© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Sensibilität
Karl Heinzen

Joschka Fischer hat auf der UNO-Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban im Namen der Bundesrepublik Deutschland Schuld für Kolonialismus und Sklaverei anerkannt und dadurch zugleich Verantwortung übernommen sowie sich einer historischen Verpflichtung gestellt. Wer ihm nun vorwirft, er habe durch seine Schuldanmaßung die Verbrechen des in das von ihm thematisierte Unrecht ausnahmsweise eben nicht involvierten Nationalsozialismus relativiert, handelt unfair. Sehr wohl hat der Außenminister auch diese Gelegenheit nicht ungenutzt gelassen, um das Erbe Hitlers als verpflichtend für gegenwärtige und zukünftige Politik herauszustellen. Er war darüber hinaus sogar so subtil, den Übereifer allzu vieler Afrikaner, sich mit dem an ihnen begangenen Unrecht ungebührlich in den Vordergrund zu drängen, zurechtzuweisen. Durch eine Entschuldigung behauptete er, „den Opfern und ihren Nachkommen zumindest die ihnen geraubte Würde zurückgeben“ zu können. So unkompliziert und doch diplomatisch kann nicht mit jedem Unrecht umgegangen werden. Es ist sicher so, daß Entschädigungszahlungen nicht zwischen Opfern diskriminieren dürfen. Für das moralische Urteil gilt das aber nicht.

Unter Joschka Fischer hat die deutsche Außenpolitik zu einer neuen Sensibilität im Umgang mit alten Fragestellungen gefunden. Sie ist aus ihrer Gedankenlosigkeit erwacht, in der sie meinte, es als selbstverständlich ansehen zu dürfen, daß Deutschland als ein geachtetes Mitglied der Völkergemeinschaft gilt. Eine unappetitliche Scheinheiligkeit, die auf mehr als fünf Jahrzehnten bundesrepublikanischer Geschichte lastete, ist Vergangenheit. Wer für das, was geschehen ist, finanziell geradesteht und den Bürgern seines Landes eine wachsende Zahl von Chancen bietet, mit Herz und Verstand auch moralische Verantwortung zu übernehmen, kann nämlich nicht zur gleichen Zeit vom Ausland erwarten, so behandelt zu werden, als wäre die Kontinuität mit dem Unrecht bereits erfolgreich und endgültig durchbrochen. Da die Staatengemeinschaft sich nun allerdings ihrerseits entweder aus falscher Rücksichtnahme oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen anderer dem Ringen Deutschlands um die Abkehr von einer verhängnisvollen Tradition verschließt, muß sie durch eine Politik maßvoller, aber unmißverständlicher Selbstbezichtigungen dazu gebracht werden, ihr Vertrauen in unser Land zurückzustellen, um es gemeinsam mit den vielen, die hierzulande aus der Geschichte lernen, auf eine neue Grundlage zu stellen. Wir dürfen sicher nicht jemandem mißtrauen, bloß weil er uns vertraut. Wir müssen ihn aber dazu ermuntern, ein bißchen kritischer mit uns und mit unserer Vergangenheit umzugehen. Alles andere wäre eine Geringschätzung der Verdienste von Millionen von Menschen, die Großes geleistet haben im Kampf gegen das kollektive Verdrängen. Joschka Fischer ist sich dieses Auftrages bewußt: Mit ihm wird die Bundesrepublik nicht vergessen, worauf sie gegründet ist.


 
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