© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Ortwin Runde
Wind im Schnauzbart
von Christian Vollradt

Einen historischer Einschnitt könnte der Hansestadt Hamburg die kommenden Bürgerschaftswahlen bereiten, denn die Mehrheiten für die seit über vierzig Jahren ununterbrochen regierenden Sozialdemokraten sind höchst ungewiß. Die Wähler werden am 23. September aber auch über das Schicksal Ortwin Rundes, des Ersten Bürgermeisters der zweitgößten und angeblich schönsten Stadt Deutschlands befinden. Seine beiden unmittelbaren Amtsvorgänger verströmten mehr den Duft hanseatischen Stolzes als sozialdemokratischer Biederkeit; Runde dagegen verkörpert den waschechten Apparatschik, einen Achtundsechziger dazu.

Geboren wurde er 1944 in Elbing, ein Jahr bevor seine westpreußische Heimat unter dem Ansturm der Roten Armee in fremde Hände fiel. Nach dem Abitur in Ostfriesland studierte er zunächst in Münster, wechselte dann in die Hansestadt. Der frischgebackene Diplom-Soziologe trat 1970 in den Öffentlichen Dienst der Stadt ein und absolvierte eine normierte Karriere, für die er schon das richtige Parteibuch hatte. Bei den Jusos saß er im Landesvorstand, 1974 erstmals auch in der Bürgerschaft. 1981 wurde er Leiter des Sozialamtes, und zwei Jahre später krönten ihn seine Genossen mit dem Landesvorsitz ihrer Partei. Im Wahlkampf 1997 borgte sich die SPD vom britischen Vorbild - also durchaus in Übereinstimmung mit einer hamburgischen Marotte - das unübersetzte Motto „law and order is a labour issue“, was angesichts des verheerenden Zustands der inneren Sicherheit dieser Tage wie Hohn klingt. Rundes Senat vertrat glaubhafter die gesellschaftspolitischen Lieblingsthemen der rot-grünen Rundumerneuerer, mit Gleichstellungsenatorin und „Hamburger Ehe“ für Gleichgeschlechtliche.

An den Maßstäben dieser Klientel gemessen, nimmt sich der verheiratete zweifache Vater Runde selbst geradezu reaktionär aus. Daß unter seiner Ägide die Hafenstadt jedoch an der Spitze der Kriminalitätsstatistik rangiert, entschuldigte einer seiner Parteigänger jüngst eben als den Preis für hanseatische Liberalität.

Allen einst sozialdemokratischen Wählern, die diesen Preis zu zahlen nicht bereit sind, bietet sich zu den Wahlen eine attraktive und neuartige Alternative. Der angesichts dieser Tatsache kurzfristig vorgenommene Wechsel des Innensenators bleibt als opportunistisches Wendemanöver durchschaubar, das Runde einleitete, nachdem ihm der Wind zu stark um den Schnauzbart wehte.

Hamburgs Wappen, die dreitürmige Burg, enthält heraldisch deutliche Hinweise auf die heilige Jungfrau Maria: der mittlere Kirchturm des ihr geweihten Doms und die zwei silbernen Sterne. Der Erste Bürgermeister, sollte seine Staatsflagge einmal unter diesem Gesichtspunkt würdigen - ist die Mutter Maria doch die wirksamste Beschützerin aller mit Schuld Beladenen, die einen strengen Richter zu fürchten haben.


 
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