© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   37/01 07. September 2001


Blut, Schweiß und Tränen
Schröders Wirtschaftspolitik der lahmen Hand muß gestoppt werden
Bernd-Thomas Ramb

Wann kommt die Talsohle am Ende der rasanten Talfahrt in Sicht? Diese Frage stellen sich nicht nur die Aktionäre der verlustreichen Börsen. Immer breiteren Schichten der Bevölkerung wird klar, daß die Abwärtsbewegung der Wirtschaft nicht länger als unbedeutende Konjunkturdelle verniedlicht werden kann. Dem Niedergang der Wirtschaftsprognosen seit Jahresanfang folgten unmittelbar die Zahlen der aktuellen Entwicklung. Die Devise der „ruhigen Hand“, wie der deutsche Bundeskanzler seine tatenlose Wirtschaftsphilosophie medienwirksam beschönigt, gerät zunehmend ins Zittern. Denn die Analyse der ökonomischen Fundamentaldaten verheißt nicht nur für die restliche Zeit der laufenden Legislaturperiode nichts Gutes. Es fehlt vor allem an visionären Konzepten und zukunftsträchtigen Lösungen.

Noch nie sind in der deutschen Nachkriegswirtschaft so häufig und schnell amtliche Wirtschaftsprognosen nach unten revidiert worden wie in diesem Jahr. Von den anfangs prophezeiten drei Prozent Wirtschaftswachstum bleiben nach der Frühjahrskorrektur auf zwei Prozent mittlerweile nur noch hoffungsschwangere eins-komma-x Prozent übrig. Die dunklen Äußerungen des Bundesfinanzministers anläßlich der jüngsten deutsch-französischen Konsultationen, keine genauen Schätzungen mehr für dieses Jahr vorlegen zu können, korrespondieren in geradezu lächerlicher Weise mit seiner Zuversicht, für das Jahr 2002 ein Wachstum von 2,25 Prozent vorhersagen zu können. Das Prinzip der schönredenden Hoffung in Sachen Wirtschaftsentwicklung scheint sich zum Dauerinstrument der deutschen Wirtschaftspolitik zu etablieren - und zum einzigen.

Die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren zur Zeit eher ein diesjähriges Wirtschaftswachstum um ein Prozent herum. Das entspricht der Wachstumsrate des realen Bruttoinlandprodukts im ersten Quartal dieses Jahres. Im zweiten Quartal ist jedoch die Produktion von Waren und Dienstleistungen gegenüber dem Vorjahr unverändert geblieben. Das bedeutet schlicht: Nullwachstum. Gleichzeitig hat sich der Preisauftrieb verschärft. Die Preise für die Lebenshaltung sind in diesem Jahr mit monatlichen Inflationsraten zwischen 2,4 und 3,5 Prozent gestiegen. Stagnation der wirtschaftlichen Produktion und gleichzeitiger Preisanstieg stellen jedoch eine äußerst schlechte Basis für eine Volkswirtschaft dar, die auf Reduktion der Staatsschulden und Abbau der Arbeitslosigkeit ausgerichtet ist.

Schlimmer wäre nur noch eine echte Rezession mit negativen Änderungsraten der Wirtschaftsaktivitäten. Die aber ist jetzt in den Bereich der Möglichkeiten gerückt, weil die Einführung der Euro-Währung die wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich lähmt. Insbesondere im Zeitraum vor und nach der Währungsumstellung bestimmen Unsicherheiten über die Handhabung des neuen Geldes, die möglichen Veränderungen der Preise und mangelnde Einschätzung der realen Einkommen das Verbraucherverhalten. Die Folge sind Kaufzurückhaltungen oder Verzicht auf die Anschaffung insbesondere langfristiger Konsumgüter. Warum in Zeiten einer möglicherweise falschen Kaufentscheidung ein neues Auto, eine neue Wohnungseinrichtung, einen Fernseher oder ähnliches kaufen, wenn es das alte noch tut? Ähnliches gilt auf der Unternehmensseite für die Anschaffung von Investitionsgütern. Der neue Firmenwagen, der neue Computer und andere Betriebsmittel werden vor allem dann nicht angeschafft, wenn die Kundschaft verstärkt ausbleibt. Normalerweise sollte diese Phase in zirka einem halben Jahr nach der Euro-Einführung überwunden sein. Da der Euro nach wie vor eine ungeliebte Währung darstellt, ist eine Verlängerung der negativen Konsumeffekte jedoch nicht auszuschließen. Dann aber treten Verstärkungseffekte auf, die den Absturz in die wirtschaftliche Rezession beschleunigen.

Zwei Auswirkungen sind mit einem geringen oder sogar negativen Wirtschaftswachstum zwangsläufig verbunden: eine zurückgehende Beschäftigung und sinkende Staatseinnahmen. Schon jetzt wird deutlich, daß Schröders Minimalziel einer Reduzierung der bestehenden Arbeitslosigkeit von nahezu vier Millionen Arbeitslosen auf 3,5 Millionen in nächsten (Wahl-)Jahr unerreichbar ist. Selbst wenn der Traum von Wirtschaftsminister Müller von einem dreiprozentigen Wirtschaftwachstum in 2002 in Erfüllung gehen sollte, werden kaum die jetzt und demnächst bevorstehenden Massenentlassungen auszugleichen sein. Jede Arbeitslosenzahl unter vier Millionen dürfte im nächsten Jahr schon als Überraschung zu werten sein.

Der Rückgang der Staatseinnahmen, der sich schon jetzt abzeichnet, führt unweigerlich zur Diskussion einer Erhöhung der Staatsverschuldung, denn die Regierung zeigt sich - noch dazu im Vorjahr der Bundestagswahl - unfähig zur Reduktion der Staatsausgaben. Eine Erhöhung der Staatsverschuldung führt jedoch zwangsläufig zu einer Verletzung der Vorschriften des Stabilitätspakts, der mit der Einführung des Euro als Absicherung vor mangelnder Haushaltdisziplin der Euroländer beschlossen wurde. Die vorsichtigen Sondierungen Eichels hinsichtlich einer „vorübergehenden“ Aufhebung dieser Restriktion zeigen, daß europaweit die Signale auf Erhöhung der Staatsschulden stehen. Diese Tendenz wird durch die Thesen einiger wirtschaftspolitischer Berater verstärkt, in Zeiten konjunktureller Flauten wären erhöhte Defizite im Staatshaushalt ein probates Mittel zur Wirtschaftsbelebung. Verschwiegen wird jedoch, daß in der Vergangenheit jede zunehmende Staatsverschuldung allenfalls kurzfristige Erfolge zu verzeichnen hatte, langfristig aber Inflation und Arbeitslosigkeit um so heftiger auftraten.

Schröders möglicher Wechsel von der ruhigen zur heftig ausschlagenden Hand dürfte selbst unter Beachtung des kurzfristigen Effekts für den Zeitpunkt der Wahl zu spät kommen. Verloren hat aber auf jeden Fall die deutsche Wirtschaft, denn wieder einmal wurde wertvolle Zeit vertändelt. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht von den verschiedensten Seiten die notwendigen Strukturreformen angemahnt werden. Sie allein könnten eine dauerhafte Gesundung der Wirtschaft ermöglichen. Das Tal von Blut, Schweiß und Tränen, das dazu durchschritten werden muß, dürfte bei der deutschen Bevölkerung eher auf Zustimmung stoßen als die schier endlose Talfahrt in das wirtschaftliche Desaster, die unweigerlich zum Crash führt.


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