© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
Deutschland im Freibad: Alles ist möglich, nur keine Erholung
Ballermann ist überall
Ellen Kositza

Der Badesee in Fahrradnähe ist umgekippt, hat still Adieu gesagt für diesen Sommer, hatte Hundekacke, Menschenurin und Sexualschweiß brünstige Spanner endlich dicke gehabt, ließ Algen wuchern und brütet nun stinkend in den September hinein. Bleibt zur Abkühlung die Alternative Freibad. Derlei Freizeitstätten wiederum waren vor Ort - Rhein-Main - übel beleumundet diesen Sommer, derart, daß die Lokalpostille bereits dazu übergegangen ist zu melden, wenn sich einmal kein Vorfall der besonderen Art ereignet hat. Hatten doch in Egelsbach (Kreis Offenbach) Mitglieder einer mobilen ethnischen Minderheit beim dortigen Freibadmeister die Erlaubnis zu einem gechlorten „Taufzeremoniell“ eingeholt, um daraufhin mit Hunderten Sipplingen, die das Eintrittsentgelt freilich verweigerten, mittels ausufernder Randale Becken und Umgebung in eine Müllhalde zu verwandeln.

Ein furioses Ereignis mit Nachahmungswert, ähnliches wiederholte sich wenig später inklusive kollektiver Unterwäschenreinigung im Offenbacher Rosenhöhe-Bad, wo anno dazumal Michael Groß seine Bahnen zog. Auch dort mag sich der ethnische Mehrheitsbürger nun nicht mehr erholen. Dieserart noch unbescholten lockt das Waldbad in städtischer Randlage, gegen Abend erst, so plant man vorausschauend, wenn die UV-hungrige Masse zumindest in Teilen dem heimischen Abendbrot zupilgert - jedoch: von wegen! Halb sechs, das ist eben nicht nur die Stunde nach Papis Feierabend im schwülen Büro, es dürfte zudem die Zeit sein, in der die letzte Talkshow ausgelabert hat und die Jugend vor der Glotze hervorquillt.

Hier trifft sich das Publikum von Bärbel, Andreas und Nicole, hier geht Deutschland baden, hier wird gnadenlos enthüllt, was besser bedeckt bliebe, Hühnerbrüste und Blähbäuche, fleischliche Schwimmringe treiben neben solchen aus Plastik. Handtuch neben Handtuch, durch Kühltaschen abgegrenzt, eben noch auf Mallorca, jetzt hier, „Keviihn!“ und „Dschaggliin!“ dröhnt es über das Gelände. Die Unter-Zehnjährigen toben auf hessisch, dem wohl einzigen Idiom, das, konsequent praktiziert, bereits aus Kindermund irgendwie ordinär klingt. Die Adoleszenten hingegen üben sich beflissen in kultiger „Kanak-Spraak“, isch schwör, weißt du, voll korrekt. Entspannung: unmöglich. Noch weniger in der dampfenden Chlorbrühe, der Blick auf die drei Becken läßt an einen vergangenen Tokio-Besuch denken. Dort steht man in rundumbetonierten Freibädern Haut an Haut in Mammutbecken, menschenfrei erreicht der Wasserpegel keinen halben Meter, bei gewöhnlicher „Badenden“-Frequenz steht’s dem Durchschnittsjapaner bis zum Hals. Alle halbe Stunde ertönt eine Sirene, man hat das Bassin zu verlassen: Keiner zwischendurch und unbemerkt zu Boden gegangen, prima, wieder rein ins feuchte Vergnügen. Bei quantitativ vergleichbarer Menschenfüllung fehlen die halbstündlichen Kontrollen hier.

Vom Dreimeterbrett springt winkend wieder und wieder ein älterer Erwachsener, der Rudi Völler ähnelt. Es ist die persönliche Feier seines zweiten Frühlings, die jüngere Freundin im netten Blümchenkleid guckt von der Bank aus zu, winkt schüchtern zurück und schämt sich ein bißchen.

Kann nicht einer das Kind abstellen, denke ich etwas später laut und entnervt, nachdem der Grundschüler auf dem Handtuch nebenan schon eine halbe Stunde schamlos kreischt, weil die Pommes wieder alle sind. Hätt’ ich solche Brüste, würd’ ich auch weinen, erklärt mein Begleiter den tieferen Konflikt des greinenden Knaben. Tatsächlich ist es die Generation Fettsack, die da heranwächst, junge Wülste und hängendes Fleisch allüberall, Zehnjährige mit unverschämtem Bauchnabelpiercing, bar jedes ästhetischen Gefühls in den prallen Wanst gerammt.

Der Streß mit der Brut setzt auch einer Mutter von zwei niedlichen Milchkaffee-Teint-Buben zu, Hör uff, du klaaner Wichser, entfährt es ihr spontan, als der Sohn - Kindergartenformat - sie mit einem grellen Plaste-Pumpgun bespritzt. Ja, die Hitze, und man kann halt nicht raus aus seiner Haut. Das können schon gar nicht die ungezählten Tätowierten, da kriechen Schlangen in erschlaffende Dekolletes, bunte Schmetterlinge prangen auf Hinterteilen von gewesener Attraktivität, und so mancher Gockel mit stolzgeschwellt gemusterter Brust und Oberarmdrachen wird doch nur als wandelnde Litfaßsäule wahrgenommen. Augen zu und durch langt aber nicht, wenn es gilt, den Weg zur Bedürnisanstalt zu wagen, Mund auf, Nase zu ist hier das Gebot der Stunde. Wasser, Schweiß und Gemisch, wo eh alles naß ist, darf man die Klo-Öffnung auch großzügig nehmen, mag sich mancher Mensch gedacht haben, und so flutet es bereits gelb durch die Tür. Tolle Pfütze, finden zwei Kleine und hüpfen, daß es spritzt. Wieder im Freien, stehen dort ein paar Dreizehnjährige, ihrer Jungfräulichkeit seit geraumer Zeit überdrüssig, in Push-up-Bikinis neben einer Gruppe Marokkaner an den Startblöcken und bemühen sich verkrampft um Coolness. Kommt einer der verwegenen Schwarzgelockten, schnippt die Kippe lässig ins Becken, fragt „Ficken?“ im Vorübergehen und erntet verlegenes Kichern. Ein bißchen anders stellt man sich das ja schon vor.

Träge Lüsternheit liegt in der Luft und findet sonderbare Ventile, Mutti schmiert Papa den Rücken ein, entfernt nebenbei einen Pickel, ein Schmalbrüstiger plaudert vom Becken aus mit der begehrten Klassenkameradin, kann aber nicht raus, um ihren Rücken einzusalben, nicht, solange sie so vor ihm hockt - Chance vertan. Wer gar niemanden hat zum Beschmieren, fingert sich derweilen an den eigenen Fußnägeln herum oder widmet sich der beliebten Ersatzbefriedigung - Essen fassen, inklusive flüchtiger Kommunikationsbedürfnisbefriedigung beim Schlangestehen - „des is e Hitz’“ - „dass mer hiä gar net vorankimmt“, ein letzter Trost, wo, nicht nur mit Blick auf die Figur, doch sonst alles dahin ist.

Die Dämmerung naht, und auch der Herbst steht vor der Tür, Deutschland wird wieder schöner werden.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen