© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Kolumne
Entstaatlichung
Hans-Helmuth Knütter

Zur Tradition der deutschen Rechten gehört die Wertschätzung des starken Staates. Das Idealbild ist ein parteifreier Staat, getragen von einem korruptionsfreien, effizienten, gebildeten Berufsbeamtentum. Es darf keine Beeinflussung des eigenen Tuns durch persönliche und parteiliche Bindungen und Vorlieben geben. Vielmehr garantiert ein Staatsethos das einheitliche Handeln zum Wohle der Allgemeinheit auf hohem fachlichen und moralischen Niveau. Das war das preußische Staatsideal, dem heute noch viele anhängen.

Die Wirklichkeit ist anders. Wir haben ein Parteibeamtentum, das sich an errungene Pfründen klammert. Es ist nicht staatstragend, sondern staatsgetragen. Das ist eine seit Jahrzehnten im Gange befindliche Entwicklung und nicht einfach zu ändern. Warum nicht? Das preußische Ideal hatte eine längst nicht mehr geltende Voraussetzung, nämlich ein weltanschaulich geschlossenes System. Das Beamtentum war der Loyalität zum Monarchen und dem Bild einer christlichen Obrigkeit verpflichtet, nicht aber der Bevölkerung und den dort vorhandenen Partikularinteressen. Das funktionierte, solange diese Interessen zwar existierten, aber gar nicht oder nur mangelhaft in Parteien und Verbänden organisiert waren. Der im 19. und 20. Jahrhundert entstehende weltanschauliche Pluralismus beeinflußte auch die Staatsverwaltung. Jetzt war ein Beamter nicht mehr „Diener der Gesamtheit“, sondern auch der „eigenen Partei“. Das gab es ansatzweise schon vor 1918, ganz offenkundig (wenn auch nicht zugegeben) dann in der parteienstaatlichen Demokratie.

Heute haben wir den vollendeten Parteienstaat. Alle Versuche, dies zu unterbinden, etwa durch die Wiederbelebung des Ständestaates, sind gescheitert. Deshalb sollten die modernen Konservativen ihre bisherige staatsfreundliche Einstellung überprüfen. Sie hängen einem Ideal an, das mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. Entstaatlichung bedeutet auch, die Omnipotenz der Parteien zu brechen. Was haben die Grünen, die selbst eine Kartellpartei sind, verkündet? „Die innere Verfaßtheit unserer Gesellschaft ist besorgniserregend. Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit driften immer stärker auseinander. Die etablierten Parteien beginnen das Grundgesetz an die schlechte Wirklichkeit in der Bundesrepublik anzupassen“ (Politische Grundsätze, 1993).

Entstaatlichung bedeutet, den Einfluß der Parteienoligarchie zurückzudrängen, wenngleich nicht völlig zu beseitigen. Das zu erreichen und in die politische Praxis umzusetzen, sollte Aufgabe einer nach vorne blickenden Rechten sein.

 

Prof. Dr. Hans-Helmuth Knütter lehrte Politikwissenschaft an der Universität Bonn.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen