© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Kolumne
Gewissensfrage
Klaus Motschmann

In Deutschland wird neuerdings wieder ausführlich und intersiv über die Bedeutung des „Gewissens“ und die Notwendigkeit des Respektes vor Gewissensentscheidungen diskutiert. Auslöser für diese Diskussion war das Stimmverhalten von 19 SPD-Abgeordneten bei der Abstimmung über den Einsatz von 500 Soldaten in Mazedonien.

Diese Debatte ist prinzipiell zu begrüßen, so sehr sie auch zunächst mehr zu weiterer Verwirrung denn zur Klärung eines zentralen Begriffes menschlicher Existenz und Daseinsgestaltung beiträgt. Immerhin ist sie ein sicheres Indiz für dumpfe Ahnungen, daß auch in diesem Zusammenhang folgenschwere Defizite der Erziehung unserer Jugend zur Emanzipation, Selbstverwirklichung, zivilen Ungehorsam und sonstigen „abweichenden Verhalten“ zu registrieren sind. Es bestätigt sich, wohin es nach den einfachsten Grundregeln menschlicher Bildung führt, wenn der Respekt vor der Gewissensentscheidung des einzelnen so weit geht, daß sie zur alleinigen Richtschnur politischen und gesellschaftlichen Handels erklärt wird. Wenn dazu die einschlägigen Aussagen des Grundgesetzes zitiert werden, dann sollte immer auch daran erinnert werden, daß sich das deutsche Volk dieses Grundgesetz „im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ gegeben hat und so verstanden wissen will. Die Etymologie erinnert uns daran, daß zwischen „Wissen“ und „Gewissen“ ein wesensmäßiger innerer Zusammenhang besteht, der streng zu beachten ist, wenn das hohe Rechtsgut der „Gewissensfreiheit“ nicht zu einer „inneren moralischen Anarchie“ (Arnold Gehlen) verkommen soll. Er ist in der jüngeren Vergangenheit häufig genug nicht beachtet worden. Allzuoft hat sich die Berufung auf das „Gewissen“ als „Kutte der Widerspenstigkeit“ erwiesen. Wir müssen wieder unterscheiden lernen zwischen „gewissen Gründen“ und Gewissensgründen.

Dazu gehört die Diskussion aus einem überzeugenden Anlaß. Die Entscheidung über den Einsatz der deutschen Soldaten zum Waffeneinsammeln in Mazedonien gehört dazu gewiß nicht, so bedenkenswert auch „gewisse Gründe“ dagegen sind.

Überzeugender könnte die Diskussion aus anderen Anlässen geführt werden - eine interne Anordnung beim Deutschlandfunk in Köln untersagt jede Zitierung der JUNGEN FREIHEIT in diesem Sender. Niemand wird bestreiten, daß die Arbeit eines Redakteurs dadurch erheblich belastet wird, vielleicht sogar sein Gewissen. Wo war der „Aufstand der Anständigen“ im deutschen Journalismus?

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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