück, auf eine grundsätzliche Gleichsetzung der Rücksichtslosigkeit, die die sogenannte Ostküste in den letzten fünf Jahren bezüglich der Entschädigungszahlungen gegenüber europäischen Ländern an den Tag legte, mit der israelischen Politik. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Schweiz, die Niederlande oder Frankreich. Und dahinter stecken irgendwo ganz in den Tiefen die in der zweiten Reihe des Bücherregals versteckten „Protokolle der Weisen von Zion“, der unselige Mythos vom Trachten des internationalen Judentums nach der Weltherrschaft. Tatsächlich geht es aber um das nackte Überleben Israels.


 
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