© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Rumpelstilzchen
Neue Vornamen brechen alle Regeln
Angelika Willig

Was ist der Unterschied zwischen Namen und Wörtern? Kaum zu glauben, daß sich die Philosophie jahrhundertelang mit dieser abwegigen Fragestellung beschäftigt hat. Kein normaler Mensch interessiert sich dafür. Und doch steht beim Universalienstreit (so nannte man es im Mittelalter) die ganze Ordnung der Dinge in Frage.

Der Grund, daß die meisten Leute philosophische Gedanken nicht verstehen, ist deren Selbstverständlichkeit. Der Philosoph nimmt zum Beispiel an, daß die Bedeutung von Worten willkürlich gewählt ist, um die Dinge irgendwie zu bezeichnen, so daß man sich in der Praxis darüber verständigen kann. Daß der Tisch „Tisch“ heißt, bedeutet also nicht, daß der Tisch ein Tisch ist. Er könnte genausogut „Stuhl“ heißen und umgekehrt.

Selbstverständlich, werden Laien sagen, wissen wir, kann doch gar nicht anders sein, braucht man nicht extra zu betonen. Dann kommt ein anderer Philosoph und fragt: Woran erkennen wir denn einen Tisch? In den verschiedensten Tischen erkennen wir eine Übereinstimmung mit dem, was wir immer schon unter Tisch verstehen. Diesen Ideal-Tisch gibt es nicht wirklich, er ist das Wesen des Tisches, und auf dieses Wesen zielt das Wort. Es ist also keineswegs beliebig.

Beliebig ist der Name: ob eine Straße „Lindenstraße“ oder „Bismarckstraße“ heißt, sagt nichts über die Straße aus, weder stehen dort Linden, noch wohnte dort Bismarck. Wieder können wir nicht anders, als zuzustimmen. Benennen heißt nichts anderes als aneignen. Wenn ein Kind sprechen lernt, merkt es sich nicht bloß viele neue Vokabeln (wie ein Sprachschüler mit seinem Lexikon), sondern es begreift die Welt. Das ererbte Wort geht dem willkürlichen Namen immer schon voran. Wunderbar leuchtet uns das ein, nun sind wir ganz stolz auf unseren sonst so selbstverständlich genommenen Wortschatz. Doch wenn das wahr ist, dann können die Nominalisten nicht auch recht haben.

In der selbstverständlichen Unterscheidung zwischen Wörtern und Namen liegt ein weltanschaulicher Grundkonflikt, der heute weitgehend entschieden ist. Und zwar, wie vorauszusehen, zugunsten der Beliebigkeit. Man braucht sich nur umzuhören, wie junge Eltern jetzt ihre Kinder nennen. „Pumuckl“ heißen sie oder „Pepsi“, „Windsbraut“ oder auch „Borussia“. Die Behörde akzeptiert es und trägt die Neugeborenen ein.

Das sind doch keine Namen! werden die meisten instinktiv sagen. Der philosophische Instinkt ist im alten Realismus verankert, während die Zeiten sich geändert haben. Die Postmoderne - von der man nur deshalb nicht mehr redet, weil sie common sense geworden ist - ist vom Thema geradezu besessen. Sie behauptet, daß alle Wörter eigentlich Namen sind, das heißt willkürlich vergebene Bezeichnungen und nicht Ausdruck einer bestimmten Bedeutung. „Franz“ kann sich prinzipiell jeder nennen, „Pumuckl“ ist eine bestimmte Figur und ruft ein bestimmtes Bild hervor, wie „Bavaria“. Es ist daher lächerlich, eine Person damit zu belegen, die nicht mit dem Wort identisch ist. Allerdings: wenn die postmodernen Philosophen deklarieren, daß auch Wörter wie „Tisch“, „Haus“, „Baum“ bloße Namen sind, denen nichts in der Realität entspricht oder alles, warum soll ich dann nicht mein Kind „Tisch“ nennen? Wenn Behörden bestimmte Elternwünsche (noch) ablehnen wie „Agfa“, „Sputnik“ oder „Störenfried“, ist das genauso willkürlich wie eine Zulassung.

Die meisten Eltern bleiben brav bei „Alexander“ und „Maria“, in den neuen Bundesländern „René“ und „Jacqueline“. Das ist beruhigend. Denn stellen wir uns vor, wenn in Kürze nicht nur der Name des Babys auszusuchen ist, sondern auch Augenfarbe und Nasenlänge oder der künftige Beruf. Wie würde wohl ein Kind namens Pumuckl nach der genetischen Beratung aussehen? Und wenn es später nicht zufrieden ist, nicht alles läßt sich so leicht ändern wie ein komischer Vorname.


 
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