© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   41/01 05. Oktober 2001


Warten auf die Wende
Der Hauptstadt droht eine Volksfront-Regierung aus SPD und PDS
Ronald Gläser

Wer nach dem „linken Putsch“ gegen den Diepgen-Senat gedacht hatte, der Stadt stehe eine vielversprechende Polarisierung bevor, hat sich getäuscht. Die Bedeutung der Stimmauszählung am 21. Oktober spiegelt sich im Wahlkampf wider. Ein politisches Erdbeben wie bei der Hamburger Bürgerschaftswahl ist nicht zu erwarten.

Die SPD hat mit der Bildung einer neuen Volksfront ihre Avancen an die sogenannte Neue Mitte als Heuchelei enttarnt. Auch entsprechende Wahlversprechen von 1999 haben die Sozialdemokraten schamlos gebrochen. Zum vierzigsten Jahrestag des Mauerbaus gelang der PDS ein entscheidender Schritt zurück an die Macht. Die Empörung über die Rückkehr von Gysi und Co. in die Peripherie der politischen Verantwortung hat sich überraschend schnell gelegt.

Auch die anderen Wahlkampfthemen werden emotionslos angegangen. Bürgermeister Wowereit und sein Gegner Steffel fochten ein einziges unspektakuläres Fernsehduell aus. Die Hauptstadt ist weit von einer Zuspitzung entfernt, die die Wähler vor ein „Entweder - Oder“ stellt.

Wie anders war da die Ausgangssituation in Hamburg vor zwei Wochen! Mit einer Koalitionsabsage an Rot-Grün bekannte sogar die FDP einmal Farbe. Somit stand der scheinbar unbefristeten SPD-Herrschaft ein entschlossener „Bürgerblock“ entgegen, der den politischen Wechsel in der Hansestadt verkörpert. Und die Bürger drängten sich an die Wahlurnen, um für eine der beiden klaren Optionen zu stimmen. Durch ein beeindruckendes Votum des Souveräns ist der Traum vom Wechsel Realität geworden.

Doch in Berlin blieb eine solche Schärfe aus. Die CDU verharrt seit der Banken-Krise in der Defensive. Sie konnte die Mitverantwortung ihres Koalitionspartners am Desaster der Bankgesellschaft nicht vermitteln. Ein würdiger Nachfolger für den Langzeit-Bürgermeister Diepgen mußte in Stellung gebracht werden. Dieser pflegt sein konservatives Image. Gleichzeitig umgibt er sich demonstrativ mit einem durcheinandergewürfelten Beraterkreis, in dem sich jede gesellschaftliche und politische Richtung wiederfinden soll. Und schließlich suchte die Union händeringend die Themen, die das Wahlvolk mobilisieren könnten.

Inhaltslos sind die Aussagen aller Parteien. Kandidatenporträts und dazugehörige Namen dominieren die Plakate statt griffiger Aussagen. Nicht einmal die Post-Kommunisten haben mehr als ihren smarten Spitzenmann zu bieten. Die Grünen haben den Wahlkampf in Form einer Waschmittelwerbung ironisch umgesetzt und erklären den Wahltag zum Waschtag. Sie werden damit wohl kaum auf eine verfilzte Landesregierung abzielen, da sie dem Übergangssenat selbst angehören.

Auch die FDP suggeriert mit Handtüchern, daß die verbrauchte CDU-SPD-Koalition sich die Hände schmutzig gemacht habe. Die Liberalen präsentieren sich dagegen als unbelastet und sauber. Mit einer unwiderstehlichen Offenheit stellte Günter Rexrodt dieses FDP-Wahlkampfkonzept vor. Er erinnerte mit einer gewinnenden Selbstironie daran, daß der Wähler die Liberalen jahrelang aus dem Parlament verbannt hatte. Deshalb sei die FDP unbelastet.

Genau deshalb steht der Partei auch eine glanzvolle Rückkehr in die Landespolitik bevor. Die Wähler wollen einen Wechsel. Folgerichtig entscheiden sie sich für den, der am weitesten vom augenblicklichen Gravitationsfeld der Macht entfernt ist. Das geht vorrangig zu Lasten der CDU. Auf der Linken werden sich die Gewinne der SPD aus den Verlusten der Grünen speisen.

Einen gravierenden Richtungswechsel lösen solche Stimmenwanderungen jedoch nicht aus. Eine Trendwende wie in Hamburg ist auch jetzt nicht in Sicht. Verfehlt der Wowereit-Senat die Mehrheit, so stehen FDP und PDS als Partner zum Teilen und Herrschen bereit. Die Richtung bleibt die gleiche - „Persil! Nie war es so ergiebig wie heute“.

Symptomatisch ist die Stimmung bei den Mitarbeitern des Innensenators. Der neue SPD-Senator hat - unerwartet und zur Freude des Steuerzahlers - die Führungskräfte seines CDU-Vorgängers im Amt belassen. Das Parteibuch des Ressortchefs spielt keine Rolle, weil sich die Politik nicht ändert. Angehörige des Ministeriums berichten, daß ihre Vorgesetzten nur eine Frage beschäftigt: Welcher Führungsstil ist von Rexrodt zu erwarten? Mit neuen politischen Impulsen wird dagegen nicht gerechnet.

Die vorgezogenen Neuwahlen haben den Fahrplan tüchtig durcheinandergebracht. Wäre die angekündigte Ausdehnung der Schill-Partei bereits erfolgt, so könnten die Karten auch in Berlin neu gemischt werden. Sammelte jemand die breite Schicht der unzufriedenen und unentschlossenen Wähler ein, so entstände eine Mehrheit jenseits des Volksfront-Bündnisses.

Aber der Hamburger Richter hat verständlicherweise den zweiten nicht vor dem ersten Schritt machen wollen. Dabei hätten sich charismatische Persönlichkeiten schnell finden lassen. Viele Berliner - vor allem in den Reihen von CDU und FDP - warten sehnsüchtig auf eine Alternative. Berlin ist schließlich ein genauso heißes Pflaster wie Hamburg. Wer hier die Interessen von Kriminellen und Randgruppen hinter die der fleißigen und ehrlichen Steuerzahler zurückstellt, dem würden auch die Wähler folgen. Doch der Zeitplan verhinderte dies.

Die Hamburg-Wahl hat die deutsche Parteienlandschaft aufgebrochen. Eine rechtsliberale Partei errang auf Anhieb Stimmergebnisse, die sich mit der FPÖ Jörg Haiders messen lassen können. Gleichzeitig reißen CDU und FDP die gedankliche Mauer ein, die alle isoliert, die einen Millimeter rechts von der CDU stehen.

Dagegen droht die Berlin-Wahl zum letzten Scheingefecht des alten Parteiensystems zu werden. Die Etablierten machen es zum letzten Mal unter sich aus. Zu denen gehören längst auch die PDS und die Grünen. Letztere sehen einer weiteren Niederlage entgegen.

Und auch eine Integration der SED-Nachfolger in eine blutrote Senatskoalition vollzieht nur das, was von der politischen Linken heiß ersehnt und lange geplant ist. Wer will dies den SPD-Funktionären versagen. Sie stimmen doch seit langem leise mit dem überein, was die Genossen von der PDS laut aussprechen.

Aber auch wenn dieser Schulterschluß längst beschlossene Sache war, so liegt doch hier die wirkliche Bedeutung der Abgeordnetenhauswahl. Das bürgerliche Lager muß der neuen Volksfront die rote Karte zeigen. Nach dem Wahltag gibt es dann die besten Gründe und ausreichend Zeit, den Neuanfang in Berlin vorzubereiten. 


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