© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Wenn die Luft zum Atmen fehlt
Vierzig Jahre Erziehungsdiktatur drohen jetzt Nachwirkungen auf die Berliner Wahlen zu zeitigen
Matthias Bath

Vor den Berliner Wahlen am 21. Oktober rätseln die Beobachter des politischen Geschehens schon jetzt über die Gründe des erwarteten PDS-Erfolges. Auch wenn vielfältige mögliche Ursachen dieses Erfolges monokausalen Erklärungsmustern entgegenstehen mögen, gibt es doch zwei Gründe, die wichtiger und damit eindeutiger als Ursachen erscheinen. Zum einen haben die Bewohner der früheren DDR in den letzten elf Jahren massive soziale und wirtschaftliche Umgestaltungsprozesse erfahren, die sie nur zum geringen Teil selber steuern oder beeinflussen konnten und die durch die gleichzeitigen weltweiten wirtschaftlichen Transformationsprozesse im Rahmen der Globalisierung noch verschärft wurden. Zum anderen herrscht infolge vierzigjähriger Erziehungsarbeit der SED in der früheren DDR eine andere Mentalität als im übrigen Deutschland.

Realistisch betrachtet war die DDR eine der beiden totalitären Erziehungsdiktaturen im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Derartige Diktaturen beschränken sich nicht auf die bloße Unterdrückung der ihnen Gewaltunterworfenen, sondern streben zur eigenen Legitimation eine Übereinstimmung zwischen Führung und Volk an. Zur Erreichung dieses Ziels werden sowohl Mittel der Propaganda und Überzeugung als auch der Repression verwendet.

In der DDR wurden die für die Gesellschaft wie jedes einzelne ihrer Mitglieder maßgeblichen Erziehungsziele von der Führung der marxistisch-leninistischen Avantgarde - sprich: der Führung der SED - festgelegt und über staatliche Exekutivorgane und gesellschaftliche Transmissionsriemen wie etwa Medien und Massenorganisationen der Bevölkerung vermittelt und innerhalb dieser von einem erheblichen Anteil, wenn nicht gar der Mehrheit nach und nach übernommen.

Wer sich der erziehungsdiktatorischen Vermittlung marxistisch-leninistischer Wertvorstellungen erkennbar versagte, mußte mit vielfältiger Repression rechnen, angefangen von Disziplinierungen in der Schule über die Einweisung in Jugendwerkhöfe und geschlossene Jugendheime bis hin zur Verhängung politisch motivierter Freiheitsstrafen, die teilweise wieder in „Abteilungen mit besonderem Regime“ für besonders renitente Gefangene vollzogen wurden. Wer sich als völlig unverbesserlich und damit für das Leben in der sozialistischen Gesellschaft ungeeignet erwies, wurde schließlich als „Devisenbringer“ an den Westen verkauft.

Daß dies selten so klar gesagt wird, hängt wohl auch damit zusammen, daß die mental längerfristig wirksamen Erziehungsziele der DDR weitgehend mit dem Kanon gutmenschlicher Werte übereinstimmen, der zumindest seit 1968 auch für die meinungsbildenden Intellektuellen westlicher Länder bestimmend ist. Es geht um Gleichheit und soziale Gerechtigkeit, mitmenschliche Solidarität, Engagement für die Gemeinschaft und soziale Sicherheit, Arbeitsplätze und Absicherung der materiellen Grundbedürfnisse, also um Vorstellungen, denen auf den ersten Blick niemand ernsthaft entgegentreten dürfte. Im Grunde handelte es sich bei der Erziehung in der DDR aus Sicht westlicher Gutmenschen um eine solche zur Durchsetzung an und für sich guter Ziele, denen man sich auch selbst verbunden fühlt.

Angesichts dessen fällt die Verurteilung der Erziehungsdiktatur der DDR im Rückblick zunehmend verhaltener aus, und die Protagonisten der früheren Diktatur sind mit der PDS längst aus der Schmuddelecke entlassen und als Akteure aktueller Politik wieder anerkannt.

Selbst die besten Wertvorstellungen können aber eine überschießende Tendenz entwickeln und zu Dogmen erstarren, die letztlich nur noch mit Zwangsmitteln zu vermitteln und durchzusetzen sind. Dies ist aber bei aller Sympathie für den positiven Gehalt der ursprünglichen Werte nicht akzeptabel. Gegenüber der zwangsweisen Vermittlung von Wertvorstellungen erweist sich der bislang nicht erwähnte Wert der Freiheit als wichtiger denn der jeglicher Gleichheit oder abstrakter Gerechtigkeit.

Auch das Dritte Reich war im übrigen eine Erziehungsdiktatur, die allerdings mit wesentlich grobschlächtigeren Mitteln vorging als die DDR. Auch war das Dritte Reich 1945 nach zwölf Jahren Erziehungsdiktatur am Ende, die SED konnte ihre Erziehungsarbeit hingegen über 40 Jahre betreiben.

Die für die Gesellschaft maßgeblichen Erziehungsziele wurden auch im Dritten Reich von der damaligen politischen Führung festgelegt und mittels „Volksaufklärung und Propaganda“, aber auch durch Unterdrückung der Bevölkerung vermittelt. Maßgebliche Werte waren Volksgemeinschaft, nationale Solidarität, Engagement für die Gemeinschaft, Ethos der Arbeit und Leistungsbereitschaft, Reduzierung sozialer Unterschiede und soziale Sicherheit, Arbeitsplätze und Absicherung der materiellen Grundbedürfnisse, aber natürlich auch irrationales Blut-und-Boden-Denken, Rassismus, nationale Überheblichkeit und imperialistische Eroberungsideen gegenüber anderen europäischen Völkern.

Auch diese Vorgaben wurden seinerzeit vom Gros der Bevölkerung mehr oder minder bereitwillig übernommen. Wer hierzu nicht bereit war, mußte vorsichtig sein. Sich offen zu widersetzen war angesichts der Brutalität der Machthaber lebensgefährlich.

Die beschriebenen nationalsozialistischen Ideen trugen mit dazu bei, daß die Deutschen 1945 bis zur totalen Niederlage weiterkämpften. Sie wirkten, soweit sie einen konstruktiven Gehalt hatten, auch nach 1945 zunächst weiter und befähigten die Deutschen in West und Ost zu enormen Wiederaufbauleistungen. Während diese Vorstellungen aber im Westen - auch als Folge westalliierter Umerziehungsmaßnahmen - allmählich aus dem Bewußtsein der Bevölkerung schwanden, dienten sie im Osten zugleich als Fundament für die neue Erziehungsdiktatur der SED.

Angesichts der heutigen Herausforderung durch die Globalisierung und des weltweiten Siegeszuges des internationalen Kapitalismus, wie auch vor dem Hintergrund des Scheiterns des Sozialismus marxistisch-leninistischer Prägung 1989/91, ist es nicht verwunderlich, daß zunehmend auch Ideen der Verbindung nationaler und sozialer Werte wieder stärkeren Zulauf finden. Damit gibt es aber auch wieder Menschen, die sich zu Ideen aus der Zeit des Dritten Reiches, soweit diese ihnen als positiv interpretierbar erscheinen, hingezogen fühlen.

Dies darf aber anders als im Falle der DDR aus Sicht der heutigen politischen Akteure (unter Einschluß der PDS) nicht sein, beruht doch der im Laufe der letzten Jahrzehnte gewachsene Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland auf einem antinationalen, kosmopolitischen Selbstverständnis, das auf die Verinnerlichung des Kriegsausganges 1945 zurückgeht. Im Ergebnis dessen empfindet sich die Mehrheit der Bewohner zumindest der alten Bundesländer - anders als die der neuen Länder - heute eher als Westeuropäer denn als Deutsche. Diese kosmopolitische Orientierung gilt es zur besseren Durchsetzung globalistischer Vorstellungen nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern sogar weiterzuentwickeln.

Nationales Denken läuft dieser politischen Korrektheit zuwider und ist daher zu bekämpfen. Auch im demokratischen Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland zeigen sich dabei zunehmend erziehungsdiktatorische Tendenzen, wobei sich die Verantwortlichen zur Legitimation ihrer Handlungsweise zum einen auf ihre Ermächtigung durch demokratische Mehrheitsentscheidungen in Wahlen und zum anderen auf hehre, gutmenschliche Ziele berufen. Verbote, bestimmte Kleidungsstücke an Schulen zu tragen, bestimmte Formen von Musik zu verbreiten oder auch nur zu hören, Einschränkungen der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit wie auch der Versammlungsfreiheit, die Entlassung von national aktiven Arbeitnehmern bis hin zum Entzug von Taxifahrer-Lizenzen gegenüber national Orientierten, das Nachdenken darüber, ob Nationale charakterlich zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet seien, die Vielzahl politisch motivierter Strafverfahren gegen „Rechtsradikale“, die Kündigung von Konten mißliebiger Organisationen, Parteien und Publikationsorgane, vom Verbotsantrag gegen die NPD ganz zu schweigen, lassen klar erkennen, wohin die Reise geht.

Daß von all diesen Unterdrückungsmaßnahmen nur eine Minderheit der Bevölkerung betroffen sein mag, ändert nichts daran. Auch in der DDR und dem Dritten Reich traf die Repression letztlich nur Minderheiten. Auch wenn heutige Repressionen subtiler daherkommen mögen als früher, sollen sie mißliebigen Minderheiten die Luft zum Atmen nehmen. Der kosmopolitische Liberalismus heutiger Tage hat immerhin mit dem internationalistischen Sozialismus gemeinsame Wurzeln in der französischen Revolution von 1789, als man im Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auch nicht gerade zimperlich mit politischen Gegnern umging.

Letztlich mögen sich die Gemeinsamkeiten gegen „Rechts“ auch heute wieder in der Variante einer DDR- light-Gesellschaft treffen und abermals eine Erziehungsdikatur zu begründen versuchen. So gesehen wären aber auch die Wähler der PDS durchaus in der Mitte der Gesellschaft zu lokalisieren. Vielleicht liegt auch hierin eine Ursache für den erwarteten Erfolg der PDS am 21. Oktober.


 
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