© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
„Vernünftige Leute“
Manfred Silberbach, Mitbegründer und künftiger Abgeordneter der Schill-Partei, über den Wahlerfolg in Hamburg
Moritz Schwarz

Herr Silberbach, hat Hamburg seit dem vergangenen Sonntag eine „CSU des Nordens“?

Silberbach: Diesen hohen Anspruch will ich gar nicht für uns reklamieren, denn die CSU ist eine Partei, die die volle Breite der Bundes-, Landes-, und Kommunalpolitik bietet. Sicher haben wir viele Programmpunkte, wie man sie auch bei CDU und CSU findet - wahrscheinlich eher sogar bei der CSU -, aber dennoch erscheint mir der Vergleich vermessen.

Wie ist die „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ politisch zu positionieren?

Silberbach: Trotz der Anklänge an die CSU kann man die „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ nicht rechts positionieren. Betrachten Sie nur die Aussagen unseres Programmes zugunsten sozial benachteiligter Stadtteile. Da könnte die SPD heute stolz drauf sein - tja, wenn sie eben noch die Partei Helmut Schmidts wäre ...

... wie meinen Sie das konkret?

Silberbach: Unser Programm „Soziale Brennpunkte“ etwa wurde von den Bürgern in den betroffenen Stadtteilen sehr positiv aufgenommen, was durch die besonders hohen Stimmengewinne dort bewiesen ist. So gesehen sind wir also eher Mitte bis Mitte-Links anzusiedeln.

Woher dann Ihr ganz anders gearteter Ruf?

Silberbach: Ich glaube, das liegt auch daran, daß wir in Hamburg keine ernstzunehmende rechte Gruppierung haben, so muß die Partei Rechtsstaatlicher Offensive als Ersatz dienen. Man kann den Eindruck gewinnen, viele Journalisten meinen, sie müßten als eine Art staatsbürgerliche Fleißarbeit jede Woche „einen Rechten“ prügeln, und da müssen eben nun wir herhalten.

In der Partei Rechtsstaatlicher Offensive kann man „rechts sein, ohne rechts zu sein“. Stimmt das?

Silberbach: Ich kenne ja nun das gesamte Führungspersonal, ich weiß also, wovon ich spreche, wenn ich sage, wir sind nicht rechts. Vielmehr könnte man sagen, wir sind auf keinen Fall links. Rechts sind wir allerhöchstens dann, wenn Sie bereit sind, auch die CDU als eine rechte Partei zu bezeichnen. Ich würde uns summa sumarum ganz klar in der Mitte ansiedeln.

Sie selbst waren früher Mitglied in der SPD.

Silberbach: Ich war vierzig Jahre in der SPD und saß sechzehn Jahre für sie in der Hamburger Bürgerschaft.

1993 wechselten Sie dann zur STATT-Partei, warum?

Silberbach: Ich habe nicht gewechselt, sondern ich bin aus der SPD ausgetreten, weil ich einen tiefen Konflikt mit meiner damaligen Partei hatte.

Welcher Art?

Silberbach: Zum einen wegen der Ausländer- und Asylpolitik, aber vor allem wegen der sträflichen Vernachlässigung der sozial benachteiligten Stadtteile in Hamburg. Diese Probleme habe ich als sozialdemokratischer Abgeordneter immer wieder angesprochen. Doch nachdem nie eine Resonanz aus Partei und Fraktion kam, habe ich sozusagen die Flucht in die Öffentlichkeit angetreten, von den Hamburger Zeitungen entsprechend begleitet. Das hat man mir natürlich nicht verziehen und mir bei der Bürgerschaftswahl 1993 mit allen Tricks entsprechend Schwierigkeiten bereitet. Bevor ich allerdings auf diese Weise kalt gestellt worden bin, zog ich die Konsequenzen und bin ausgetreten.

Politisch heimatlos gingen Sie dann zur STATT-Partei.

Silberbach: Ja, das war aber, wie Sie sehen, mehr oder weniger Zufall.

Wie unterscheiden sich STATT- und Schill-Partei - von Ronald Schill einmal abgesehen?

Silberbach: Die STATT-Partei hatte kein Programm, sie war eine reine Protestbewegung. In der STATT-Partei saßen demzufolge Rechtskonservative neben Kommunisten, es gab keine Linie, und deshalb ist die Partei heute auch von der Bildfläche verschwunden.

Was hat Sie schließlich veranlaßt, die Partei Rechtsstaatlicher Offensive mitzugründen?

Silberbach: Der Richter Ronald Schill entschloß sich ja schließlich, in die Politik zu gehen. Seine ersten Auftritte hatte er noch bei der CDU, dort sprach er über die Innere Sicherheit. Auch ich besuchte natürlich solche Veranstaltungen. Schon damals waren die Säle jedesmal völlig überfüllt.

Von einer eigenen Partei war damals noch keine Rede.

Silberbach: Nein, Schill hatte erst ein gutes Dutzend Leute um sich versammelt, aber ich stellte fest, einige davon kannte ich, allesamt vernünftige Leute, kaum Querulanten, keine Rechtsradikalen. Zum Glück hatten dort auch meine politischen Ansichten Raum, zum Beispiel mein Engagement für sozial benachteiligte Stadtteile. So wurde ich Gründungsmitglied.

Laut Analyse der Wahlforscher hat die „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ vor allem Wähler aus dem rechten Nichtwählerspektrum gewonnen.

Silberbach: Das wundert mich aber, denn wir haben immerhin der SPD sowie der CDU je 36.000 Stimmen abgenommen - und das bei 160.000 Stimmen insgesamt. Hat also die SPD zuvor so viele rechte Wähler gehabt? Die rechten Parteien dagegen haben bei den letzten Bürgerschaftswahlen in Hamburg 1997 etwa 30.000 bis 40.000 Stimmen erreicht ... Die rechten Parteien haben eben bisher auch viele Wähler gehabt, die diese Parteien lediglich aus Protest gewählt haben und nicht, weil diese Wähler Faschisten sind. Diese Protestwähler sind am Sonntag meist zu uns gekommen. Ich würde also vielmehr sagen, die, die auch am vergangenen Sonntag noch bei der DVU und den Republikanern geblieben sind, das sind wirklich Rechtsextremisten.

Warum wurde die Partei Rechtsstaatlicher Offenisve denn am vergangenen Sonntag wirklich gewählt: aus Protest, wegen des bürgernahen Wahlprogramms, von dem Sie sprechen, oder eben wegen des Themas Innere Sicherheit?

Silberbach: Ganz generell herrscht eine große Unzufriedenheit unter den Bürgern. Davon ist der Verdruß über das Thema Innere Sicherheit nur ein Teil - wenn auch sicher der gewichtigste. Ich halte aber das Gefühl der Ohnmacht gegenüber den etablierten Parteien letztlich für das entscheidende Moment. Die „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ zu wählen, heißt den Etablierten zu zeigen: „Ihr könnt mit uns nicht mehr länger machen, was ihr wollt.“

Bereits früher gab es Protestparteien, aber noch keiner ist es gelungen, aus dem Stand beinahe 20 Prozent zu holen.

Silberbach: Ja, weil diese Parteien meist rechtsradikale Parteien waren. Einige wenige Wähler haben das in Kauf genommen, weil sie nach ihrer Meinung nur hier ihren Protest äußern konnten. Viele eigentliche Protestwähler sind früher mangels entsprechenden Angebotes einfach mit Wut im Bauch zu Hause geblieben oder haben murrend - und dieses Adverb kann ich gar nicht genug betonen - die CDU oder die SPD gewählt. Für viele gibt es jetzt endlich die Möglichkeit, ihren Protest demokratisch zu artikulieren, egal ob sich der Verdruß aus der Vernachlässigung der Sozialpolitik oder der Inneren Sicherheit speist.

Die STATT-Partei hat 1993 nur gut fünf Prozent erzielt, obwohl sie ebenfalls mit großer Popularität - Offenlegung des CDU-Parteienfilzes - in die Wahlen gegangen ist.

Silberbach: Die STATT-Partei war aber programmatisch völlig profillos, das war der reine Protest! Und nicht einmal der ließ sich an bestimmten Themen festmachen.

Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive wird völlig mit dem Thema Innere Sicherheit identifiziert, von dem vorhin genannten Programm nehmen die meisten Wähler doch wohl gar nichts wahr?

Silberbach: Sicher ist das Thema Innere Sicherheit vorrangig, aber wir haben noch mehr zu bieten. Aber es wird eben schon von den Journalisten in Zusammenhang mit uns beinahe ausschließlich die Innere Sicherheit thematisiert. So entsteht ein verzerrter Eindruck, der sich medial immer weiter fortpflanzt.

Sowohl die Selbstdarstellung Ihrer Partei, als auch der Vorsitzende Ronald Schill tun aber doch alles, um diesen einseitigen Eindruck zu verstärken.

Silberbach: Sicherlich sprach Ronald Schill in unseren Wahlveranstaltungen praktisch jedesmal zu seinem Thema Innere Sicherheit. Zuvor aber war immer ein Fachreferent der Partei zu einem anderen Thema, wie Bildung oder Soziales, am Rednerpult. Wir haben dem Wähler schon ein breites Angebot gemacht. Aber wenn man uns auf das Thema Innere Sicherheit reduziert, dann kann man uns eben besser in die rechte Ecke drängen.

Einseitigkeit wird der Partei ja nicht nur thematisch unterstellt, sondern auch in puncto Personal.Welche Rolle spielt Ronald Schill für die Partei?

Silberbach: Er hat uns natürlich die notwendige Popularität für diesen Sieg verschafft. Schill hat das richtige Thema angepackt. Sein Bekanntheitsgrad ist ganz enorm. So etwas ist für eine Partei natürlich viel wert.

Hand aufs Herz - haben die Wähler, sowieso nicht die Partei, sondern Ronald Schill gewählt, Stichwort „Schill-Partei“?

Silberbach: Sicher steht Ronald Schill im Vordergrund, aber letztlich geht das ineinander über. Das eine hätte ohne das andere nicht diesen Erfolg gehabt. Den Vorrang der Person immer nur bei uns zu kritisieren, finde ich im übrigen unfair: Wieviele Leute haben bei der letzten Bundestagswahl schlicht Gerhard Schröder gewählt? Oder, welche Rolle spielt Joschka Fischer für die Grünen? Die Parteispitzen spielen einfach immer eine große Rolle für den Wähler. Und Herr Runde etwa hat, anders als Schill, seine Rolle sehr schlecht gespielt.

Fürchten Sie denn nicht, daß wenn sich die Partei jetzt etabliert, es zum notwendigen Ausbau des Programms und zu einer eindeutigeren Positionierung kommt, der große Streit ausbricht, der die Partei tatsächlich - wie von ihren Gegnern vorausgesagt - zum Zerfallen bringt?

Silberbach: Nein, denn diese Auseindersetzungen sind in der Demokratie nur natürlich. Unsere Partei wird das überstehen und letztlich sogar davon profitieren. Es wäre ja schlimm, wenn wir nur bei einer Person und bei einer Meinung bleiben
würden.

Unterschätzen Sie vielleicht nicht die Gefahr, denn die Erfahrung zeigt, daß sich Protestparteien, nachdem das gemeinsame Ziel - der Wahlsieg - erreicht ist, immer wieder heillos zerstreiten?

Silberbach: Unstimmigkeiten wird es sicherlich auch bei uns geben. Aber wir haben bereits ein festes Programm. Auf einer solchen gemeinsamen Basis ist Streit durchaus eine fruchtbare Sache. Gefährlich ist das natürlich für reine Protestbewegungen, die einer solchen Grundlage entbehren. Wir dagegen denken aber ja sogar schon über die bundesweite Ausdehnung nach.

Angesichts dessen, daß die Schill-Partei ein spezifisch „hamburgisches Pflänzchen“ ist, scheint dieser Schritt gewagt.

Silberbach: Viele der Hamburger Probleme, nicht nur die Unzulänglichkeit der Inneren Sicherheit, gibt es auch in anderen Großstädten. Denken Sie nur an die typischen sozialen Probleme unserer Metropolen. Aber das wird vielleicht sogar nicht der Punkt sein: Die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien ist doch überall vorhanden. Deshalb, glaube ich, haben wir - nach dem historischen Einschnitt in die deutsche Parteiengeschichte vom vergangenen Sonntag - auch auf der Bundesebene gute
Chancen.

Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive hat bislang noch kaum überregionale Strukturen. Halten Sie angesichts dessen eine Beteiligung an der Bundestagswahl 2002, wie von Ihrem Vorsitzenden angekündigt, wirklich für realistisch?

Silberbach: Sicher, in Hamburg hatten wir auch nur ein gutes Jahr Zeit.

Mit wieviel Prozent rechnen Sie bei Bundestagswahlen?

Silberbach: Zwanzig Prozent dürften es im Bund wohl nicht werden, denn es gibt in der Tat natürlich Unterschiede zwischen einer Bürgerschafts- und einer Bundestagswahl. Aber mit zehn Prozent rechnen wir auf jeden Fall.

Wer würde im Bund Ihr Koalitionspartner sein?

Silberbach: Wir gehen von derselben Konstellation wie in Hamburg aus: Wir wollen den Bürgerblock bundesweit!

 

Manfred Silberbach, geboren 1935 in Elbing / Westpreußen. Der gelernte Maschinenschlosser war 28 Jahre als Personalratsvorsitzender tätig. 1953 trat er in die SPD ein, von 1978 bis 1993 war er Abgeordneter seiner Partei in der Hamburger Bürgerschaft. 1993 verließ er im Zerwürfnis Fraktion und Partei. Statt dessen engagierte er sich in der 1993 neu entstandenen STATT-Partei. Im Juni 2000 hob er gemeinsam mit Ronald B. Schill und engagierten Bürgern die „Partei Rechtstaatlicher Offensive“ aus der Taufe, die er ab Oktober auch im Landesparlament vertreten wird.

 

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