© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
Das Böse liegt uns im Blut
von Josef Schüßlburner

Die Anti-Rassismus-Konferenz von Durban hat in Deutschland vor allem wegen der Initiative arabischer und islamischer Staaten zur Verurteilung des Zionismus als Variante des Rassismus Aufsehen erregt. Allgemein steht man dabei der Gleichung „Zionismus = Rassismus“ aufgrund des offiziellen Philosemitismus mit Abscheu gegenüber. Gerade deshalb sollte der sogenannte Mitte, das heißt den etablierten Parteien, eigentlich deutlich werden, daß der Antirassismus zum politischen Kampfinstrument geworden ist, das weitreichende Wirkungen zeitigen kann. „Antirassismus“ könnte nämlich nicht nur zur Abschaffung des Staates Israel beitragen, sondern auch auf die Überwindung dessen hinauslaufen, was in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Begriff „freiheitlich demokratische Grundordnung“ umschrieben wird.

Als bedeutsamste Auswirkung des offiziellen Antirassismus ist nämlich der schleichende Übergang zu einer Grundrechtskonzeption auszumachen, die im Ergebnis derjenigen entspricht, welcher kommunistische Staaten gefolgt sind. Während Grundrechte nach traditionellem liberalen oder westlichen Verständnis den Bürger vor Maßnahmen des Staates schützen, hat der Kommunismus bei Nachahmung einer Entwicklung der Französischen Revolution, die mit einer zwingenden Logik von der Menschenrechtserklärung zum terreur geführt hatte, Grundrechte von vornherein als Strafnormen ausgestaltet, die sich gegen Individuen richten. Erinnert sei an Artikel 6 der antifaschistischen DDR-Verfassung von 1949, der die Verwirklichung des Gleichheitsprinzips vor allem darin gesehen hat, daß gegen die Gleichberechtigung gerichtete Handlungen von Bürgern, insbesondere „Rassen- und Völkerhaß“ qua Verfassung als Verbrechen statuiert wurden.

Die Gefahr der Mutation eines liberalen Grundrechtsverständnisses in ein linksextremistisches droht innerhalb des freien Westens am ehesten in der Bundesrepublik, die sich mit dem Schlagwort „Kampf gegen Rechts“ ohnehin schon durch einen offiziellen Antipluralismus auszeichnet. Einstieg zu dieser Wandlung des Grundrechtsverständnisses stellt die sogenannte Werteordnungslehre des Bundesverfassungsgerichts dar, die bekanntermaßen den Freiheitsbereich der Grundrechte nicht erweitert, sondern lediglich die Grundrechtssubstanz zugunsten der jeweils herrschenden Strömungen umverteilt. „Werte“ gehen vor allem zu Lasten der Meinungsfreiheit und verwandter Grundrechte wie Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, da man „Werte“ vor allem verbal verletzen kann und zwar selbst dann, wenn die entsprechende „Handlung“ nicht einmal den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt. Aus diesem Grunde ist man etwa „Verfassungsfeind“, weil man - angeblich - nicht nachhaltig an bestimmte Grundrechte glaubt oder gar aufgrund falscher Ansichten gegen „Grundrechte agitiert“, wobei die Bekämpfung dieses Irrglaubens von Bürgern durch Inlandsgeheimdienste Beweis dafür darstellt, daß Grundrechte auch „gelten“. Auf diese Weise kann man dann Grundrechte methodisch ihres Rechtscharakters völlig entkleiden und zu Bekenntnisnormen einer Staatsideologie machen. Deren Wahrheiten können dann wiederum strafrechtlich geschützt werden, und so mutiert „Menschenwürde“ mit Paragraph 130 Strafgestezbuch (StGB) („Volksverhetzung“) plötzlich zur Strafnorm, so wie die „Boykotthetze“ des antifaschistischen DDR-Regimes den Gleichheitssatz zur Verfolgungsmaxime für die Staatssicherheit hat mutieren lassen.

Der Antirassismus gibt dieser Umfunktionierung der Grundrechte von Freiheitsrechten zu staatlichen Unterdrückungsmaximen neuen Auftrieb, wie sich daran zeigt, daß in der bislang freien Schweiz mit der Antirassismusgesetzgebung dieselbe gegen die Meinungsfreiheit gerichtete Diskriminierung erreicht wird wie in der Bundesrepublik mit Paragraph 130 StGB. Mehr noch: Wie der vorerst gescheiterte Versuch in Belgien zeigt, mit Hilfe des dem Premierminister unterstehenden „Zentrums für Gleichberechtigung und Kampf gegen Rassismus“ die Oppositionspartei Vlaams Blok per Gerichtsbeschluß zur „rassistischen Organisation“ erklären zu lassen, droht über den Antirassismus die Nachahmung der bundesdeutschen Wehrhaftigkeit; denn mit Hilfe des Antirassismus sollte im bislang freien Königreich Belgien ein ideologisches Parteiverbot nach dem Konzept der freiheitlichen Bundesrepublik bewerkstelligt werden, das in Europa bislang sonst nur noch in der Türkei bekannt ist. Mit der „Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ droht die Europäisierung des Systems bundesdeutscher Verfassungsschutzberichte, die sich den Grundsätzen des politischen Pluralismus zuwider aus ideologischen Gründen gezielt gegen Oppositionsparteien richten. Und schließlich ist der Versuch der EU-Staaten, in Österreich durch außenpolitische Boykottmaßnahmen das Ergebnis freier Wahlen zu korrigieren, mit der „Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ - negative Dreifaltigkeit europäischer Zivilreligion - gerechtfertigt worden. Dadurch sollte die nationalstaatliche Demokratie des sie tragenden Prinzips des Selbstbestimmungsrechts des Volkes entblößt und in eine bloße Selbstverwaltung überführt werden, deren Wahlergebnisse unter dem Vorbehalt der Billigung übergeordneter Mächte stehen, die sich durch „Antirassismus“ ideologisch legitimieren.

Wie die Gleichung „Zionismus = Rassismus“ zeigt, wird allerdings die im europäischen Antirassismus übliche Folgerung, wonach Antisemitismus als Unterfall des Rassismus besonders zu bekämpfen sei, keinesfalls generell als vordringlich anerkannt. Für diejenigen, welche sich zumeist mit Empörung gegen diese Gleichung wenden, müßte damit zumindest das Diffamierungspotential des sogenannten Antirassismus deutlich geworden sein (gleiches gilt für amtliche Hetzparolen gegen freie Bürger wie „latenter Antisemitismus“). Aber ist vielleicht etwas dran an der Gleichung, wonach möglicherweise nicht so sehr der in der Bundesrepublik bekämpfte „Antisemitismus“, sondern vielmehr „Zionismus“ für „Rassismus“ steht? Nun, legt man die Maßstäbe zugrunde, die Anhänger der Trias „Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ an den deutschen Nationalismus (oder was man dafür hält) anlegen, dann ist „Zionismus“ selbstverständlich „Rassismus“; denn nach der Logik des Multikulturalismus dürfte es eigentlich keinen Staat Israel geben, sondern die nach Palästina eingewanderten Juden hätten sich in den Multikulturalismus der palästinensischen Gesellschaft integrieren müssen und nicht eine israelische Leitkultur durchsetzen dürfen. Das „Blutrecht“ des Staates Israel bei der Gewährung der israelischen Staatsangehörigkeit müßte angesichts der Argumente gegen das seit 1913 geltende deutsche Staatsangehörigkeitsrecht offensichtlich zum Verdikt „Rassismus“ führen. Oder gelten etwa für Israelis und Juden andere Maßstäbe als für Deutsche (ohne jüdische oder ausländische Abstammung)?

Bei dieser Frage stößt man vielleicht auf die Art von Rassismus, die es in der Tat in der Bundesrepublik Deutschland zu bewältigen gälte. Erinnert sei an die Aussage des Pro-Zionisten Michel Friedman, der mit der negativen Trias permanent gegen die bundesdeutsche Rechtsopposition agitiert, wonach „Judenfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit“ „Menschenfeindlichkeiten“ seien (Interview in Focus Nr. 16/1994). Daraus kann man entnehmen, daß Deutschenfeindlichkeit keine „Menschenfeindlichkeit“ darstellt. Daß diese Folgerung keine Unterstellung darstellt, ergibt sich aus der verschiedentlich bezeugten Aussage der genannten Person, wonach „Versöhnung ein absolut sinnloser Begriff“ sei, da die „Erben des judenmordenden Staates“ „generationenlang“ büßen sollten. Trotz seiner deutschen Staatsangehörigkeit zählt sich also Friedman offensichtlich nicht zu den „Erben“, wobei dieser Erbfolgeausschluß abstammungsbedingt und damit nach den Grundsätzen des Multikulturalismus als „rassistisch“ zu kennzeichnen ist. „Verantwortlich“ bleiben danach lediglich die Deutschen ohne privilegierte Abstammung, denen rassistisch unterstellt wird, kraft Abstammung auf der antisemitischen Verfolgerseite zu sein.

Deutlich wird damit, daß der maßgebliche Rassismus in Deutschland ein Phänomen darstellt, das man am besten auf den Begriff des Bewältigungsrassismus bringen kann. „Bewältigt“ werden soll ja bekanntlich, damit die Deutschen nicht wieder „Faschisten“ (Antisemiten, Fremdenfeinde und Rassisten) werden, was sie wohl kraft deutscher, nicht-privilegierter Abstammung zumindest potentiell sind. Die „Bewältigung“ ist solchen Rassismusvarianten zuzuordnen, die in extremer Form im Sowjetkommunismus zum Ausdruck gekommen ist und „in einer Übertragung der Rassenideologie auf soziale Gruppen“ (Courtois et al. „Schwarzbuch des Kommunismus“, S. 701) bestanden hat. Dieser Rassismus ist in den Lehren des Sowjetrussen Lyssenko repräsentativ ausgedrückt, der aufgrund des Larmarckismus, der Annahme von der Vererblichkeit sozial erworbener Fähigkeiten, zu dem Ergebnis gelangt ist, daß sich auch für soziale Gruppen typische Verbrechen und Fortschritts-
hindernisse vererben, was im Interesse der Beschleunigung des Fortschritts
zur Logik des Genozids an sozialen Gruppen geführt hat, wie am „Antikulakismus“ demonstriert werden kann. Auch das sogenannte Autogenozid der Pol-Pot-Kommunisten in Kambodscha kann nur mit dieser Art von Rassismus erklärt werden.

Es kennzeichnet den fragwürdigen Charakter des sogenannten Antirassismus, daß derartige Formen des Rassismus nicht der Bekämpfung oder der Bewältigung würdig erachtet werden, weshalb auch der im Ansatz verwandte Bewältigungsrassismus (Vererblichkeit der Veranlagung zum Antisemitismus) nicht in das Blickfeld des Antirassismus kommen dürfte. Und dies, obwohl Aussagen aus dem Umwelt der Grünen, wonach es „in der deutschen Frage“ keine Alternative zum „umgekehrten Rassismus“ gäbe, den rassistischen Charakter der „Bewältigung“ eigentlich deutlich machen.

Man muß sich dabei sogar die Frage stellen, ob der Antirassismus, der immerhin in der Lage ist, Zionismus als Rassismus anzusehen, als „umgekehrter Rassismus“ nicht selbst eine Abart des Rassismus darstellt, zielt er doch in der Variante des Multirassismus auf eine Veredelung, wahlweise Abschaffung des bewältigungsbedürftigen Deutschtums, die offensichtlich nur durch entsprechende rassische Blutzufuhr erreicht werden kann, während rassisch nicht privilegierte deutsche Abstammung dem Faschismusverdacht ausgesetzt wird. Es fällt zumindest auf, daß Werte wie Pluralismus, womit sich die bundesdeutsche „Freiheitlichkeit“ ohnehin schwertut, zunehmend rassisch verstanden werden: Wenn Bundespräsident Rau seine Vision danach bestimmt, daß „man ohne Angst verschieden sein kann“ (Interview in der Berliner Zeitung vom 11./12. September 1999), dann meint er dabei nicht Verschiedenheit in den Ansichten (Pluralismus), die man in einer freien Demokratie ohne Furcht etwa vor Geheimdienstkontrolle äußern können muß, sondern Verschiedenheit der Hautfarbe (Multirassismus).

So wie man bereits der Wertelehre des BVerfG vorwerfen muß, daß sie den Freiheitsbereich von Grundrechten nicht erweitert, sondern lediglich Grundrechtssubstanz umverteilt, so ist dem verwandten Multirassismus vorzuwerfen, daß er menschliches Feindbedürfnis nicht abschafft, sondern umlenkt: Anstatt durch der „Völkerverständigung“ (Beachtung der deutschen Staatsgrenzen und Einreisebeschränkungen) zu zähmenden Fremdenfeindlichkeit gibt es dann die sicherlich demokratiewidrige Deutschenfeindlichkeit, die im Kampf „gegen Rechts“ stellvertretend und mit rassistischer Verve das Deutschtum bekämpft und zu diesem Zwecke „Völkerverständigung“ in „Bevölkerungsverständigung“ (Zwang zur Duldung von Rechtsbrüchen wie Aufenthaltserschleichung) umfunktioniert. Der offiziösen Bundesrepublik müßte immerhin die Gleichung „Zionismus = Rassismus“ Warnung hinsichtlich der Konsequenzen des Anti-Rassismus und der möglichen Feinderklärungen sein, wenn ihr schon die rassistischen Implikationen der „Bewältigung“ und deren Feinderklärungen nicht auffallen. Es gibt in der Tat bedeutsame Gründe, eine „Rassismusdebatte“ zu führen.

 

Josef Schüßlburner, Jahrgang 1954, Jurist, ist als Regierungsdirektor in der Bundesverwaltung beschäftigt sowie Autor zahlreicher Beiträge zu juristischen und politischen Themen in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. In der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt über „Antifa heißt Herrschaft“ (JF 28/01)


 
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