© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
Teurer Abschied von völkerrechtlichen Traditionen
Karl Doehring, Hans Hockerts und Bernd Fehn über Deutschlands zu leistende und geleistete „Reparationen“
Michael Wiesberg

Eine „historische Bilanz der Wiedergutmachung in Deutschland“ will das Büchlein mit dem dramatisierenden Titel „Jahrhundertschuld - Jahrhundertsühne“ ziehen. Drei Autoren stellen sich diesem komplexen Unterfangen und kommen in ihrer Bewertung zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen. Der Heidelberger Emeritus Karl Doehring befaßt sich mit den völkerrechtlichen Aspekten der Thematik, während der Münchner Zeithistoriker Hans Hockerts und der Finanzwissenschaftler Bernd Fehn das Geflecht von „Reparationen, Wiedergutmachung und Entschädigung“ zu entwirren versuchen.

Die Ausgangsfrage des Buches lautet: „Haben der deutsche Staat und das deutsche Volk sich angemessen bemüht, Schäden zu kompensieren, die durch die nationalsozialistische Verfolgung entstanden sind?“ Doehring kommt mit Blick auf die insgesamt erbrachten Leistungen bzw. Verzichtserklärungen für die Ostgebiete des Deutschen Reiches zu einem eindeutigen Fazit: „So muß dieser deutsche Verzicht als die wohl größte Reparationsleistung angesehen werden, die ein Staat erbringen kann. Man kann nur feststellen, daß (mit dem faktischen Verzicht auf die Ostgebiete) ein Wiedergutmachungsopfer erbracht wurde, das an der Grenze der Zumutbarkeit liegt.“ Ein Opfer, das den Deutschen bisher, dies hat nicht zuletzt die Zwangsarbeiterdebatte gezeigt, in keiner Weise honoriert worden ist, und auch Fehn und Hockerts marginalisieren dies wohlweislich.

Daß die Sammelklagen gegen deutsche Firmen vor US-Gerichten, mit denen neuerliche Reparationsleistungen von Deutschland erzwungen worden sind, völkerrechtlichen Grundsätzen widersprechen, daran läßt Doehring keinen Zweifel. Dies gilt ungeachtet der zutreffenden Feststellung Hockerts’, daß das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1996 eine Traditionslinie des Völkerrechtes verwarf, nach der „individuelle Forderungen nur als zwischenstaatliche Reparationsforderungen“ verhandelt werden könnten. Per Beschluß stellte das BVerfG fest, daß Einzelne ihren Anspruch auch selbst verfechten könnten. „Damit“, so stellt Hockerts fest, „war das Feld der Klagemöglichkeiten ruckartig erweitert.“

Gegen die Schraube neuer Forderungen, wie sie sich jetzt, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, in Griechenland abzeichnen, argumentiert Doehring, „da Deutschland im Rahmen der Europäischen Union die weitaus größten Zahlungen geleistet hat und gemäß der Bestimmungen der EU leisten mußte, kann nicht erwartet werden, daß deutsche Zahlungen zusätzlich erbracht werden. Die erheblichen deutschen Zahlungen sind allen europäischen Staaten damit auch in ihrer Eigenschaft als ehemalige Kriegsgegner zugute gekommen.“ Mit anderen Worten: Die unverhältnismäßigen Nettozahlungen Deutschlands an die Europäische Gemeinschaft bzw. Union könnten als „Wiedergutmachungsleistungen“ gedeutet werden.

Daß die Reparationsfrage keineswegs, wie es im Zusammenhang mit den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen hieß, „de facto erledigt“ ist, liegt in dem Charakter dieses Vertrages begründet, der kein Friedensvertrag ist. Hockerts erklärt die Motive für diesen Verzicht: Zum einen wäre eine Friedenskonferenz vonnöten gewesen, die zum zeitraubenden Mammutunternehmen ausgeartet wäre. Zum anderen wollte Helmut Kohl vermeiden, daß die Reparationsfrage wieder auf die Tagesordnung kommt. Heute wissen wir, daß genau dies nicht verhindert werden konnte. Dabei hat die Globalisierung ein übriges getan. Bietet das Völkerrecht keine hinreichenden Grundlagen mehr für Entschädigungsklagen, die darüber hinaus verjährt sind, wird, dies zeigt die Zwangsarbeiterdebatte, mit Boykottdrohungen nachgeholfen. Und schließlich bleibt auch noch das Druckmittel der „moralischen Verantwortung“, mit der immer neue Kompensationsforderungen für die „Jahrhundertschuld“ der Deutschen neuerdings auch von deutschen Politikern selber begründet werden. Auch in Zukunft muß mit Reparationsforderungen seitens US-amerikanischer Kläger gerechnet werden, das zeigt die Weigerung der USA, deutschen Firmen eine wirkliche Rechtssicherheit zu garantieren. Doeh-ring stellt dazu treffend fest: „Es kann daher derzeit der Schluß gezogen werden, daß die politischen Kräfte eben doch weiteren zukünftigen Forderungen den Weg offen halten wollten.“

Wer immer über den Themenkomplex „Wiedergutmachung“ informiert werden möchte, erhält mit diesem Werk einen sachlich-kompetenten Überblick der verwickelten Materie. Das ist viel in einer Zeit, die sich dem Thema „Wiedergutmachung“ vorrangig unter moralischen Gesichtspunkten nähert.

 

Karl Doehring / Bernd Fehn/ Hans Hockerts: Jahrhundertschuld - Jahrhundertsühne. Reparationen, Wiedergutmachung, Entschädigung für nationalsozialistisches Kriegs- und Verfolgungsunrecht, Olzog-Verlag, München 2001, 142 Seiten, 24,80 Mark

Fototext: Reparation oder Wiedergutmachung: Konrad Adenauer und Israels Außenminister Moshe Sharett (2.v.l.) 1952 in Luxemburg


 
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