© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Pankraz,
die Kunst-Akademie und die Geschwätzigkeit

Als Geste „gegen die von allen Seiten hereinprasselnde Geschwätzigkeit“ will die Berliner Akademie der Künste die diesjährige Verleihung ihres Käthe-Kollwitz-Preises an den Maler Jürgen Schön, einen der Stillen im Lande, verstanden wissen. Die Idee ist gut. Manchmal könnte man ja tatsächlich glauben, das ganze zeitgenössische Kunst- und Kulturleben bestehe nur noch aus Geschwätz.

Soziologen charakterisieren die aktuelle Lage an der Kunstfront und an der medialen Front insgesamt als „Kampf um die immer knapper werdende Ressource Aufmerksamkeit“. In diesem Kampf spiele das „Was“, also der Inhalt des kulturell und medial Gebotenen, kaum noch eine Rolle. Einzig wichtig sei die Form, genauer: eine ganz bestimmte Form, ein möglichst lauter und möglichst greller Dauerton, der die Kanäle besetzt und sich in ihnen einnistet, eben das permanente Geschwätz.

Das Heimtückische am Geschwätz ist genau dies: Es ist nichtig, aber laut, es nimmt die Ressource Aufmerksamkeit in Anspruch, indem es sie verschwendet, es prasselt wie ein Regen, vor dem man nur noch flüchten kann - ins Trockene, ins Schweigen, ins Nicht-mehr-Mitreden, was den Schwätzern nur allzu recht ist, ist doch jeder Flüchtende ein potentieller Konkurrent weniger.

Zeiten, in denen die Schwätzer die Oberhand bekommen, sind von den Nachdenklichen stets als die schlimmsten empfunden worden, als Endzeiten, hinter denen das Chaos lauert. Plutarch, der große Erzieher der Hochantike, hat ein ganzes Buch gegen sie geschrieben: „Über die Geschwätzigkeit“, in dem er die Herrschaft der Schwätzer als „die geistige Krankheit an sich“ diagnostizierte, gegen die alle Kräfte des Staates und der Schulen mobilisiert werden müßten. Denn wenn die Schwätzer dominierten, dann höre bald niemand mehr zu, und wenn niemand mehr zuhöre, dann gäbe es auch bald keine Kultur mehr, keine Liebe und keine Tugend.

Das Christentum war den Schwätzern ebenfalls von Anfang an gram. „Lasset, ihr meine Brüder, kein faul Geschwätz aus eurem Munde gehen“, mahnte der Apostel Paulus (Eph. 4.29), oder auch: „Dummes Geschwätz verdirbt alle Tugend“ (1. Kor. 15,33). Im christlichen Frankenreich Karls des Großen waren die Priester und die Lateinlehrer ausdrücklich gehalten, ihrer Gemeinde regelmäßig den Spruch „Os garrulum intricat omnia“ einzuschärfen und auszulegen: „Ein geschwätziger Mund verdirbt alles“.

Wie aber konnte es, trotz so vieler Warnungen, immer wieder zur Herrschaft der Schwätzer kommen? Das liegt nicht zuletzt daran, daß die Grenzen zwischen Geschwätz und vernünftiger, praxisnaher und zudem noch funkelnder Rede leider fließend und gar nicht so leicht zu markieren sind. Geschwätz ist kein bloßes Blabla, keine sinnlose Tonerzeugung, sondern ein Sprachspiel mit eigenen Regeln und eigenen Hierarchien. Es gleicht in vieler Hinsicht der hohen Politik, verheißt Macht und Einfluß. Jeder Schwätzer weiß das und richtet sich danach.

Geschwätz ist „abgelegte Rede“. Ihre Bestandteile haben alle einmal guten Sinn und damit Eindruck gemacht, gehörten, wie die Linguisten sagen, zum „elaborierten Code“, mit dessen Hilfe neue Lebensbereiche erschlossen und für den populären Gebrauch glattgeschliffen wurden. Irgendwann aber wird jeder elaborierte Code zur lingua pedestris, zur Sprache der Fußgänger, die man spricht, ohne weiter über ihre Herkünfte und Kosequenzen nachzudenken. Und das ist dann die Stunde der Schwätzer.

Sie polieren die von den Sprachartisten abgelegten Versatzstücke auf und kombinieren sie in unerwarteter, jedoch törichter Weise. Der Denk-Akt, der mit jedem Sprechen verbunden ist, dünnt aus, und im selben Takt erhöht sich die Lautstärke. Rhetorische Kürzel der Rechthaberei und der Einschüchterung werden dazwischengeschoben und verschaffen schräges Renommée.

Schwätzer sind üblicherweise Verbündete der Macht, und zwar der schlechten, überständigen und unduldsamen Macht, die ihre Verlautbarungen ohnehin nur noch mit gedankenlosen Versatzstücken und verschlissenen Symbolen unter die Leute zu bringen vermag. Eine unheilige Allianz zwischen Macht und Geschwätz entsteht, die sich mit Wucht gegen jede wahre Neuschöpfung wendet und nicht einmal mehr das offene Aussprechen dessen erlaubt, was für alle offensichtlich ist.

Eng damit verbunden ist die Neigung der Schwätzer zu Allgemeinheiten, zu Abstraktionen und zur „Moral“. Tatbestände werden gar nicht mehr benannt, sondern es wird vorab eine Soße aus gängigen Phrasen und vorwegnehmenden Pauschalurteilen darüber gegossen. Das bloße Sollen, besser: Wollen, verdrängt das Analysieren vor Ort. Das Richtige wird ersetzt durch das (vielleicht) Gutgemeinte. Und garniert wird das Ganze mit Floskeln aus Spezialsprachen, von denen man meint, daß sie eo ipso dem „Gemeinwohl“ dienen, vor allem aus der Sprache der Naturwissenschaft.

Die mediale Revolution, die Vermehrung der Kanäle ins faktisch Unendliche, hat die Herrschaft der Schwätzer natürlich sehr befördert. Man glaubt, die Kanäle unbedingt füllen zu müssen, und so finden sich unzählige Nullen ein, die gar nicht in der Lage sind, belangvolle Information zu liefern, die gerade noch in der Lage sind, die Regeln und Hierarchien der Geschwätzigkeit zu erlernen. Die verstopfen also nun die Kanäle und erzeugen einen Wust von Redundanz und Inkompetenz, der sich dann „Informationsgesellschaft“ nennt.

Im Grunde ist die gegenwärtig so beliebte Rede von der Knappheit der Ressource Aufmerksamkeit nichts weiter als eine Augentäuschung der Schwätzer und Phrasendrescher. Aufmerksamkeit ist genug da. Aber die zahlreichen Schwätzer, die zur Zeit unterwegs sind, fühlen sich trotzdem unterbeachtet. Und nun kommt auch noch ein Akademiepreis, der sie bewußt ignoriert, gar attackiert. Die Zeiten werden härter.


 
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