© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
Jammern und schönreden
Hamburg: Schill-Partei konnte bis zu 35 Prozent erringen / Kleine Parteien wurden fast restlos aufgerieben
Steffen Königer / Lennart Lopin

Sensation“, Triumph“, „Erdrutsch“ - bei ihrer Betrachtung der Bürgerschaftswahl in Hamburg scheinen die Kommentatoren mit Blick auf den Wahlerfolg der Partei Rechtsstaatlicher Offensive von Roland Schill keinen Superlativ auszusparen. Zu Recht, wie die Auswertungen der Wahlforschungsinstitute zeigen: Die 19,4 Prozent, die die Schill-Partei aus dem Stand heraus gewinnen konnte, speisen sich aus Stimmen aller Wählerschichten. Damit ist auch der noch amtierende SPD-Innensenator Olaf Scholz widerlegt, der Schills Wähler ausschließlich im „rechtsextremen Milieu“ wähnte. Etwa 40.000 Stimmen kamen jeweils von der SPD, der Union und den in der Bürgerschaft nicht vertretenen Parteien - natürlich auch von den rechten Parteien, die dieses Mal zusammengenommen nicht mal auf einen Prozentpunkt kamen. Bei geschätzten 30.000 Stimmen von bisherigen Nichtwählern scheint Schill auch hier eine motivierende Wirkung gehabt zu haben.

Nach repräsentativen Umfragen von Infratest dimap haben Arbeiter zu 29 Prozent, Angestellte zu 25 Prozent von Schill eine Verbesserung der innenpolitischen Lage erhofft. Kleinere Unterschiede sind zwischen Bildungsgruppen ersichtlich: bei einfacherer Schulbildung, einschließlich mittlerer Reife, stimmten 24 Prozent, Hamburger mit Abitur stimmten mit 12 Prozent für Schill. Die höchsten Werte konnten bei Männern über 45 Jahren (25 Prozent), die niedrigsten bei Frauen zwischen 25 und 45 Jahren (13 Prozent) festgestellt werden.

Auf der Hamburger Landkarte sind sehr gravierende Unterschiede auszumachen. So konnte in den Bezirken Hamburg-Nord, Altona und Eimsbüttel (15 Prozent), in denen sich vor allem bessere Wohnviertel oder „alternative Wohngegenden“ befinden, kein überdurchschnittlicher Erfolg verbucht werden, während es in den „Problemvierteln“ Hamburg-Mitte (21,7 Prozent) und Hamburg-Harburg (26,8 Prozent) mehr Stimmen zu ziehen gelang. Den Spitzenwert erreichte die Schill-Partei im Harburger Ortsteil Wilhelmsburg (35 Prozent) - zweitstärkste Kraft knapp hinter der SPD.

Inzwischen haben sich die potentiellen Koalitionspartner auf weitere Zusammenarbeit verständigt: Am kommenden Montag sollen die Sondierungsgespräche zur Bildung einer Regierungskoalition beginnen. Das kündigten CDU-Bürgermeisterkandidat Ole von Beust, Parteigründer Ronald Schill und FDP-Spitzenkandidat Rudolf Lange am Dienstagabend nach einem ersten Treffen im Hamburger Rathaus an. Probleme seitens der Bundespartei dürften dabei nicht mehr auftreten, hat doch die CDU-Führung in Berlin Ole von Beust Unterstützung für eine Koalition mit der Schill-Partei zugesagt. Sie hoffe auf schnelle Koalitionsverhandlungen, erklärte die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel am Montag nach Sitzungen des Präsidiums und Vorstands der Partei. Die Parteichefin sprach von einem „historischen Einschnitt in der Geschichte der Hansestadt Hamburg“, da es dort nach 44 Jahren erstmals eine bürgerliche Mehrheit gebe. Die Bürger hätten den Wechsel gewählt.

Die kleinen Parteien gingen aufgrund des großen Erfolges der Partei Rechtstaatlicher Offensive fast völlig unter, werteten den Wahlausgang in Hamburg trotz zum Teil erheblicher eigener Stimmeneinbußen am ehesten als Erfolg. Die Deutsche Volksunion (DVU) mit ihrem Spitzenkandidaten Heinrich Gerlach erzielte nur 0,7 Prozent, nachdem sie vor vier Jahren noch knapp den Einzug ins Parlament verpaßt hatte. In einer Pressemitteilung heißt es, daß unter dem Sog der Schill-Partei für die DVU allenfalls nur bis zu anderthalb Prozent (Bezirk Mitte) übrigblieben. Sie sei damit allerdings trotzdem stärkste Rechtspartei in Hamburg geblieben. Das „wichtige Ergebnis“ der Wahl sieht die DVU in der Niederlage der rot-grünen Koalition unter „der Kraft rechter Forderungen“. Nach einer Analyse des Wahlforschers Andreas Kohlsche konnte die Schill-Partei von der DVU und den Republikanern rund 46.000 Stimmen „abziehen“. „Diesmal war für rechts neben Schill wirklich nichts drin“ - lautete das Fazit der DVU.

Für die Republikaner entschieden sich gerade noch 574 Wahlberechtigte; das entspricht 0,1 Prozent der Stimmen. Für das desaströse Abschneiden machte die Partei vor allem die „monatelange Kampagne“ des Springer Verlages verantwortlich. Auffällig dabei sei, daß Schill mittels sonst verschriener „rechter Parolen“ punkten konnte, während ihm die großen Medien durch wohlwollende Berichterstattung den Rücken deckten, hieß es in einer Verlautbarung. Trotz eines intensiven fünfmonatigen Wahlkampfes, der allerdings hauptsächlich zur „Reaktivierung des Landesverbandes“ betrieben wurde, sei es den Republikanern nicht gelungen, das bisherige Wählerpotential zu halten. Die Partei bedauert vor allem, daß es nur in unzureichendem Maße gelang, den Wählern deutlich zu machen, um wen es sich bei Schill „in Wirklichkeit“ handle. So sei der Richter ein strikter Befürworter einer multikulturellen Gesellschaft, rechte Poltik empfinde er als „Beleidigung“ . Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT erklärte der Bundesvorsitzende der Republikaner, Rolf Schlierer, daß es sich beim „schillernden“ Phänomen Schill voraussichtlich nur um eine „politische Eintagsfliege“ handle.

Die NPD, die nur in einigen Wahlbezirken Hamburgs antrat, deutet den Erfolg des Richters mit der konsequenten Verfolgung eines politisch relevanten und bedeutsamen Themas wie die innere Sicherheit als einen Beweis dafür, daß die Ziele der NPD zum ersten Mal ernst genommen werden. Denn falls Schill zu seinen Wahlversprechen stehen sollte, würde „ein wichtiger Programmpunkt der NPD in die Tat umgesetzt“ werden und „das deutsche Volk könnte sich eindrucksvoll von der Richtigkeit nationaldemokratischer Forderungen überzeugen“.

Die überparteiliche Deutschland-Bewegung unter ihrem Sprecher Alfred Mechtersheimer stellte im Gegensatz zu den Republikanern fest, daß es wirklich nicht „an den üblichen Diffamierungen“ gemangelt habe, die jeden treffen, der „das bundesdeutsche Machtkartell in Frage stellt“. Besonders überraschend sei dabei, daß die „Faschismuskeule“ bei dem in den Medien als Rechtspopulist verleumdeten Schill keine Wirkung zeigte. Letztlich habe der Vorsitzende der Partei Rechtsstaatlicher Offensive allerdings auch ein „Übersoll an Distanzierungsritualen gegen Rechts erfüllt“, wie Mechtersheimer gegenüber der JUNGEN FREIHEIT betonte. Daß es in Deutschland nur wenige nationale Stammwähler, dafür aber um so mehr Protestwähler gibt, wird in einer Erklärung Mechtersheimers damit begründet, daß Schill den „rechten Parteien, die 1997 noch auf 4,9 (DVU) bzw. 1,8 (Republikaner) Prozent der Stimmen gekommen waren, fast alle Wähler abspenstig machen konnte“. Ein mit dem Hamburger Ergebnis vergleichbaren bundesweiten Wahlerfolg der Schill-Partei wird von der Deutschland-Bewegung allerdings nicht erwartet.

Die Pro DM-Partei von Bolko Hoffmann mußte die wohl schmerzlichste Niederlage einstecken, da sie der mit Millionenaufwand geführte Wahlkampf nicht über die für eine Rückerstattung der Wahlkampfkosten notwendige Ein-Prozent-Marke heben konnte.

Die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) gab sich mit dem erreichten Ergebnis zufrieden. Der Bundesvorsitzende der PBC, Gerhard Heinzmann, wertete das Ergebnis angesichts des eigenen, geringen finanziellen Einsatzes und mit Blick auf die anderen kleinen Parteien, die trotz zum Teil massiver und kostspieliger Wahlwerbung herbe Verluste einstecken mußten, als Erfolg. Über den Wahlerfolg der Schill-Partei zeigte sich Heinzmann erfreut. Schill habe den Nagel auf den Kopf getroffen, indem er erkannt hätte, daß Täterschutz nicht über Opferschutz gehen sollte.

Die PDS Hamburg kam auf lediglich 0,4 Prozent der Stimmen. Einer der Gründe dafür dürfte in der innere Zerstrittenheit des Landesverbandes liegen, die in einem Aufruf gipfelte, mit dem potentielle PDS Wähler gebeten wurden, die linke Splitterpartei der Grünalternativen „Regenbogen“ zu wählen. Letztere erzielte mit 1,7 Prozent zwar ein „besseres“ Ergebnis, blieb aber im allgemeinen Wunsch nach Recht und Ordnung chancenlos.


 
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