© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
„Nicht die Nerven verlieren“
Hans-Jürgen Folkerts, Chef-Ausbilder der Bundeswehr für Auslandseinsätze, über die Vorbereitung auf die Mazedonien-Mission
Moritz Schwarz

Herr Oberst, Sie sind Leiter des VN-Ausbildungszentrums der Bundeswehr (VN=Vereinte Nationen), das die deutschen Soldaten auf ihre Einsätze im Ausland vorbereitet. Seit gut zwei Jahren stehen unsere Soldaten bereits im Kosovo, noch länger in Bosnien. Wann kehren unsere Truppen endlich heim?

Folkerts: Die Frage ist: Was ist das politische Ziel? Wenn es unser Ziel ist, den Frieden langfristig sicherzustellen, dann kann das sogar noch eine ganze Generation dauern, bis sich dort der Haß in Versöhnung gewandelt hat. Ich hoffe aber, daß diese Aufgabe nicht bis zuletzt von Soldaten durchgeführt werden muß, sondern daß dies schließlich von zivilen Organisationen übernommen werden kann. Insofern sehe ich unsere Soldaten, mit etwas Glück, schon in ein paar Jahren endgültig heimkehren.

Statt einer Heimkehr wird nun wohl auch noch eine Entsendung nach Mazedonien beschlossen. Ist denn der Balkan überhaupt „die Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert“?

Folkerts: Das ist natürlich eine schwerwiegende Frage. Heuzutage aber ist Landesverteidigung Bündnisverteidigung. Wenn wir in der Welt eine Rolle wahrnehmen wollen, so müssen wir auch entsprechend Verantwortung übernehmen. Es ist schon unsere Pflicht, mit dazu beizutragen, daß etwa auf dem Balkan nicht mehr gemordet und gefoltert wird. Wenn wir die Charta der Vereinten Nationen ernst nehmen wollen, dann müssen wir auch für sie einstehen. Allerdings ist das meine persönliche Meinung, die Entscheidungen in dieser Hinsicht trifft natürlich die Politik. Mich überrascht allerdings nicht, daß sich sogar Wehrdienstleistende für diese Einsätze melden. Mein Gott, das ist doch was, wenn ein junger Mann sagen kann: „ Ich habe mit dazu beigetragen, daß hier das Morden, Foltern, Vergewaltigen und Vertreiben aufgehört hat!“

Haben Sie Verständnis für Soldaten, die darauf bestehen, ihr Leben nur für die Verteidigung des Vaterlandes zu geben?

Folkerts: Wenn ich von der Gültigkeit der Menschenrechte überzeugt bin, dann gelten diese nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen Menschen. Also darf ich die Augen vor dem, was etwa auf dem Balkan geschehen ist, nicht einfach verschließen.

Unsere Soldaten haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg - per Gelöbnis auf das Grundgesetz - verpflichtet, nicht mehr an einem Angriffskrieg teilzunehmen.

Folkerts: Erstens führen wir auf dem Balkan gar keinen Krieg, und außerdem würde ich antworten: Wenn die Politik uns mit diesem Auslandseinsatz beauftragt, weil sonst die dortigen Probleme zu uns kommen, dann dient man doch auch dort der Bundesrepublik Deutschland, indem man den Konflikt dort löst und nicht hier.

Also der deutsche Weltsoldat?

Folkerts: Damit will ich nicht dem Weltsoldaten das Wort reden. Ich denke die Politik hat bereits deutlich gemacht, daß unser Verantwortungsbereich in etwa Europa und seine Anrainer ist.

Jeder deutsche Soldat, der in einen Auslandseinsatz geht, geht durch Ihre Schule. Welche Aufgaben hat das VN-Ausbildungszentrum im einzelnen?

Folkerts: Wir bereiten die Einsatzverbände und die Führer der Einsatzunterstützungskräfte auf ihre Verwendung im Ausland - etwa in Bosnien oder im Kososvo - vor. Zweitens schulen wir die Militärbeobachter, die - mit dem blauen Helm oder dem blauen Barett - wie etwa in Georgien Waffenstillstandsvereinbarungen überwachen. Drittens bilden wir aus für alle Unternehmungen, die unter der Rubrik „partnership for peace“ laufen - das ist die Kooperation unter anderem mit den Ländern außerhalb der Nato.

Der zentrale Begriff für Auslandseinsatz, wie jetzt in Mazedonien ist der der „rules of engagement“. Was verbirgt sich dahinter?

Folkerts: Die rules of engagement sind in der Tat wesentliche Basis für jedes Engagement deutscher Truppen im Ausland. Dahinter verbergen sich die mit allen relevanten Konfliktparteien eines Krisenherdes vereinbarten Regeln, die den Rahmen für jedwede militärische Operation abstecken. Sie orientieren sich erstens am Mandat, das die Interventionstruppen von einer internationalen Organisation - etwa den Vereinten Nationen - erhalten, zweitens haben die beiteiligten Staaten - die ja die Truppen stellen - Einfluß auf ihre Formulierung. Und drittens müssen sie von der Regierung oder den Rebellengruppen des Krisengebietes akzeptiert werden. Sie stellen also sozusagen den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Beteiligten dar, um die Probleme im Krisengebiet konstruktiv und möglichst gewaltfrei zu lösen. Nur wenn wir uns strikt an die in den rules of engagement festgelegten Grundsätze halten, können wir erwarten, daß auch die anderen Parteien ihre Verpflichtungen einhalten. Hier findet sich zum Beispiel die Anwendung von Waffengewalt geregelt: Also etwa, ob die Truppen Gewalt nur zur Selbstverteidgung einsetzen dürfen oder auch zur Durchsetzung ihres Auftrages. Und wenn ja, wann und in welchem Maße etc. Diese Regeln sind für jeden Einsatz neu auszuhandeln.

Das heißt, die „rules of engagement“ beschreiben dem Soldaten die Situation, so wie er sie wahrnehmen soll?

Folkerts: Sie sind sein täglich Brot. Wenn es da heißt, eine gewisse Grenze ist nicht zu überschreiten, dann wird sie auch nicht überschritten - beinahe egal, was dahinter geschieht. Wenn es da heißt, reagiere nicht auf gewisse Provokationen, dann muß der Soldat sie auch konsequent ignorieren.

Was passiert, wenn die „rules of engagement“ in Widerspruch zu den militärischen Erfordernissen stehen?

Folkerts: Fest steht, daß einmal akzeptierte rules of engagement eingehalten werden müssen, denn sonst stellt das den gesamten Einsatz in Frage. Es ist aber vorstellbar, daß die Bundesrepublik Deutschland gewisse Vorstellungen und somit auch rules of engagement nicht akzeptiert und Deutschland demzufolge keine Truppen schickt.

Zum Beispiel?

Folkerts: Wenn rules of engagement etwa nicht zulassen würden, daß Nothilfe geleistet werden könnte, dann wäre vorstellbar, daß solch ein Einsatz für uns nicht in Frage käme. Denn solche rules of engagement verstießen gegen Erziehung und Ethik des deutschen Soldaten.

Sind die „rules of engagement“ aber einmal unterzeichnet, steht der Einsatz unter ihrer Oberhoheit. Wird die Truppe dadurch nicht der Möglichkeit beraubt, sich nach den eigenen Interessen oder militärischen Erfordernissen zu verhalten?

Folkerts: Der Befehlshaber vor Ort darf sich in der Tat durch mögliche und vermeintliche taktische Erfordernisse nicht dazu verleiten lassen, die rules of engagement zu überschreiten. Insofern stimme ich dem zu.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Folkerts: Etwa, wenn ein Konvoi mit Lebensmitteln von A nach B fährt und es ihm die rules of engagement verbieten, den Auftrag mit Waffengewalt durchzusetzen. Wird er nun aufgehalten, dann muß er verhandeln - vielleicht zehn Sack Reis zurücklassen - oder eben umkehren.

Wie bereiten Sie die Soldaten auf Einsätze wie jetzt in Mazedonien vor?

Folkerts: Die Einheitsführer haben zum Beispiel eine umfangreiche Planübung zu bestehen, die alle Aspekte so eines Einsatzes vermittelt. Teil der Planübung ist auch ein Szenario, in dem die Soldaten mit einer Demonstration konfrontiert werden, die in Teilen gewalttätig ist. Schließlich ist zu erkennen, daß der Einsatz von Molotow-Cocktails vorbereitet wird. Zudem eröffnet auch noch ein Scharfschütze aus einem nahen Hochhaus das Feuer auf die Soldaten. Welcher Waffeneinsatz ist nun wann und wo erlaubt oder geboten? Solche Situationen werden dann auch in der praktischen Ausbildung nachgestellt. Wir konfrontieren die Soldaten also mit einer Vielzahl von Streßfaktoren gleichzeitig, die Reaktionen auf ganz unterschiedlichem Niveau verlangen. So darf es etwa nicht passieren, daß die Truppen ob des Scharfschützen und der Molotow-Cocktails gegenüber den normalen Demonstranten die Nerven verlieren.

Dabei geht es nicht um falsch oder richtig.

Folkerts: Sicher gibt es auch „falsch und richtig“, aber vor allem gibt es „zweckmäßig und unzweckmäßig“. Der Soldat soll nicht eine Muster-Lösung lernen, sondern in die Lage versetzt werden, selbständig eine eigene - natürlich je nach Situation die jeweils zweckmäßigste Lösung - zu finden. Wenn er dabei freilich gegen die rules of engagement verstößt, so wird die Übung sofort unterbrochen und der Soldat muß sein Vorgehen selbst auf den Regelverstoß hin „abklopfen“.

Wie reagieren die Soldaten auf diese Anforderungen, denn sie weichen ja ab vom klassischen militärischen Vorgehen?

Folkerts: Die Soldaten sind in der Regel begeistert von der Ausbildung, die wir mit ihnen machen. Das liegt vor allem daran, daß hier ihr persönlicher Einsatz in so hohem Maße gefordert wird und man mitdenken muß. Zwar wird auch im klassischen Einsatz selbständiges und differenziertes Handeln erwartet - Stichwort Kriegsvölkerrecht -, aber durch das erweiterte Aufgabenspektrum ist das Verhalten nach Recht und Gesetz noch weiter in den Mittelpunkt des Denkens gerückt. Und das wird in Zukunft auch noch weiter zunehmen, denn was heute noch bei K-FOR gültig sein mag, kann morgen bei X-FOR schon ganz anders sein.

Anders als das Klischee „Soldaten sind Mörder“ nahezulegen versucht, zeigte sich, daß die deutschen Soldaten anfangs sogar Hemmungen beim Einsatz ihrer Waffen hatten.

Folkerts: In der Tat hatten in dem einen oder anderen Fall unsere Soldaten anfangs Skrupel, ihre Waffen einzusetzen, wo es geboten gewesen wäre. In jedem Übungs-Parcours ist deshalb auch ein worst-case-Szenario („schlimmster anzunehmender Zwischenfall“) mit enthalten, damit die Männer in der Frage des Waffeneinsatzes auch Sicherheit erlangen.

Woran lag diese bei Soldaten doch eher unerwartete Zögerlichkeit?

Folkerts: Der Umgang mit Schußwaffen war in der Bundeswehr eben immer ein sehr bewußter. Der Waffeneinsatz wird bei uns als ernste Angelegenheit behandelt, und so hatten sich die Soldaten erstmal an die neuen Bedingungen im Einsatz zu gewöhnen. So mußte die Truppe, die - noch vor Beginn des Kosovo-Einsatzes - die Evakuierung von Zivilisten auf dem Flughafen von Tirana deckte und in albanisches Feuer geraten waren, von ihrem Zugführer erst dazu ermuntert werden zurückzuschießen.

Wie ist das Ausbildungszentrum eigentlich entstanden?

Folkerts: Als mit dem Engagement in Somalia klar wurde, daß die Bundeswehr Truppen auch für den Auslandseinsatz würde ausbilden müssen, hat man sich 1993 umgesehen: Wer hat denn die Kompetenz, so etwas zu machen? So stieß man auf die Infanterieschule Hammelburg. Die Ausbildung hier in der Schule wurde im Zuge immer neuer Auslandsengagements immer weiter ausgebaut und zum 1. Oktober 1999 schließlich unter dem Dach des VN-Ausbildungszentrums zusammengefaßt. Hammelburg und der 30 Kilometer entfernt gelegene Truppenübungsplatz Wildflecken eignen sich auch besonders deshalb, weil sie eine ausgezeichnete Infrastruktur haben.

Wie haben Sie sich zu Beginn die Grundlagen erworben?

Folkerts: Ganz zu Anfang haben wir uns die Erfahrungen anderer Armeen angeschaut, vor allem die Österreicher haben uns geholfen. Dann haben wir aber schnell soviel an eigener Kompetenz entwickelt, daß inzwischen die anderen unsere Konzepte als beachtenswert erachten. Zum Beispiel kommen mehr als die Hälfte der Teilnehmer für unseren Militärbeobachter-Lehrgang inzwischen aus dem Ausland. Übrigens kommen auch viele Ausbilder aus anderen Armeen zu uns, so daß das Zentrum seinen Lehrgangsteilnehmern ein breites Spektrum an internationalen Erfahrungen vermitteln kann. Genauso entsenden aber auch wir eigene Ausbilder an die Ausbildungszentren anderer Nationen.

Außer Soldaten bilden Sie auch Journalisten für den Einsatz in Krisengebieten aus?

Folkerts: Weltweit sind 1999 in Spannungsgebieten 87 Journalisten getötet, 99 gefangen und 726 bedroht worden. Deshalb bieten wir der Presse eine „Basiseinweisung“ an, um die Überlebenschancen der Berichterstatter zu erhöhen. Das findet großen Zuspruch, inzwischen haben wir eine Warteliste bis 2003.

Die Mazedonien-Mission hat bereits einen ersten Toten auf Seiten der Nato gefordert. -Eines Tages wird passieren, was bislang alle verdrängen: deutsche Soldaten werden fallen.

Folkerts: Auch darauf bereiten wir vor, vom Streß-Management hin bis zu der Frage, wie organisiert der Einheitsführer die Trauer. Emotionen sind ein Faktor, den wir bei unserer Ausbildung durchaus berücksichtigen.

Streß-Management?

Folkerts: Ja, ein Ausbildungsthema etwa an unserer Geiselstation. Es geht darum, mit dem eigenen Streß fertigzuwerden - durch Atemtechniken, isometrische oder Konzentrationsübungen -, um möglichst schnell wieder voll aktionsfähig zu werden.

Haben Sie aber nicht Angst vor einem großen Aufwachen unter den Deutschen, sollten einmal mehrere deutsche Soldaten auf einmal fallen?

Folkerts: Ich bedauere, daß die Gesellschaft sich dieses Tabuthemas bislang nicht zuwendet. Es ist nicht einfach für Soldaten, sich in einer Gesellschaft, die das Sterben ausgrenzt, mit dem Tod so intensiv auseinandersetzen zu müssen. Und dabei geht es nicht nur um das eigene Leben oder das der Kameraden, auch das der Zivilpersonen. Viele Soldaten sind, wie ich auch, im Kosovo oft auf Leichen gestoßen.

Sie sprachen eingangs davon, der Verantwortungsbereich der Bundeswehr bleibe wohl auf Europa beschränkt. Wir waren aber auch schon in Somalia, Kambodscha und Osttimor, Länder, die zuvor wohl kaum ein Bundeswehrsoldat überhaupt gekannt hat. Werden wir bei dem gegenwärtigen Kurs - nibelungentreu den USA überallhin zu folgen - nicht zwangsläufig in ein unheilvolles Weltengagement hineingezogen?

Folkerts: Sicherlich sollte man diese Frage ernst nehmen, aber wir Soldaten unterliegen dem Primat der Politik. Diese Sorge müssen Sie den Politikern unterbreiten

 

Oberst Hans-Jürgen Folkerts Leiter des Ausbildungszentrums für die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Geboren 1946 in Bunderhee / Ostfriesland, trat er 1966 in die Bundeswehr ein. Nach verschiedenen Verwendungen in der Panzertruppe wurde er Kommandeur des Panzerbataillons 224 in Pfreimd. Von 1990 bis 1994 war er Referent im Bundesministerium der Verteidigung, anschließend Personalstabsoffizier im Zentrum Innere Führung, Koblenz. Im August und September 1999 war Folkerts selbst im Kosovo, danach trat er den Dienstposten als Leiter des VN-Ausbildungszentrums der Bundeswehr an der Infanterieschule Hammelburg an.

 

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