© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Vergangenes bleibt unverständlich
Universität Greifswald: Kontroverse um den Namenspatron Ernst Moritz Arndt
Tobias Schmieter

An der Greifswalder Ernst-Moritz-Arndt-Universität versucht eine Minderheit von westdeutschen Professoren eine Namensänderung der Hochschule durchzudrücken. Arndt sei, so behaupten sie, ein Nationalist und Franzosenfresser gewesen, und folglich müsse sich die Universität von ihrem Namenspatron trennen. Doch die Mehrzahl der Hochschuldozenten, die Universitätsleitung und die Studenten sowie auch die Einwohner in Vorpommern stehen zu „ihrem“ Arndt.

Von interessierter Seite war in den vergangenen Jahren wiederholt gegen Arndt und die Greifswalder Universität polemisiert worden. So setzte sich auch die Wochenzeitung Die Zeit in einem großen Beitrag im November 1998 für eine Umbenennung ein.

Ausgangspunkt der diesjährigen Kontroverse war ein „Ernst-Moritz-Arndt-Kolloquium“ an der Greifswalder Hochschule Anfang Juni. Die Organisatoren der Tagung „Ernst-Moritz Arndt - eine kritische Würdigung im Jahr 2001“, Hartmut Lutz und Werner Buchholz, schrieben in der Einleitung: „Ernst Moritz Arndt und sein Werk scheinen heute wenig bekannt zu sein. Es scheint sich auch niemand so recht für ihn zu interessieren. Dennoch steht die Universität Greifswald für ihn, sein geistiges Vermächtnis und sein Werk ein, indem sie seinen Namen trägt.“ Diesen „unbekannten Arndt“ wollten die Veranstalter also vorstellen.

Der polonophile pommersche Landeshistoriker Buchholz, der im Streit um die Ostsee-Akademie volkspädagogische Positionen vertrat , ist auch durch seinen Beitrag im Pommernband der „Deutschen Geschichte im Osten Europas“ (Siedler-Verlag) bekannt geworden; dort behauptet er, das deutsche Hinterpommern sei von einem „bunten Völkergemisch“ besiedelt worden, was schlicht falsch ist (JF 37/01).

Der Rektor der Universität Greifswald, Hans-Robert Metelmann, bat zwar in seiner Begrüßung darum, daß die Kolloquiums-Teilnehmer sich mit der Person Arndt auseinandersetzen, sich aber nicht mit der Namensgebung der Universität beschäftigen. Doch seine Bitte blieb unerhört - das war eigentlich schon vorher klar, denn es war das Ziel der Tagung, sich auch mit der Frage zu beschäftigen, ob sich den die Universitätsangehörigen überhaupt mit dem Namenspatron „identifizieren können“.

Die Professoren Lutz und Buchholz gaben die Antwort rasch: Nein, eine Identifizierung mit Arndt lehnen sie ab, der Name muß weg. Sie behaupten, daß viele Universitätslehrer in Mißachtung einer Weisung von Ex-Rektor Kohler den Namen Ernst Moritz Arndts bereits aus ihrem Briefkopf gestrichen haben sollen. Dies ist allerdings eine unbestätigte Behauptung. Einer der wenigen bekennenden „Streicher“ ist der Professor für Skandinavistik, Walter Baumgartner, weil für ihn Arndt ein mittelmäßiger Heimatdichter ist.

Zu einer offiziellen Forderung an den Senat, sich des Dichters, Patrioten, Kämpfers für die Pressefreiheit, „Franzosenfressers“ zu entledigen, kam es jedoch während des Kolloquiums nach einer mehrstündigen Diskussion nicht. Gegen einen etwaigen „Beschluß“ dieses ohnehin unzuständigen Forums hatte Rektor Metelmann schon sein vorsorgliches Veto eingelegt, da doch nicht zu verkennen war, daß Lutz und Buchholz diese Bühne nutzen wollten, um den öffentlichen Druck zu erhöhen. Aber weder fand sich vor diesem Auditorium für sie eine Mehrheit, noch ist es den beiden westlichen PC-Propagandisten bisher gelungen, in den Gremien der Alma Mater Gryphiswaldensis große Resonanz zu finden.

Neben der Fraktion jener, die ohne Wenn und Aber am Namenspatron festhalten will, hat sich eine Gruppe von „Differenzierern“ Gehör verschafft, die über Arndt, die politische Symbolik seines Namens und die Rezeptionsgeschichte seines Werkes diskutieren und somit den Volkspädagogen Buchholz entgegenkommen wollen, die aber eine Umbenennung als würdelosen Kotau vor dem Zeitgeist ablehnen. „Lest Arndt!“ hielt man aus diesen Reihen den Bilderstürmern entgegen. Für den Archivar Joachim Wächter, kommissarischer Schriftleiter der altehrwürdigen Baltischen Studien, des Organs der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst, steht Arndt für den Kampf gegen napoleonische Fremdherrschaft, Bauernbefreiung und einen demokratischen Antifeudalismus, für den der nachmalige Bonner Professor mit einem zwanzigjährigen Berufsverbot bezahlte.

Lutz und Buchholz sehen hingegen die Glaubwürdigkeit der Universität gefährdet, solange „Rechtsradikale“ bei diesem „widersprüchlichen Mann“ ihren politischen Schlagwortschatz auffüllen könnten. Müsse doch der heutige Leser bei Arndt auf „vieles Widerliches“ gefaßt sein, wie Gunnar Müller-Waldeck entdeckt hat.

Sein Kollege Reinhard Bach unterstütze diese zutiefst ahistorische Polemik mit der üblichen Zitatencollage: Eine „Mauer brennenden Hasses“ habe Arndt gegen die „verbastardisierten Franzosen“ gefordert. Bach machte zum nicht geringen eigenen Entsetzen die Anfänge einer von ihm diagnostizierten „rassistischen Apartheid“ schon in der Habilitationsschrift Arndts aus, der er ansonsten das Niveau einer Büttenrede bescheinigt. Doch man muß Bach entgegenhalten, daß Arndt seine Schriften nicht auf einer friedlichen Insel verfaßte, sondern in einer Epoche, da die Truppen des revolutionären Frankreichs sengend und mordend durch Europa zogen.

Arndts Schriften mögen mitunter blutrünstig sein, doch dann muß man auch bedenken, daß die Jakobiner nicht nur nach Blut riefen, bei ihnen floß es tatsächlich.

Lobenswerterweise riet Universitätsarchivar Dirk Alvermann zur Quellenkritik, was etwa Wortwahl und Darstellungsart jener Zeit betrifft, der Frage nach Hintergründen und stärkerer Differenzierung. Alvermann referierte zur Namensgeschichte der Greifswalder Hochschule, die nach 1648 Königlich schwedische Akademie, ab 1815 Königliche Universität, nach 1918 preußische Universität hieß.

Seit Ende der 1920er Jahre bevorzugte die konservative Professorenmehrheit der Weimarer Republik nationale Identifikationsfiguren als Namenspatrone (z. B. Goethe für Frankfurt/Main 1932; Luther für Halle-Wittenberg 1933). Alvermann geht davon aus, daß der am 7. April 1933 von Stahlhelmführer Walter Glawe eingebrachte Vorschlag, die Alma Mater nach Arndt zu nennen, vorher im Senat diskutiert wurde. Greifswalds Stahlhelm, der größtenteils nicht in der SA aufging, war die Klammer der nationalkonservativen Kräfte. Daß die Universität seit dem 27. Februar 1954 wieder den Namen Arndt führte, sieht Alvermann als Initiative der noch starken nationalkonservativen Kräfte an.

Überraschend ist, wie einheitlich und stark sich Einwohner und Studenten sowie die Mehrzahl der Lehrer für die Namensbeibehaltung aussprechen. Hier werden unterschiedliche Traditionslinien deutlich: Während man in der DDR den Namen Arndt in Ehren hielt, wurde er in den westdeutschen Ländern regelmäßig von linken Publizisten verunglimpft. So versuchte Ende der achtziger Jahre eine Gruppe junger Menschen aus den Reihen der CDU-Jugendorganisation Junge Union das beschmutzte Arndt-Denkmal am Bonner Rheinufer zu säubern. Doch statt Lob erhielten sie nur dumme Kommentare aus der Lokalpresse und auch aus den Reihen der Union. Der Tenor lautete: Arndt ist ein nationalistischer Schriftsteller, um sein Denkmal sollte man sich deshalb nicht kümmern. Zur gleichen Zeit achtete man in der damaligen DDR das Andenken an den Historiker und Paulskirchenabgeordneten Arndt: Es gab in vielen Städten eine Arndt-Straße, Schulen und die Greifswalder Universität trugen seinen Namen, und es gab auch das Mot. Schützen-Regiment „Ernst Moritz Arndt“ auf Rügen.

Die Greifswalder halten westdeutschen Arndt-Kritikern entgegen, warum sie überhaupt vor drei oder fünf Jahr nach Greifswald gekommen seien, wenn sie der Name so störe. War es das Monatsgehalt von 14.000 Mark, daß sie zu diesem Wechsel bewogen hatte und sie damals schweigen ließ?

Die Hoffnung, daß mit dem Ende des Kolloquiums wieder Ruhe an der Universität einkehren würde, erwies sich als falsch. Denn in einer öffentlichen Stellungnahme heizte Lutz die Stimmung weiter an. Er wiederholte die bekannten Vorwürfe und schlußfolgerte: „Gegenüber jüdischen Mitbürgern, gegenüber unseren polnischen und französischen Nachbarn ist die Beibehaltung des Namens schlicht beleidigend. Angesichts der neonazistischen Anfänge um uns herum erscheint eine Namensbeibehaltung politisch fahrlässig.“ Wie Greifswalder Dozenten berichteten, soll Lutz gesagt haben, seine französischen und jüdischen Freunde hätten kein Verständnis für den Namenspatron.


 
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