© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Himmelfahrt ins Nichts
Bundesregierung: Verteidigungsminister Scharping bleibt im Amt, und für Kanzler Schröder sieht es gar nicht mehr gut aus
Paul Rosen

In der Politik gilt ein eisernes Gesetz: Je lautstarker die Opposition den Rücktritt eines Ministers fordert, desto sicherer kann sich der Gescholtene in seinem Sessel fühlen. Die Richtigkeit dieses Grundsatzes zeigte der Fall des Vielfliegers Hans Eichel, und sie zeigt sich jetzt am Beispiel des Rudolf Scharping. Der Verteidigungsminister absolvierte in nur 35 Amtsmonaten mindestens 349 Flugreisen, ein Miles& More-König unter den deutschen Politikern. Aber selbst ein nur wenige Stunden andauernder Abstecher zur gräflichen Freundin nach Mallorca, um von dort nach Mazedonien weiterzufliegen, konnte Scharping bisher nichts anhaben. Selbst die von der Union verlangte Sondersitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages am Montag und Dienstag dieser Woche überstand Scharping ohne größere Blessuren. Und die Genossen stehen in Treue fest zu ihrem „Rudi“.

Schon auf ihrem Höhepunkt geriet die Scharping-Affäre an die Grenzen der Lächerlichkeit: die ganze Sache kam eigentlich nur an die Öffentlichkeit, weil Friedrich Merz, der Fraktionschef der CDU/CSU, auf dem Flughafen von Pristina im Kosovo sitzenblieb. Merz hatte zusammen mit einer Gruppe Journalisten die Bundeswehreinheiten in Mazedonien und im Kosovo besucht und wollte mit einer „Challenger“-Maschine der Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums, die er als Fraktionsvorsitzender nutzen darf, wieder nach Berlin fliegen. Doch Scharping hatte Merz den Flieger „geklaut“ - mitsamt einer an Bord deponierten Aktentasche -, um sich nach einer Nacht bei seiner Lebensgefährtin Gräfin Pilati auf Mallorca nach Mazedonien zu begeben. Ohne den schimpfenden Merz, ohne die verschwundene Aktentasche, wäre die Sache nie so hochgekommen.

Eine Staatsaffäre? Nein, dazu fehlt jeder Grund. Vielmehr zeigt sich, daß die politische Klasse wieder einmal oder immer noch mit öffentlichen Geldern verfährt, als sei es ihr eigenes Geld, das zum Fenster hinausgeworfen wird. Wenn Rudolf Scharping zu seiner Verteidigung die ähnlich zahlreichen Flüge seines Vorgängers Volker Rühe (CDU) anführt, will er damit den Nachweis führen, daß Steuergelder schon vor dem Regierungswechsel zu Rot-Grün im September 1998 mit genauso vollen Händen rausgeschmissen wurden wie danach.

Dennoch bleibt im Fall des liebestollen Ministers mehr als ein Geschmäckle zurück. Die Bundeswehr ist durch Scharpings Reform und Eichels Haushaltskürzungen mehr oder minder kaputtgespart worden. Den Soldaten im Einsatz fehlt es am Allernötigsten, daheim in den Kasernen ist die Lage so kritisch, daß selbst beim Toilettenpapier gespart werden muß. Die rot-grüne Koalition entzog der Bundeswehr im Vergleich zur Finanzplanung der alten Regierung rund 20 Millionen Mark. Und schon Helmut Kohls Mannschaft hatte sich bei der Bundeswehr durch Haushaltskürzungen eine reichliche „Friedensdividende“ beschert.

Zurückgeblieben ist eine Truppe, die trotz aller Reformen und Reformansätze immer noch so ausgerichtet ist, als gelte es, einen groß angelegten Panzerangriff aus den Tiefen des Ostens abzuwehren. Tausende von Panzern stehen dazu bereit, aber nur wenige Fahrzeuge sind tauglich für die neuen Aufgaben, die die rot-grüne Regierung für die Bundeswehr beschlossen hat: Im Kosovo zum Beispiel ist die Minengefahr gestiegen und nicht etwa gesunken, wie von deutschen Offizieren zu hören ist. Und trotzdem müssen die im Unterschied zum Leopard II und zum Marder-Panzer besonders minensicheren Dingo-Fahrzeuge abgezogen werden, damit die Einsatztruppen in Mazedonien sicher durchs Land fahren können.

Ein Verteidigungsminister, der sich in einer Zeit, in der seine Soldaten bei Einsätzen dem Tod ins Gesicht schauen, von Fotografen beim Pool-Planschen mit der Gräfin ablichten läßt, hat den Ernst der Situation verkannt und ist eigentlich zum Rücktritt fällig. Dies hat Scharping selbst, von dem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) gesagt haben soll, der habe ’ne Macke, zu keinem Zeitpunkt begriffen. Der Minister lebt in einer anderen Welt, träumt von seiner Gräfin und einer privatisierten Bundeswehr, die durch seine Reformen endlich einmal mit dem Geld auskommen wird.

Die Frage bleibt, wann Scharpings Träume von einer gut reformierten Bundeswehr platzen werden. Die Schätzungen reichen vom Jahresende bis zu einer Zeit knapp nach der nächsten Bundestagswahl. Die interessantere Frage allerdings ist, warum Kanzler Gerhard Schröder seinen verliebten Minister nicht in die Wüste geschickt hat. Es schien in der letzten Woche so zu sein, daß Schröder ernsthaft daran gedacht hatte. Daten wurden schon genannt: Erst der Freitag, dann das Wochenende, schließlich der Dienstag kurz vor der Haushaltsdebatte. Es mag sein, daß Schröder zu der Auffassung gelangte, es sei besser, Scharping im Kabinett zu halten, damit der Widersacher in die Disziplin eingebunden bleibt und nicht gefährlich werden kann. Denn im Dezember hat Schröder einen schwierigen Bundesparteitag mit Vorstandswahlen zu überstehen. In Berlin hält man aber für wahrscheinlicher, daß es Schröder nicht gelang, einen geeigneten Nachfolger für Scharping zu finden. Die Hamburger SPD-Politiker Henning Voscherau und Hans-Ulrich Klose sollen dankend abgelehnt haben.

Folglich gab Schröder Scharping Schützenhilfe und erklärte nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums, bei der der Verteidigungsminister nochmals beteuert hatte, alle Flüge seien dienstlich veranlaßt gewesen: „Ich habe nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln.“ Damit war für die Riege der Verteidigungspolitiker der SPD und auch der Grünen klar: In der Sitzung des Verteidigungsausschusses, in der die Opposition den Minister zu Fall bringen wollte, galt es, Solidarität zu zeigen, wenn auch zähneknirschend. Natürlich wetterte die Opposition: „Die Forderung nach Rücktritt hat sich von seiten der Union noch erhärtet“, sagte CDU-Verteidigungsexperte Paul Breuer nach einer Durchsicht der Liste mit den 349 Flügen des Verteidigungsministers. Den zweiten Vorstoß der Opposition, Scharping habe die Marschroute der deutschen Soldaten nach Mazedonien vorzeitig bekanntgegeben und damit die Truppen in Gefahr gebracht, konterte dieser mit dem Hinweis, die Route sei längst bekannt gewesen.

Der eigentliche Verlierer der neuerlichen Flugaffäre heißt Schröder. Der hat jetzt einen Minister mehr in seinem Kabinett, der jegliches Vertrauen eingebüßt und seine Autorität verloren hat. Ein Jahr vor der Bundestagswahl sieht es für den Kanzler überhaupt nicht mehr gut aus.


 
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