© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Umverteilung
Karl Heinzen

Frank Bsirske wird als Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nun doch nicht mehr als 27.000 Mark im Monat verdienen. Der ursprüngliche Vorschlag des Vorstandes, ihm eine Gehaltssteige­rung von 15.000 auf 30.000 Mark zu konzedieren, wurde vom Gewerkschaftsrat als dem hier zur Entscheidung befugten Gremium schmerzhaft nach unten korrigiert: Mit dem, was Bsirske nunmehr entgeht, können so manche, die ihre Interessen bei Verdi gut aufgehoben wissen, im Monat auskommen.

Wer neugierig war, welches Profil die unter so großen Schwierigkeiten entstandene junge Gewerkschaft in der Öffentlichkeit wohl entwickeln würde, vermag nun bereits erste Konturen wahr­zunehmen. Auch wenn Frank Bsirske nicht leugnet, familiär in der einstigen Arbeiterschaft zu wurzeln, so gibt er doch zu erkennen, daß ihm daran gelegen ist, die romantische Selbstinszenierung dieses Milieus, die in einigen Schwestergewerkschaften noch Usus ist, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ideologie wird von Verdi nicht mehr zu einer Unterscheidung zwischen oben und unten ausgerechnet in der Dienst­leistungsgesellschaft selbstbestimmter Bürger und damit zu einer Vergiftung des Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mißbraucht, sondern lediglich auf solchen Gebieten gezielt zur Gemeinschaftsbildung eingesetzt, die alle Menschen etwas angehen. Als langjähriges engagiertes Mitglied der Grünen ist Bsirske dazu prädestiniert, seiner Gewerkschaft mit all ihren haus­backenen Traditionssträngen so etwas wie den Charme einer Bürgerrechts-NGO einzuhauchen, die als weltgrößte Ein­zelgewerkschaft nun einmal nicht anders kann, als global zu denken.

Bei so viel Überzeugung in den Grund­sätzen kann im ökonomischen Alltag ruhig Pragmatismus an den Tag gelegt wer­den, und dieser gebietet es nun einmal, den eigenen Boß, der mit den eigentlichen Bossen die Basis pazifizierende Verhandlungsergebnisse erzielen soll, so auszustatten, daß er sich selber nicht als Underdog ansehen muß. Die Orientierung an den Werten und Verhal­tensweisen der Wohlhabenden hat für die Unterschichten und ihre Interessenverbände eben ihren Preis, und dieser ist im Fall Bsirske gar nicht so hoch. Wenn man bedenkt, was Menschen in vergleich­baren Positionen draußen in der Unter­nehmenswelt verdienen, ist dem Verdi-Chef sogar Zurückhaltung zu attestie­ren. Vielleicht wird es ihm gelingen, diese dereinst durch zusätzliche, leistungsbezogene Prämien zu kompensieren. Als eine Bezugsgröße wären bei­spielsweise die Einkommenszuwächse der Mitglieder vorstellbar, die Verdi ge­genüber den Arbeitgebern durchsetzen kann.

Der Neid, den unterdrückt zu haben sich die Gewerkschaften auf ihre Fahnen schreiben dürfen, sollte nun nicht in den eigenen Reihen um sich greifen. Die Gehaltserhöhung von Frank Bsirske ist daher eher als ein freundliches Signal aufzufassen: Umverteilungsspiel­räume sind vorhanden - auch nach dem 11.September.


 
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