© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Alle Daten sicher, Angestellte verloren
Börse II: Der Terror und die Folgen für die Wirtschaft / Filmindustrie betroffen / Katastrophe wird teilweise schamlos ausgenutzt
Ronald Gläser

Die wirtschaftlichen Folgen der Terrorwelle in den USA und der veränderten geopolitischen Lage sind noch nicht abzusehen. Einige Branchen sind schon jetzt betroffen: Eine fundamentale Veränderung steht der US-Filmindustrie bevor. In dieser „Traumfabrik“ in Hollywood wurden auch die Alpträume produziert, die jetzt zur bitteren Realität geworden sind. Es gab aber keinen Bruce Willis oder Sylvester Stallone, der als Retter in der Not New York vor der Katastrophe bewahren konnte.

Weil die Fiktion von der Realität überholt wurde, steht das gesamte Action-Genre vor dem Aus. Aufwendige Spezialeffekte, die die Sprengung der Freiheitsstatue oder eine mörderische Explosion in einer US-Metropole zeigen, werden plötzlich als makabrer Zynismus empfunden. Die letzte King-Kong-Verfilmung gipfelte in einem das Welthandelszentrum emporklimmenden Riesenaffen. Und im neuen „Spiderman“-Film, der bald in die Kinos kommen sollte, dienen die beiden WTC-Türme als Kulisse für ein gewaltiges Spinnennetz, in dem ein Hubschrauber gefangen wird. Auch die Ausstrahlung einer neuen Serie des deutschen Hollywood-Regisseurs Roland Emmerich wurde unverzüglich ausgesetzt. „Agency“ sollte einen Blick hinter die Kulissen des FBI ermöglichen.

Eine ähnliche Intention dürfte Microsoft getrieben haben. Der Softwaregigant wirft seit Jahren immer neue Flugsimulatoren auf den Markt, mit denen auch Laien den Anflug auf das WTC üben können. Jetzt beteiligte sich der „Windows“-Milliardär mit einer Spende von zehn Millionen an einem der Hilfsfonds.

Auch die Finanzbranche steht vor gewaltigen Herausforderungen. Sie wurde buchstäblich in ihrem Zentrum getroffen. Die auf sie zukommenden Kosten zur Kompensation der eigenen Schäden werden nur noch von den zu leistenden Versicherungsprämien übertroffen. Auf vierzig Milliarden Dollar wird der materielle Schaden taxiert, der damit auch zum größten Versicherungsfall der Geschichte avanciert.

Alles wird aber von den - wie es Ökonomen nennen - Verlusten an „Humankapital“ überdeckt. Das Investmenthaus Morgan Stanley, das ein Zehntel seiner 3.500köpfigen Belegschaft im WTC beschäftigte, wiegelt ab. Die meisten Mitarbeiter seien gerettet worden, die Anleger mögen sich beruhigen. Das Investmenthaus Cantor Fitzgerald hat 700 seiner 1.000 Mitarbeiter in den Büros zwischen dem 101. und 105. Stockwerks verloren. Neben einer oberflächlichen Anteilnahme beschäftigen sich Personalchefs jetzt vorwiegend mit der Rekrutierung neuer Anlagespezialisten: Zwei Tage nach dem Anschlag gingen die ersten Bewerbungen bei Investmentbanken ein!

Andere Finanzhäuser arbeiten fieberhaft an neuen Anlagestrategien, mit denen man auf die veränderte Weltlage reagieren kann. Die Portfolios werden unter Sicherheitsaspekten neu strukturiert: So bieten Geschäftsleute Kopfprämien auf Osama bin Laden - Zeitungsporträts und öffentliche Akzeptanz sind gesichert. Makaber haben schließlich Werbestrategen die Katastrophe von New York in Zeitungsanzeigen für eine Internetfirma, die Datensicherungen vornimmt, verarbeitet. Alle Daten seien sicher, lautet die frohe Botschaft, obwohl die Firma ihre Büros im WTC gehabt habe. Der Verlust mehrerer Angestellter wird verschwiegen: Business as usual.

Sprachlosigkeit ruft der sofort aufgekommene Handel mit Devotionalien hervor. Wie dereinst Stücke der Berliner Mauer werden in New York jetzt Säckchen mit WTC-Schutt für hundert Dollar verkauft. Verkehrsschilder aus Süd-Manhatten, die bis Dienstag den Verkehr rund um das Gebäude lenkten, bringen genausoviel ein. Gerahmte Bilder der Zwillingstürme bringen es nur auf dreißig Dollar. Ein besonders pfiffiger Geschäftsmann sicherte sich die Internetadresse www.usavengeance.com  (USA-Rache). Er verlangt 10.000 Dollar für die Rechte an der einprägsamen „Domain“.

Die Finanzwelt ist zunächst mit einem blauen Auge davongekommen. Die Laufbänder mit Aktiennotierungen auf CNN oder n-tv dominieren das Fernsehbild. Auch wenn die Kurse, die sie zeigen, keine allzu große Freude aufkommen lassen. An erhebliche Verluste hatte sich die Börsenwelt aber in den letzten Monaten ohnehin gewöhnt. Der Tagesverlust des Nasdaq von acht Prozent am Montag hielt sich vor dem Hintergrund der Ereignisse in Grenzen. Den US- Börsen ist schon schlimmeres widerfahren.

Zuvor waren alle Hebel in Bewegung gesetzt worden, um einen „Crash“ zu verhindern. Die US-Notenbank hatte kurz vor der Wiedereröffnung der Märkte ein politisch motiviertes Signal gesetzt. Der Leitzinssatz war um einen halben Prozentpunkt gesenkt worden.

Eher hilflos wirkte dagegen der Aufruf des New Yorker Bürgermeisters Giuliani, gerade jetzt Aktien zu kaufen, weil dies eine patriotische Pflicht sei. Auch Kanzler Schröder äußerte sich bei der Eröffnung der Asien-Pazifik-Wochen ähnlich. Tatsache ist, daß Patriotismus für eiskalt rechnende Fondsmanager kein Herzensanliegen darstellt. Ihre Bezahlung hängt von Börsengewinnen ab und nicht von Wertvorstellungen, die sie selbst als archaisch betrachten.

Clevere Fondsmanager überlegen, welche Fluglinie und welchen Versicherer man zugunsten einer Rüstungsfirma oder einer Wachfirma aus dem Depot wirft. Panikreaktionen wurden dadurch vermieden. Das beweist, daß es manchmal besser ist, besonnen zu reagieren, statt wutentbrannt zuzuschlagen.


 
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