© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001


Vorsicht Satire! Krumme Wege durch das Netz zu den Drahtziehern der WTC-Katastrophe
Zahlen, Zeichen, Zeitenwenden
Wolfgang Eggert

Es ist so schade. Gerade erst schickte sich die deutsche Politik an, ihr muffig-berechenbares Gepräge ad acta zu legen und einen ganz neuen, eigenen, nie gekannten Charme zu entwickeln. Und jetzt, nach den Terroranschlägen beim großen Bruder, ist alles wieder beim Alten. Man trägt wieder Schlips, zumindest innerlich. Graue Gesichter sind angesagt. Ernstes Mienenspiel. Staatsmännische Betroffenheit, wohin man blickt.

Angesichts der Horror-Bilder aus Amerika ist diese Haltung verständlich. In der Politik und vor allem in der veröffentlichten Meinung. Ganz Deutschland scheint in diesen Tagen geradezu darauf versessen, den Vorgaben des amerikanischen Außenamts bzw. der Ostküstenpresse zu folgen. Im Gleichschritt. Ein Volk, ein Bild, eine Meinung.

Ganz Deutschland? Nein. Eine kleine, aber wachsende Gemeinde benutzt die breite Bühne des Zukunftsmediums Internet, um dem alten Konformismus erbitterten Widerstand entgegenzusetzen. Hier, in den PCs der Nation, wo (noch) alles gesagt werden darf, was das menschliche Hirn zu denken fähig ist, hat heute die Gegenöffentlichkeit das Wort. Gerade auf den libertären Homepages, in denen tagtäglich in Sachen Meinungsbildung der Ferrari kaltgestartet wird, blüht der Spekulationsmarkt zu den Hintergründen, den „wahren“ Tätern von Amerika. Anarchisch, spannend, wahnsinning. Von allem etwas.

Als einer der ersten Verdächtigen rückten ausgerechnet die stets um höfliche Korrektheit bemühten Japaner ins Visier der Computer-Colombos. Tatsächlich hatte kurz nach der Attentatsserie ein anonymer Anrufer den verzweifelnden US-Sicherheitsdiensten gemeldet, eine Terrorgruppe aus dem Land der aufgehenden Sonne habe in Amerika die Lichter ausgehen lassen. Als Rache für Hiroshima. Spät, immerhin, aber das Datum hatte etwas für sich, glatte 60 Jahre nach Pearl Harbor. War es also das durch aktuelle Hollywood-Filme im nationalen Pathos gekränkte Nippon, das das von seinen eigenen Söhnen erbaute World Trade Center zu Fall brachte? Die Kamikaze-Art des Zugriffs mag dieses Gedankenspiel beflügelt haben, ebenso wie die gleichzeitige „Entsorgung“ des Pentagons, das ebenfalls in den Tagen von Pearl Harbor errichtet wurde. Mangelnde Gründlichkeit hat man den „Preußen Asiens“ schließlich nie nachsagen können. Indes mußte - die Japanische Rote Armee wollte sich partout nicht mehr melden - die entsprechende Spur schon bald zu den Akten gelegt werden.

Auf einen entsprechenden Platzhalter brauchte man nicht lang zu warten. Der ultimative Protest der von der amerikanischen Weltwirtschaft geprellten Staatengemeinschaft habe, hieß es nun, den Finger am Abzug gehalten. Genauer, die revolutionäre Vertretung derselbigen. Wütende T-Online-Anleger als Racheengel gegen das Federal Reserve System? Ein Gedanke, der die Massen zu mobilisieren scheint. Auf jeden Fall meldeten sich prompt anonyme Anrufer, die der Börse von Frankfurt vergleichbare Tiefflüge androhten. Umgehend wurden die Bankenhochhäuser gesperrt und das zitternde Kapital evakuiert.

Zu diesem Zeitpunkt hatten Anarchisten im Netz längst in „Uncle Sam“ höchstpersönlich den Drahtzieher der Katastrophe ausgemacht. Für sie standen rechtsradikale, oder besser gesagt staatsdirigistische Fraktionen des US-Establishments im Zentrum des Verdachts. Diesen käme der Terror nur zu offensichtlich zugute. Der Anschlag wird - so die im Prinzip richtige Analyse - zu harschen Sicherheitskontrollen führen, mit einer Vielzahl einschneidender Auswirkungen, die wiederum die bürgerlichen und zivilen Freiheiten unterminieren werden. Beschränkungen, die ohne ein militarisiertes Volksempfinden im traditionell auf libertäre Selbstbestimmung fixierten Amerika nicht umsetzbar wären. Ein zweiter „Fall Reichstag“ also? Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten! Denkbar oder nicht? Die Debatte über diese Frage wurde gerade zwischen linken und nationalpatriotischen Internetnutzern mit äußerster Heftigkeit geführt. Bis hin zur Verwendung von Kraftausdrücken, die körperlichen Übergriffen voranzugehen pflegen.

An diesem heiklen Punkt der Spurensuche erbarmten sich die amerikanischen Sicherheitsbehörden endlich, die Öffentlichkeit aus ihrer Ungewißheit zu erlösen. Findige Experten - so verlautbarte das Weiße Haus - hatten in der Nähe eines Tatorts einen Transportwagen gefunden, bestückt mit arabischen Pässen und Fluginstruktionen darin. Welch eine Bescherung. Ostern und Weihnachten an einem Tag. Im Lande von Walt Disney gibt es das tatsächlich. Mit einem Schlag war das Täterbild damit geradegerückt und die Welt wieder in Ordnung. An der Oberfläche.

Aber nicht im Internet. Hier ging die Diskussion jetzt erst richtig los, und sie entzündet sich bis heute an der Frage: Warum griffen die Araber nicht ihren eigentlichen Widersacher, den Zionismus, an? Ein arabischer Anschlag mußte das Blatt jetzt komplett wenden, und die Amerikaner an die Seite Scharons ziehen, zum Schaden der Palästinenser, ja der arabischen Sache an sich. Und zum Nutzen der israelischen Falkenregierung, die seit dem Mord an Ministerpräsident Rabin den Frieden blockiert. Vor diesem Hintergrund erscheint die Tat völlig unverständlich, sogar kontraproduktiv.

Der erste Teil dieser Argumentationskette (über die Schuld der Araber) wird im Internet geteilt und mit unverhohlener Ironie besprochen. Aber: Die logische Frage, ob nicht die Gegner der Araber, also die Israelis im Spiel sein könnten, wird pikanterweise von kaum jemandem gestellt. Noam Chomsky, der Gottvater antizionistischer Links-Analyse, hat bislang nur Kryptisches verlauten lassen. So sind es vor allem die Sektierer um LaRouches Schillerbewegung, die die Fahne eines Coups Marke Tel Aviv hochhalten.

Auch die Templer stehen da in nichts nach: Natürlich spiele die Zahl 23, die immer in Verbindung mit den Iluminaten genannt wird, eine entscheidende Rolle. Die 23, deren Quersumme 5 ist, hat, wie es heißt, etwas Teuflisches. 5, die Pentanale, dient den Illuminaten zur Teufelsanbetung. Noch schlimmer: 2:3=0,666! Der Teufel steckt halt im Detail. Nun also zum 11.09.2001. Nicht ersichtlich? 11+0+9+2+0+0+1=23 =2+3=5, oder auch 1+1+0+9+2+0+0+1 =14=1+4 schon wieder 5! Wem das nicht ausreicht, bekommt die Orte des Geschehens (New York, Pittsburgh und Washington) in den entsprechenden Kontext gesetzt: Schon mal auf die Landkarte geschaut? Sie liegen in einem Dreieck zueinander, meinen Templer. Was sollte man jedoch beachten: Es gibt keine Dreiecke in unserer dreidimensionalen Welt. Also eine Pyramide. Die Ägypter wußten Bescheid!

Nicht fehlen darf Nostradamus, dessen Voraussagen - natürlich nur im richtige Kontext gelesen - alles enthalten. 1554 soll Nostradamus geschrieben haben, daß, wenn zwei große Türme in der großen Stadt in Flammen stehen, der Dritte Weltkrieg entbrennen wird. Für die Templer paßt dies alles ins große Puzzle der Verschwörung.

Freimaurer wurden auch nicht ausgelassen, wollten sie doch die als „Phallussymbole“ verschrieenen Türme des WTC seit jeher zu Fall bringen. Dafür spricht, nach gerüchtlichen Erkenntnissen, daß allein das Datum Bedeutung hat. Die 911 hätte schließlich eine große Bedeutung, denn am 9. 11. 1938 war die Reichskristallnacht und am 9. 11. 1989 fiel die Mauer. Und im Amiland fängt man mit dem Monat an: 9-11-2001. Oder vielleicht waren es doch nur Außerirdische …

Fototext: Michel de Nostredame: Fachleute verzeichnen im Internet in der letzten Woche über 20.000 Anfragen zu seinen Prophezeiungen - im ganzen Monat August waren es noch 760.


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