© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   40/01 28. September 2001


Schlag gegen Rot-Grün
Die Hamburg-Wahl eröffnet neue bürgerliche Mehrheiten
Christian Vollradt

Der Eifer, mit dem die Hamburger Bürgerschaftswahl über die Grenzen der Hansestadt hinaus verfolgt wurde, verdeutlicht eine Besonderheit, die diesen Urnengang über alle anderen in jüngster Zeit hinaushebt: Es war eine wirkliche Wahl, hier hieß es zwischen tatsächlichen Alternativen zu entscheiden, es war der Sieg des Entweder-Oder über das Sowohl-als-Auch! Das Ergebnis bestätigt diese Einschätzung: Wer die politischen Verhältnisse konservieren wollte, stimmte für die SPD, die erstaunlich wenig Einbußen zu verzeichnen hatte, wer auf Veränderung setzte, wählte den politischen Homo Novus Ronald Schilll. Weder die Union, die ihrem Debakel-Ergebnis von 1993 wieder sehr nahe kam, noch die FDP, die nach zwei Legislaturperioden Abwesenheit aus der Bürgerschaft die Fünf-Prozent-Marke nur mit Hängen und Würgen nehmen konnte, standen bei den Wählern hoch im Kurs, die der über vierzigjährigen Herrschaft der Sozialdemokraten ein Ende wünschten. Die Grün-Alternative-Liste wird fast die Hälfte ihrer bisherigen Sitze einbüßen, aufgerieben zwischen denen, die angesichts jüngster Ernstfälle aus gesellschaftspolitischen Wunschträumen auf den Boden der Realität zurückkamen, und denen, die - fundamentalistischer gesinnt - lieber für das linksradikale Spaltprodukt „Regenbogen“ votierten. Aus der Keimzelle der grünen Bewegung, als die Hamburg lange Zeit galt, wird dieses Dilemma bis in die Bundespolitik abstrahlen.

Der phänomenale Erfolg der Schill-Partei - zu Recht als Erdrutsch bezeichnet - wird als historisches Ereignis in die Annalen des deutschen Parlamentarismus eingehen. Erstmals erreichte eine Partei, die nur gut ein Jahr vor der Wahl gegründet worden war, knapp zwanzig Prozent der Stimmen, fast jeder fünfte Wähler stimmte für Schill. Was sind die Faktoren, die ihm zum Aufstieg verhalfen, an dem unzählige andere zuvor gescheitert waren?

Zunächst ist es der für Protestwahlen günstige Nährboden des Stadtstaates an der Elbe. Anfang der Neunziger hatte es schon die Statt-Partei geschafft, als Neugründung der Union das Wasser abzugraben und am Senat beteiligt zu werden (bis sie in Flügelkämpfen unterging). Vor vier Jahren gelang sogar der DVU fast der Einzug in die Bürgerschaft. Zum anderen sind die Mißstände - Hamburgs Führungsposition in den Kriminalitätsstatistiken, der rote Filz insbesondere in der Sozialbehörde - hier so zugespitzt, daß dem Wahlvolk der Geduldsfaden riß.

Wesentlich ist jedoch auch: Schill konnte sich bislang des Rechtsextremismus-Vorwurfs erwehren, indem er keine ausreichenden Anhaltspunkte bot. Er ließ sich auf keine Bündnisse mit einschlägigen rechten Gruppierungen ein. Diese Distanzierung ist ihm von Mitgliedern der Republikaner und des aufgelösten Bund Freier Bürger als Opportunismus ausgelegt worden - doch die Strategie ging auf. Schill konnte sich und sein Umfeld seriös präsentieren.

Von pauschaler Polemik gegen Ausländer konnte keine Rede sein. Schill plädierte sogar für sinnvolle Einwanderung. Dabei trat er - übereifrig taktierend - der Bezeichnung „Haider von Hamburg“ entgegen, indem er denjenigen beipflichtete, die den Kärntner für das xenophobe Grundübel schlechthin halten. Stolz berichtete Schill in der Öffentlichkeit von seiner „antifaschistischen“ Erziehung durch den Großvater. Indem er seine politischen Vorbilder in der CSU ausmachte, Bayern lobend hervorhob, schlug er eine Brücke zurUnion, die auch dieser gangbar erschien. Letztlich ist es der Erfolg, der seinem Vorgehen recht zu geben scheint.

Vor allem aber erweckte er den im bürgerlichen Lager schmerzlich vermißten Bekennermut zu neuem Leben. In großformatigen Zeitungsanzeigen brüsteten sich zum Schluß angesehene Bürger damit, Schill zu wählen. Dem konnte auch die medial inszenierte Empörung über das angeblich drohende Ende der Weltoffenheit und Toleranz Hamburgs nichts anhaben. Knapp zwanzig Prozent der Wähler sorgten sich mehr um die Stadt als um ihren vermeintlichen Ruf.

Und noch eine wesentliche Voraussetzung unterscheidet Schill von den anderen, erfolglosen Streitern wider die Etablierten: Er erreichte seine Popularität nicht in der Politik, sondern schon vorher. Erst das positive Echo auf sein Wirken als „Richter Gnadenlos“ ließ ihn die Parteigründung wagen, damit konnte er Anhänger um sich scharen und Wählergunst erlangen. Er changierte geschickt zwischen dem immer noch in hohem Ansehen stehenden Richterberuf einerseits und dem Mißtrauen gegen eine zu liberale Justiz, indem er ersteren verkörperte und letztere kritisierte. Obwohl ein Neuling in der Politik, erscheint er in den Augen der Wähler aufgrund seiner Berufserfahrung kompetenter zum Thema Innere Sicherheit als alle Berufspolitiker.

Zutreffender als mit dem immer wieder irrtümlich negativ konnotierten Begriff „Populist“ wäre Schill als „Volkstribun“ zu charakterisieren. Die Tribune wurden in der antiken römischen Republik auf Druck des Volks gegen die „patrizische Führungsschicht“ im Senat durchgesetzt, im Laufe der Zeit dann als institutionelle Fürsprecher der einfachen Leute legitimiert. Die Parallelen zu Hamburg liegen auf der Hand, wenn man den Zuspruch aus dem klassischen sozialdemokratischen Milieu - 26 Prozent der Arbeiter stimmten für die Partei Ronald Schills - in Betracht zieht.

Daß er aber auch das Sicherheitsbedürfnis der bürgerlichen Konservativen bediente, bekam die CDU schmerzhaft zu spüren. Die von ihr außerhalb der Wahlkämpfe sträflich vernachlässigte Klientel konnte an die Urnen zurückgeholt werden, nur machte sie ihr Kreuz nicht bei Ole von Beust.

Der FDP-Spitzenkandidat Rudolf Lange, auch er ein Seiteneinsteiger, liebte als Admiral a.D. im Wahlkampf maritime Metaphern. Er wäre - um seiner bildhaften Diktion zu folgen - beinahe baden gegangen. Anfangs hatte er noch gegen Schill gewettert, sich dann nach Umfragetiefs ins Lager des bürgerlichen Wechsels geschlagen. Die wenigen Stimmen seiner Fraktion werden nun von großer Bedeutung sein; wegen des Drucks aus dem linksliberalen Lager seiner Partei liegt an diesem Punkt die von der SPD erhoffte Sollbruchstelle im sogenannten Bürgerblock.

Abzuwarten bleibt, ob in einer solchen Koalition - wenn sie zustande kommt - ein mit dem schlechten Wahlergebnis abgestrafter von Beust als Erster Bürgermeister die Führungsstärke aufbringen kann, um Schill-Partei und FDP zusammenzuhalten. In jedem Fall stehen im Neorenaissance-Rathaus am Alsterfleet spannende Zeiten bevor.


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