© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
Pankraz,
der Fußball und die Sache mit den Leibchen

Sehr amüsiert hat Pankraz ein Spiegel-Bericht über neue Gebräuche im deutschen Sportjournalismus. Danach müssen jetzt Reporter bei Spielen der Fußball-Bundesliga verschiedenfarbige Überwesten (sogenannte „Leibchen“) tragen, um für Funktionäre, Trainer und Aktive sofort als Abgesandte „zahlender“ bzw. „nichtzahlender“ Medien kenntlich und abschätzbar zu sein.

Reporter des (horrend zahlenden) Pay-TV-Senders „Premiere“ tragen rote Leibchen und dürfen deshalb überall hin, dürfen alle anquatschen und kriegen die besten Stammplätze für ihre Kameras. Reporter des Senders Sat. 1 tragen blaue Leibchen und weisen sich dadurch als ebenfalls zahlende „Zweitverwerter“ aus, denen man zwar keine Voll-Interviews gibt, die aber immerhin das Recht genießen, den Stadion-Innenraum zu betreten, Fragen zu stellen und später die schon bei Premiere gesendeten Bilder noch einmal aufzubereiten.

Reporter und Kameraleute des ZDF als Gerade-auch-noch-Zahler tragen grüne Leibchen. Sie sind als Drittverwerter drittklassig, dürfen sich jedoch in den Presseräumen der sogenannten „Mixed Zone“ um gewisse, noch verwertbare Infoschnipsel balgen.

Wer überhaupt kein Leibchen zugeteilt bekommt, ist schlimm dran, muß schon froh sein, wenn er eine Pressekarte für einen schlichten Tribünenplatz ergattern kann. Darüber habe sich, erfährt man, ein großes Wehklagen unter gestandenen Altgedienten der Branche erhoben. Man spricht von einer „neuen Klassengesellschaft“ und fordert mit Emphase „ein Leibchen auch für informationell Unterprivilegierte“.

Wieso ist man dort eigentlich so scharf auf Leibchen? Wo ist denn die sprichwörtliche Verwegenheit des Reporterstandes geblieben, der, wie doch oft zu lesen ist, wenn nicht über Leichen, so doch zumindest über Leibchen geht, um - koste es, was es wolle - an Topinformationen oder an das, was er dafür hält, heranzukommen?

Wieso ziehen sich die unterprivilegierten Reporter nicht einfach selbstgefertigte Westen verschiedener Färbung über, um die Stadionwächter zu überlisten? Wieso betteln sie um Pressekarten und exklusive Pressekabinenplätze, obwohl sie (oder ihre Arbeitgeber) reich genug sind, um sich Dutzende von Eintrittskarten zu kaufen, und ein Handy vom Platz in der Nordkurve völlig genügen würde, um eine gute Reportage hinzukriegen und abzuliefern?

Außerdem gibt es doch noch Richtfunkmikrophone und außerordentliche Weitwinkelobjekte, mit denen man faktisch an alle gewünschten Szenen und auch an alle von Aktiven und Trainern hingestammelten Interviews herankäme - wenn man nur wollte! Aber man will offenbar gar nicht.

Während einem (im berüchtigten Paparazzi-Journalismus) der Schutz der Privatsphäre der „geschossenen“ Prinzessinnen und ihrer Kinder völlig gleichgültig ist, respektiert man im Fußball-Journalismus die Geschäftsinteressen der Vereine mit fast demütiger Ehrfurcht. Und dabei ist noch gar nicht festgelegt, geschweige denn kodifiziert, wie weit solche Geschäftsinteressen legitimerweise reichen dürfen. Ist der deftige Fluch eines Spielers, dem sein Gegner soeben in die Hacken getreten hat, ein kostbares Eigentum, das den vollen Schutz der bürgerlichen Gesellschaft genießt? Darüber würde man gern einmal ein Gutachten aus der Feder von Herrn Rechtsanwalt Matthias Prinz aus Hamburg lesen.

Zugeben muß man freilich, daß die Sache mit den Leibchen Zukunft hat. Bei der bekannten Enge der Beziehungen zwischen Fußball und Berliner Politik dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Pressereferenten im Kanzleramt und bei den Parteien darüber nachzudenken anfangen, ob man nicht auch für die „Meute“ der tagtäglichen medialen Politikbeobachter obligatorische farbige Leibchen ausgeben sollte, um die wichtigen von den unwichtigen, die genehmen von den ungenehmen zu sondern.

Zwar gibt es auch jetzt schon ziemlich viele Möglichkeiten der Unterscheidung, Mitgliedsausweise für die Bundespressekonferenz Eintrittsgenehmigungen für Reichstag und diverse Ministerien, informelle Einteilung nach Sympathisanten bzw. verfassungsfeindlichen Kräften. Aber die Ausgabe von Leibchen würde die Differenzierung ungemein erleichtern. Die Irrtumsquote würde reduziert, Politiker müßten sich weniger davor fürchten, einen Fragesteller nicht gleich erkannt und eventuell einem „feindlichen Medium“ eine Stellungnahme gegeben zu haben.

Eine Frage bliebe allerdings: Wer bezahlt wen? Beim Fußball ist die Konstellation klar. Die Journalisten bezahlen die Vereine, und wer bezahlt, der darf sehen, mit dem wird gesprochen und der darf in den Stadion-Innenraum. Dafür ist die Ware, die geboten wird, schlicht und quasi unverderblich. Der Ball ist rund, er wird getreten, und alles nachträgliche Darübersprechen ändert nichts mehr am Resultat. Bei der Politik liegen die Dinge verwickelter.

Dort gibt es selbst in der ersten Liga, also bei den Mitgliedern der Regierung, der Parteivorstände und des Bundestages, Spieler, die rein gar nichts zu verkaufen haben und deren Meinung über gelegte oder ungelegte Eier niemanden interessiert. Manche von denen würden selber viel Geld bezahlen, um wenigstens einmal in die Medien zu kommen.

Die anderen, die wenigen wirklichen Stars, liefern Ware, die nichts weniger als rund und eindeutig ist. Sie entsteht meistens erst, indem man sie beredet, und Voraussetzung dafür ist, daß der Reporter einvernehmlich mitspielt, daß er die Steilvorlage, die ihm vom Politiker zugespielt wird, makellos annimmt und ohne viele Sperenzchen vor das gegnerische Tor trägt. Die Partner bezahlen sich also gegenseitig, die Me-dienvertreter sind Teilnehmer des Spiels, nicht bloße Berichterstatter. Warum sollten solche Medienvertreter eigentlich keine farbigen Leibchen tragen?


 
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