© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
Gegen Vergeltung
Moderne Kriegführung aus katholischer Sicht
Marcus Haberstroh

Ob der Ereignisse in New York wird immer wieder von Vergeltungsschlägen gesprochen. Hierbei wird jedoch allzu oft übersehen, daß dabei vor allem unschuldige Menschen zu Schaden kämen. Die Verhaltensweise Amerikas und der mit ihm durch die Nato verbundenen Staaten legt jedoch die Vermutung nahe, daß es zu einem militärischen Gegenschlag kommen wird.

Die katholische Kirche lehrt: „Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist.“

Bereits in der Zeit vom 11. zum 16. Jahrhundert arbeiteten Theologen wesentliche Bedingungen für einen „gerechten Krieg“ heraus. Dies ist erstens die gerechte Sache, aufgrund eines Unrechts der anderen Seite, das diese nicht wiedergutmachen will. Zum zweiten bedarf es der Erschöpfung aller anderen Mittel, die Gegenseite zum Einlenken oder zur Wiedergutmachung zu bewegen. Ein drittes ist die Kriegserklärung und die Kriegführung durch die zuständige staatliche Autorität. Hinzu kommt viertens die rechte Absicht, nämlich die Ordnung des Rechts wiederherzustellen, nicht aber zu erobern, zu rauben und zu plündern. Letzlich bedarf es fünftens der Angemessenheit der Mittel, was bedeutet, daß die vorauszuahnenden Kriegsübel nicht schwerwiegender sein dürfen als das zu behebende Unrecht. Nichtkämpfende sind zu schonen, internationale Konventionen hinsichtlich der Kriegführung zu achten. Es bedeutet aber auch, daß kein Krieg geführt oder fortgeführt werden darf, bei dem keine vernünftige Aussicht auf Erfolg gegeben ist. Hierbei ist unschwer erkennbar, daß es sich in der Hauptsache um einen Angriffskrieg handelt, der nach der heutigen Theologie schlechthin unsittlich ist. Allerdings wird betont, daß die Lehre auf den modernen Krieg nicht anwendbar sei, da dieser niemals in einem vertretbaren Verhältnis zu dem Unrecht stehen könnte, das durch ihn verhindert werden soll. Fragt man über den unmittelbaren Anlaß hinaus nach dem tieferliegenden Grund für diesen Erkenntnisfortschritt, so wäre auf das geistige Reifen der Menschheit insbesondere in dem durch das Christentum vornehmlich beeinflußten Kulturraum hinzuweisen - ein Vorgang, der seine Wurzeln sowohl im geistigen Bereich als auch in der durch den materiellen Fortschritt grundgelegten höheren Lebensqualität hat.

Beide Faktoren haben bewirkt, daß dem irdischen Leben heute in unserem Kulturbereich ein höherer Wert beigemessen wird als in früheren Zeiten oder auch als heute in anderen Kulturen und gesellschaftlichen Systemen.

Aus dem dargelegten Standpunkt ergibt sich, daß der Krieg als kollektives Morden und darum als eine der schwersten Sünden anzusehen ist. Sofern man dennoch den Verteidigungskrieg als u. U. erlaubt oder gar geboten ansieht, versteht man ihn nicht als Krieg im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern als einen Akt kollektiver Notwehr. Ein solcher „Krieg“, dessen Grenzen eng gezogen sind und dessen Voraussetzungen sich im Lauf der Geschichte sehr selten verwirklicht haben, kann niemals berechtigterweise Gegenstand der Begeisterung und der Glorifizierung sein und somit nicht in eine mystisch-mythische Art des Redens einfließen.

In Anbetracht der derzeitigen Aktualität der terroristischen Anschläge bedarf es eines kühlen Kopfes, um wohlüberlegt zu handeln und sich nicht durch Haß und Rachegelüste leiten zu lassen.

Am Sonntag, den 23. September 2001 erbat S. Em. Edward Cardinal Egan (New York) im Yankee-Stadion „Gerechtigkeit, um mit den Übeltätern, die uns so schrecklich verletzt haben, fertig zu werden“. Weiterhin bat er um „Glauben, Weisheit und Seelenstärke“ für die Hinterbliebenen.

Auch Papst Johannes Paul II. hat gefordert, auf Gewalt zu verzichten und für die Zusammenarbeit von Gläubigen verschiedener Religionen zu optieren. In seiner Rede in Kasachstan sagte der Heilige Vater: „Wenn die Bürger einer Gesellschaft sich gegenseitig in ihrem Glauben akzeptieren, ist es einfacher, unter ihnen die tatsächliche Anerkennung anderer Menschenrechte und das Verständnis der Werte, auf denen eine friedliche und produktive Koexistenz beruht, zu pflegen“. In diesem Zusammenhang lobte Papst Johannes Paul II. zwei der ersten Entscheidungen der Republik Kasachstan beim Erreichen der Unabhängigkeit: die Erklärung der Religionsfreiheit und den Verzicht auf Nuklearwaffen. Weiterhin sagte der Papst: „Kontroversen müssen durch Verhandlung und Dialog gelöst werden, nicht durch den Rückgriff auf Waffen“. Mit diesen Ausführungen stellt sich Johannes Paul II. ganz klar in die Reihe der Nachfolger der Heiligen Petrus und setzt die Theologie der Kirche fort.

Was bleibt nun für uns zu tun? Jeder Bürger und jeder Regierende ist verpflichtet, sich für die Vermeidung von Kriegen tätig einzusetzen. Weiterhin ist jeder Bürger sittlich verpflichtet, sich Befehlen, die einen Völkermord anordnen, zu widersetzen. Wer dies wider besseren Wissens tut, stellt sich außerhalb von Kirche und Moral und verliert somit das ewige Leben, die Gemeinschaft mit Gott.


 
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