© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Von Kapitän Ehrhardt zu Admiral Canaris
Susanne Meinls Studie über das Schicksal „Konservativer Revolutionäre“ im Dritten Reich
Ekkehard Schultz

Daß die Weltanschauung der Konservativen „wahrscheinlich die einflußreichste innerhalb der Opposition“ gegen den Nationalsozialismus gewesen sei, kann kaum noch strittig sein (Karlheinz Weißmann). Trotzdem zählt das von Nähe und Distanz geprägte Verhältnis der Konservativen Revolution zur NSDAP zu den ideengeschichtlichen Desideraten, und die Zeithistoriker schweigen sich bisher auch über das Schicksal jener rechten Gegner des Weimarer Parteienstaates aus, die nach 1933 in der Opposition - nunmehr gegen das NS-Regime - verharrten.

Historiker mieden dieses Terrain vielleicht deshalb wie ein Minenfeld, weil sie die Feinde der Weimarer Republik, darunter nicht wenige, die vor 1933 zeitweilig selbst der NSDAP angehörten, mit dem Prädikat des „Widerständlers“ hätten versehen müssen, das in der geschichtspolitischen Semantik der bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigung stets positiv definiert war. Betrachtet man aber die neuere Widerstandsforschung im Hinblick auf kommunistische Regime, ist festzustellen, daß aktiver Widerstand seinen Ausgang oft im System nahm. Folgt man zudem noch der für totalitäre Ordnungen sinnvollen Definition, nach der in solchen Konstellationen bereits Loyalitätsverweigerung zum Widerstand zählt, so ist es inkonsequent, Gruppen, die nicht „demokratischen“ Widerstand leisteten, grundsätzlich aus dem Oppositionsbegriff zu eliminieren.

Die vorliegende Arbeit „Nationalsozialisten gegen Hitler“ der jungen Historikerin Susanne Meinl ist auf den ersten Blick verwirrend - erwartet der Betrachter doch eine biographische Überblicksdarstellung. Die bei Hans Mommsen entstandene Bochumer Dissertation, für die Druckfassung um einige Kapitel ergänzt, setzt aber bereits durch die Gliederung ihre Akzente anders: Anhand der Biographie eines Mannes, Friedrich Wihelm Heinz (1899-1968), versucht Meinl die zahlreichen Gemeinsamkeiten, aber auch Widersprüche aufzuzeigen, die zur Abwendung früher NSDAP-Mitglieder von der Partei führten. Meinl sieht Heinz als Beispiel für die gebrochenen Lebensläufe der Freiwilligen- und Freikorpsgeneration, deren Schicksal nach 1918 durch das Milieu der „nationalen Opposition“ geprägt ist. Heinz absolvierte fast jede Station eines solchen Lebens, was ihn mit Exponenten des nationalen Spektrums, Ehrhardt, Ludendorff, Hielscher, Goebbels, von Salomon, Seldte, Strasser und Canaris persönlich bekannt machte.

So liest sich Heinz’ Biographie auch wie ein Querschnitt durch ein „Wer ist wer?“ der Weimarer Rechten: Als Kriegsfreiwilliger zur 1917 gegründeten Vaterlandspartei, dann im Freikorps im Baltikum, Anschluß an die Brigade Ehrhardt, beteiligt am Kapp-Putsch, Mitglied der DNVP, Kontakte zum Jungdeutschen Orden, Mitglied der Organisation Consul, zu den Erzberger- und Rathenau-Attentätern, zu „Ruhrkämpfern“ und zur SA/NSDAP, Mitwisser des Hitler-Putsches, Mitarbeit im Stahlhelm, Verbindungen zum Ring-Kreis und zum „Deutschen Herrenclub“ , Beziehungen zur „Landvolk-Bewegung“, zum Strasser-Flügel, zu revoltierenden SA-Flügeln und endlich zu oppositionellen Kräften in der Wehrmacht, dann Soldat in der Division Brandenburg und involviert in Umsturzversuche zwischen 1938 und dem 20. Juli 1944.

Nicht nur das Konglomerat an Zeitgenossen, mit denen Heinz in Beziehung stand, erlaubt Meinl Rückschlüsse auf das rechte Personalgeflecht. Sie entdeckt auch jene biographisch-weltanschaulichen Brüche, die typisch für diese Generation junger Kriegsfreiwilliger sind. Im idealistisch-romantisch geprägten Alter aus der Lebenswirklichkeit gerissen, empfanden sie die Demütigungen Deutschlands im Zeichen von Versailles besonders stark. Ihr Hunger nach identitätsstiftender „Weltanschauung“ ist das wichtigste Movens ihrer unsteten Sinnsuche und ihres häufigen Wechsel der Bezugssysteme.

Die NSDAP war zunächst nur eine der kaum überschaubaren Organisationen, die ihnen eine politische Heimat versprachen. Erst Ende der zwanziger Jahren erstarkte sie zur Führerpartei mit Absolutheitsanspruch. In dieser Phase fiel der Entschluß, den Sturz des Weimarer „Systems“ auf „legalem“ Wege anzustreben. Der Typ des NSDAP-Mannes hatte sich, sieht man von Teilen der SA einmal ab, vom revolutionären Landsknecht zum parlamentstauglichen Parteisoldaten entwickelt. Dieser Legalitätsbeschluß führte neben der monolithischen Ausrichtung der Partei auf den Führer Hitler und der Aufgabe „sozialistischer“ Grundsätze dazu, daß sich Einzelpersonen und Flügel abspalteten und Machtkämpfe provozierten. Doch die Phase, in der dies zur Paralysierung der Partei hätte führen können, war vorbei.

Bekannt ist die frühe Konstitution von Widerstandspotentialen in der SA, wo sich Konflikte in erster Linie an Mißständen mit der Führung und der zunehmenden Verbürgerlichung der Partei bemerkbar machten. Nach der Machtergreifung, die einen Ausbruch der Konflikte nur hinausschob, jedoch nicht verhinderte, spielte die Frustration großer Teile über das Ausbleiben einer zweiten Revolution die bestimmende Rolle. Dagegen entwickelten sich oppositionelle Strömungen in der Reichswehr und bei Teilen der alten konservativen Elite sowie bei Wehrorganisationen erst erheblich später. Insgesamt muß aber konstatiert werden, daß mit der Gleichschaltung und der rasch zunehmenden Kontrolle durch Staat und Partei die Nischen für mögliche Oppositionelle sehr eng wurden. Auch die Verbindung mit anderen nichtkonservativen Widerstandsgruppen war durch die starke Verfolgung äußerst problematisch. Immer stellte sich potentiellen Verschwörern das Problem der starken Loyalitätsbindung von Personen in allen gesellschaftlichen Organisationen, auf die konservative Hitlergegner zwangsläufig zurückgreifen mußten. Andererseits wurden durch das gemeinsame Interesse am Sturz der NS-Führung die Unterschiede etwa von nationalrevolutionären zu nationalkonservativen Gruppen oder auch linken Oppositionellen bereits gegen Ende der Weimarer Republik nivelliert.

Was unterscheidet die sogenannte rechte Gegnerschaft von ihrem linken Pendant? In erster Linie wohl die Tatsache, daß sich die „rechte“ Opposition im Regelfall immer nur auf Teilbereiche der Ordnung des Dritten Reichs erstreckte.

Aber dieses Bild einer „systemtreuen“ Opposition muß schon dann gründlich revidiert werden, wenn man die politischen Vorstellungen im Umfeld von Heinz etwas genauer untersucht, als Meinl dies tat. So waren die ostpolitischen Ideen eines Theodor Oberländer oder die von Moeller van den Bruck geprägten außenpolitischen Zielsetzungen jungkonservativ-nationalrevolutionärer Intellektueller im Umkreis der 1936 verbotenen Zeitschrift Der Nahe Osten mit dem rassenideologischen Lebensraum-Imperialismus Hitlers und Himmlers schlechthin unvereinbar. Wie Oberländer und Heinz trafen sich diese Männer in den Dienststellen der „Abwehr“ von Admiral Canaris wieder , wo sie versuchten, dem NS-Ostimperialismus entgegenzuwirken. Die Lebensraum-Strategie mit all ihren Implikationen stellte aber keinen „Teilbereich“ des Systems dar. Hier die Opposition anzusetzen, hieß das Gefüge selbst zur Disposition zu stellen. Wäre der Autorin diese prinzipielle Differenz - hier ebenso wie auf vielen anderen Politikfeldern - klarer gewesen, wäre sie nicht immer wieder der Versuchung erlegen, die Grenze zwischen Konservativer Revolution und dem harten Kern der NS-Ideologie („Rasse und Raum“) zu verwischen.

Es bleibt ihr aber das Verdienst, die aus Himmlers Sicht wohl gefährlichste, weil eng mit den militärischen Machtzentralen verwobene KR-Netzwerk bis in die feinsten Verästelungen hinein sichtbar gemacht zu haben. Ein dem Text angehängter Katalog mit den Kurzbiographien der am häufigsten genannten Akteure hätte die Benutzbarkeit nicht nur für den querlesenden Rezipienten erheblich steigern können. Die biographischen Angaben in den Fußnoten sind hierfür kein Ersatz.

Die äußerst distanzierte Haltung der Autorin gegenüber ihren Protagonisten, ihre mitunter pauschalen Urteile mag der Leser mit Verwunderung registrieren - für den Charakter der Studie sind sie belanglos. Gerade die große Authentizität, vermittelt die durch Auswertung privater Nachlässe sowie durch persönliche Befragung vieler Weggefährten wie Ernst Jünger und Theodor Oberländer, zeichnet ihre Studie in einer Weise aus, die selbst von manchen dem Zeitgeist geschuldeten Wertungen der Verfasserin nicht wieder konterkariert werden kann. 

 

Susanne Meinl: Nationalsozialisten gegen Hitler. Siedler Verlag, Berlin 2000, 448 Seiten, geb., 58 Mark


 
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