© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001


Terrorangriff auf die USA
Die Welt hält den Atem an
Dieter Stein

Die Nachricht über die massiven Terroranschläge in den USA erreicht uns während des Redaktionsschlusses. Vor allen politischen Überlegungen steht eine menschliche: Erschütterung über das Leid einer unübersehbaren Zahl von unschuldigen Opfern. Angehörige von Mitarbeitern sind auf Besuch in den USA. Ob es ihnen gut geht? Nicht auszudenken ...

Der Angriff auf die Vereinigten Staaten erschüttert die Welt. Mit der Zerstörung des World Trade Center wurde die westliche Supermacht ins Mark getroffen. Mit den Doppeltürmen, die der imperialen Skyline New Yorks ihr Gesicht gaben, sank der unerschütterliche Optimismus nicht nur der USA, sondern des gesamten Westens, der Glaube an Sicherheit und andauernden Frieden in sich zusammen.

Eben noch demonstrierten die USA mit der Verkündung ihrer Verwirklichung eines weltraumgestützten Raketenabwehrschildes die uneinholbare technologische Überlegenheit gegenüber dem Rest der Welt und den Willen, die Vormachtstellung mit allen Mitteln zu verteidigen. Da demonstrieren jetzt Attentäter in einer gespenstisch koordinierten Welle von Angriffen, wie verwundbar der Westen in seinen Zentren in Wahrheit ist.

Für einen Moment scheint die Welt stillzustehen. Vor unseren Augen flackern Bilder, die einem bizarren Katastrophenfilm zu entspringen scheinen. Man kann nur ahnen, welchen Haß, welchen Größenwahn, welche Kriegsbegeisterung diese Bilder auf den Seiten der Täter und Opfer auslösen werden.

Der „Kampf der Kulturen“ - er stößt in die Mitte der Wohlstandsinseln vor. Palästina, Afghanistan, Aserbaidschan - es waren ferne Plätze, die uns nun plötzlich nahe sind. Jeder spürt nun, daß die Industrienationen und ihre Führungsmacht nicht hätten empfindlicher getroffen werden können als durch diesen infernalischen Angriff.

Es steht zu befürchten, daß man einst den 11. September 2001 in den Geschichtsbüchern in einer Kette mit dem 28. Juli 1914 und dem 1. September 1939 nennen wird.

Selbst im Zweiten Weltkrieg hatten die Kriegsgegner der USA kein amerikanisches Kernland angegriffen. Der japanische Angriff auf Pearl Harbor bedeutete schon ein traumatisches Erlebnis. Seit über einem Jahrhundert hat dieses Land keinen Krieg auf eigenem Boden führen müssen. Es ist nicht abzusehen, was diese Angriffe in der siegesgewissen amerikanischen Nation auslösen.

Wir können nur beten, daß der Angriff auf die USA keine Kettenreaktion der Unvernunft auslöst. Zum Tode gewillte terroristische Trittbrettfahrer stehen bereit, auf eine Eskalation der Gewalt aufzuspringen. Der größte Fehler der USA und ihrer Verbündeten wäre es, die arabische Welt nun zu demütigen und die letzten Kräfte auf die Seite der Kriegspartei zu treiben. Wir erleben einen eiskalten, bitteren, fürchterlichen Tag. Der Krieg als Vater aller Dinge? Gott stehe uns bei. 


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