© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
UMWELT
Das Schweigen der „FAZ“
Volker Kempf

Vor 100 Jahren verfaßte Hugo von Hofmannsthal seinen be-rühmten Chandos-Brief. Der Wiener Dichter beschreibt in diesem fiktiven Brief in Gestalt des Lord Chandos seine Anteilnahme an allem Leben, auch dem von Tieren, etwa von Ratten im Keller seines Hauses, die er von seinem Nachbarn vergiften ließ. Allein dieses Wissen löste bei Lord Chandos in einer einsamen Minute, wenn schon nicht Mitleid, so doch Mitgefühl gegenüber den verendenden Tieren aus. In Sprache zu fassen, was er in diesem Moment erlebte, fällt Chandos schwer, es verschlägt ihm diese sogar.

Für den arbeitsteiligen Vorgang der Tätigkeit des Nachbarn im Auftrag des Lord Chandos, findet man heute leicht eine Entsprechung, wenn nicht gar Zuspitzung. Man denke etwa daran, daß Verbraucher beim Griff ins Wurstregal auch nicht sinnlich wahrnehmbar mitbekommen, wie die zu verspeisenden Tiere letztlich in ihrem Auftrag leben und geschlachtet werden. Über letzteres versuchte am 13. August die FAZ zu berichten, nachdem einschlägige Dokumente durch eine „Panorama“-Reportage des NDR bekanntwurden. Hiernach kommt manche Kuh noch während des Ausblutens zu Bewußtsein und wird aufgeschlitzt. Es widerfährt den Tieren manchmal gar Schlimmeres, wenn sie bei Bewußtsein anderweitig verarbeitet werden, so daß es zu Mitgefühl fähigen Menschen wie einst Chandos nur die Sprache verschlagen kann, was es der besagten Zeitung an dieser Stelle auch tut. Das Schweigen der FAZ könnte man das nennen, das sich vom Schweigen Hofmannsthals aber unterscheidet, da letzterer das beredt tut, indem er es, eben im Chandos-Brief, thematisiert. Auch hier muß unaussprechlich bleiben, was manchen Tieren widerfährt.


 
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