© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Ein im Volk beliebter Herrscher
Weißrußland: Die Wiederwahl von Präsident Lukaschenko überraschte niemanden / Westliche Kritik und östlicher Applaus
Jörg Fischer

Während einer Pressekonferenz am 10. September in Minsk gab die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission der Republik Belarus für die Wahlen und Durchführung der Referenden, Lidija Jermoschina, die vorläufigen Ergebnisse Präsidentschaftswahlen bekannt: Amtsinhaber Alexander Lukaschenko habe 75,62 Prozent, Wladimir Gontscharik 15,39 Prozent und Sergej Gajdukewitsch 2,48 Prozent der Stimmen erhalten. An der Abstimmung hätten 82,55 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen.

Doch das weltweite Echo war vernichtend: Die USA wollen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Weißrußland nicht anerkennen. Ein Sprecher des Washingtoner State Department erklärte dazu, die Wahl sei nicht fair verlaufen. Die Regierung von Präsident Lukaschenko habe die Pressefreiheit verletzt und zu Einschüchterungsmaßnahmen gegriffen. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat die Wahl als unfair bewertet: Der deutsche Leiter der OSZE-Mission in Weißrußland, Botschafter Hans-Georg Wieck, erläuterte dazu, die 300 internationalen OSZE-Wahlbeobachter hätten in zahlreichen Wahllokalen „die Auszählung nur aus der Ferne verfolgen, aber nicht im einzelnen feststellen und beobachten können“. Das Ergebnis sei „in erheblichem Umfang“ anders als das, was von der Wahlkommission bekanntgegeben worden sei.

In ihrem Bericht wurde die OSZE noch konkreter: Es herrsche ein „politisches Regime“, das alles in seiner Macht stehende tut, um die Opposition zu blockieren. Es gäbe „exekutive Strukturen“ - ausgestattet mit extensiven Vollmachten -, die willkürliche Änderungen der Wahlgesetze durchsetzten. Ein Wahlsystem, das bereits fünf Tage vor dem Wahltag die Stimmabgabe ermöglichte; habe die Kontrolle der korrekten Stimmauszählung erschwert. Es habe eine Einschüchterungskampagne gegen Oppositionspolitiker, lokale Wahlbeobachter und unabhängige Medien gegeben, zugleich sei eine „Schmutzkübelkampagne“ gegen internationale Wahlbeobachter gelaufen. Vor den Wahlen habe es eine einseitige, parteiische Berichterstattung in den staatlich kontrollierten Medien gegeben. Unabhängige Zeitungen wurden zensiert. Lediglich die Tatsache, daß sich diverse Oppositionsgruppen hinter einem einzigen Kandidaten - Gontscharik - versammelt hatten, um damit ihre Wahlchancen zu erhöhen, bewerteten die OSZE-Beobachter als positiv.

Doch den mit fast diktatorischen Vollmachten regierenden Lukaschenko ließ die internationale Kritik kalt: „Unsere Wahlen brauchen vom Westen nicht anerkannt zu werden“. Er habe „einen eleganten, glänzenden und schönen Sieg“ errungen, triumphierte Weißrußlands Präsident schon Sonntagabend kurz nach Schließung der Wahllokale, als gerade einmal ein Prozent der Stimmen ausgezählt war: „Unser Volk hat gesiegt. Es hat seinen Präsidenten in der ersten Wahlrunde gewählt.“ Und ganz unrecht hat der 1954 in Kopys (Bezirk Witebsk) geborene Geschichtslehrer und „Ökonom der Agro-Industrie-Produktion“ mit seinem Eigenlob nicht: Lukaschenko genießt insbesondere in der älteren Generation und auf dem verarmten Land Popularität. 1994 wurde er mit über 80 Prozent - bei fünf Gegenkandidaten - erstmals zum Präsidenten gewählt. Seither garantiert er u.a. staatlich gestützte Lebensmittelpreise und kann - im Vergleich zu anderen GUS-Staaten - auf eine geringe Kriminalitätsrate verweisen. Aus den Kriegen und Bürgerkriegen in den Staaten der früheren Sowjetunion konnte er seine 10,1 Millionen Untertanen (etwa 78 Prozent Weißrussen, 13 Prozent Russen) heraushalten. Auch die 1996 von Lukaschenko initiierte Union mit Rußland stößt nur auf geringe Gegenwehr.

Lukaschenko rühmt sich, 1991 als Abgeordneter des Obersten Sowjets gegen die Auflösung der Sowjetunion gestimmt zu haben. Im Gegensatz zur Ukraine ist das Nationalbewußtsein unterentwickelt - einen selbständigen weißrussischen Staat gibt es praktisch erst seit zehn Jahren: Am 27. Juli 1991verabschiedete der Oberste Sowjet der Belorussischen Sozialistischen Sowjetrepublik die staatliche Unabhängigkeitserklärung. Im Dezember 1991 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs Rußlands, der Ukraine und von Belarus in Wiskuli (Belowescher Wald, an der Grenze zu Polen) die Urkunde über die Kündigung des Unionsvertrages 1922. Somit bestand die Sowjetunion nicht mehr. Die Republik Belarus wurde ein unabhängiger, souveräner Staat.

Doch die Unabhängigkeit brachte vor allem wirtschaftliche Nachteile, Hilfe aus dem Westen floß spärlich. Sowjetnostalgie kam auf. Diese Tendenz bestätigte sich bei der Wahl. So erhielt Lukaschenko im strukturschwachen Gebiet um Gomel die meisten Stimmen, in der Hauptstadt Minsk, in der ein weitaus breiteres Informationsangebot herrscht, die wenigsten - nach offiziellen Angaben jedoch immer noch 57 Prozent. Die höchste Wahlbeteiligung wurde im an Polen grenzenden Gebiet Grodno verzeichnet, wo 85,54 Prozent der Bevölkerung zu den Wahllokalen kamen. In der Hauptstadt Minsk gingen nur 76,55 Prozent zur Wahlurne. Der unterlegene Zweitplazierte, der 61jährige Gewerkschaftsführer Gont-scharik brachte am Montag kaum tausend Demonstranten im Zentrum von Minsk auf die Straße. Von Protestkundgebungen wie etwa in Belgrad gegen Milosevic konnte keine Rede sein. Und besonders pikant: Zu Sowjetzeiten befürwortete Gontscharik als KP-Funktionär die Ernennung von Lukaschenko zum Leiter einer Sowchose (Staatsgut).

Und während der Westen die Wahlen kritisierte, war der russische Präsident Wladimir Putin einer der ersten, die Lukaschenko zu dessen „beeindruckendem Sieg“ gratulierten. Die Wahlbeobachter der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ (GUS) bezeichneten die Wahl sogar als „offen und frei“. Sie fanden lediglich „einige Mängel“, die aber durch eine „Weiterentwicklung des Wahlsystems“ beseitigt werden könnten. Doch auch in Berlin hat Lukaschenko Bewunderer: Die Junge Welt erkor den OSZE-Beobachter Hans-Georg Wieck - früher BND-Chef - zum „Peitschenschwinger des Tages“. Dafür läßt das einstige FDJ-Blatt den „unabhängigen deutschen Wahlbeobachter“ Klaus Hartmann (Präsident der „Weltunion der Freidenker“) zu Wort kommen: „Mit dem Niveau der US-amerikanischen Präsidentenwahlen kann sich Belorußland natürlich nicht messen, insofern ist der Unterhaltungswert geringer, andererseits wird zumindest in Minsk derjenige Präsident, der auch die meisten Stimmen erhält. … In den ’westlichen Demokratien‘ bestimmen Partei- oder Milliardärszirkel, wer den Wählern vorgesetzt wird. Ich bin trotzdem hingefahren, um den realen Kolonialbeamten vom Schlage des Geheimdienstagenten Wieck nicht das Feld zu überlassen, der im Tarnanzug der OSZE auch Belorußland ins Nato-Reich heimholen will.“


 
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