© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Florian Illies
Generation Durchblick
von Ellen Kositza

Es waren revolutionärere Zeiten, als sich junge Menschen Fensterglas in Brillengestelle setzen ließen. Der Nickelbrillenträger galt als intellektuell, und intellektuell war links. Heute dagegen ist öffentliches Brillentragen bei jungen Erwachsenen fast gleichzusetzen mit einem konservativen Bekenntnis. Als Florian Illies mit 15 Jahren seine ersten Gläser verordnet bekam, weinte er fast: „Damals hatten weder Calvin Klein noch Armani die Brillengestelle für sich entdeckt.“ Mittlerweile ist Illies 30, das Kontaktlinsenzeitalter längst angebrochen, und er immer noch vieräugig unterwegs.

Vor zwei Jahren veröffentlichte er unter dem Titel „Generation Golf“ seine Betrachtungen der jüngsten Erwachsenengeneration. Wo seit den Achtzigern kommerzielle Warenästhetik das Bewußtsein bestimmt und Hedonismus Alltag ist, ist das Denken und Handeln in Wertkategorien aus dem Betätigungsfeld entschwunden: „Die Lust an einer Meinung, der Mut und Wille einer Gesellschaft, wird von vornherein von einem wie Wolfgang Thierse bestimmt“, sagte Illies einmal. Herangewachsen sei eine materiell verwöhnte und ideologisch unbekümmerte Generation, die wieder über Polenwitze lachen kann, ohne gleich an den Polenfeldzug zu denken, wie man sich überhaupt von Politik wie Moral verabschiedet habe und in stiller Behaglichkeit dem Konsum fröne.

„Generation Golf“ steht noch immer in den Bestsellerlisten, wird seit dieser Woche aber von Illies’ soeben erschienener „Anleitung zum Unschuldigsein“ verdrängt. Als „Übungsbuch für ein schlechtes Gewissen“ empfiehlt Illies seine neue Essaysammlung: Wir Generationsbeteiligte sollen mittels 23 Lektionen lernen, unser schlechtes Gewissen, verstanden als nationale (Un-)Tugend, abzuschütteln - Adé Mülltrennung, servus Solidarität. Hier wäre sie also doch, die Moral, die angeblich ausgedient hat in der „Generation Golf“. „Wir“ schreibt Illies immer, wir Jungen, wir Deutschen, wir, die erste Generation, die keiner beneidet - das Einbeziehen der eigenen Person nimmt dem hintergründig appellativen Charakter der spitzfindigen Analyse die Schärfe, läßt den großen „Wahnsinn einer Konsens-Republik, wo die CSU gemeinsam mit der PDS und Ben Becker und Uschi Glas auf die Straße geht“, als lächelnd zu ertragende Wirklichkeit erscheinen.

Florian Illies, stets in noblem Anzug, kann als Prototyp des aufstrebenden neokonservativen Akademikers gelten. Er studierte Kunstgeschichte und Neuere Geschichte in Bonn und Oxford, erwarb erste journalistische Erfahrung beim Schlitzer Boten, seinem Heimatblatt, volontierte bei der Fuldaer Zeitung. Als 25jähriger wurde er Feuilleton-Redakteur der FAZ, seit 1999 betreut er die Berlin-Seite.

Daß die „Generation Golf“ (Illies 2000) Wertbewußtsein ad acta gelegt hat, widerspricht nicht der Erkenntnis, daß das schlechte Gewissen der Deutschen höchster Lehrmeister ist (Illies 2001). Florian Illies betrachtet Deutschland eben durch verschiedene Brillen.


 
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