© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
CD: Deutschrock
Zynisch bis heiter
Holger Stürenburg

In Hamburg, St. Pauli, Fischbek, Neu-Allermöhe und Umgebung gilt der knapp 40jährige Sänger, Liederschreiber und Gitarrist Bernd Begemann, Adoptivsohn eines Landtierarztehepaars aus Bad Salzuflen, als einer der besten Livekünstler. Seine Lieder beschreiben den Irrsinn alltäglicher Situationen, gepaart mit beißender Ironie und konsequent genauer Beobachtungsgabe. Schon 1987 schuf er mit seiner Rockband Die Antwort das romantische Hamburger Heimatlied „Unten am Hafen“ und begründete damit nebenbei die inzwischen bundesweit bekannte, aber auch umstrittene „Hamburger Schule“. Anfang der Neunziger tat er sich mit dem ehemaligen Lindenberg-Gitarristen Karl Allaut zusammen und veröffentlichte zwei Deutschrockalben mit bissig-sentimentalen Texten und Kompositionen zwischen The Clash, New Wave und Surfsound der Sechziger. Seit 1993/94 ist Begemann meist solo unterwegs, tritt bis zu hundertmal pro Jahr auf - nur mit seiner Gitarre, seinen zynischen Sprüchen und ab und zu einem Schlagzeugcomputer. Es sind bereits mehrere Soloalben erschienen, die irgendwo zwischen Wohnzimmer und Hafenklang-Studio aufgenommen wurden und Begemanns Status im Norden Deutschlands festigten. Zwischendurch reaktivierte er seine Band Die Antwort und legt nun sein erstes Solo-Livealbum unter dem Titel „Bernd Begemann - Live“ vor.

Auf diesem finden sich 18 Lieder. Songs wie „Zweimal zweite Wahl“ oder „Fernsehen mit Deiner Schwester“ sind kleine gesungene Theaterstücke, fast Dramen, zwischenmenschliche Dialoge ; obgleich meist aus der Ich-Perspektive vortragend, schlüpft er auch immer wieder in die Rollen anderer. Da sich Begemann als unpolitisch bezeichnet, bleiben Zeigefinger-Belehrungen in seinen Texten aus. Vielmehr werden Beziehungsfragen betrachtet und analysiert, zum Teil mit ironischem Unterton. Es geht um ein Paar, das nur „Gut im Bett“ ist, aber „nirgendwo sonst“, oder um zwei Liebende, die nicht zusammenfinden, weil sie immer „Fernsehen mit Deiner Schwester“ müssen. Der frustrierte Angestellte nimmt sich seinen Chef vor und bekennt: „Ich komme, um zu kündigen“. Der Verstoßene, der eigentlich nicht zu seiner Angebeteten paßt, fühlt sich wie „Ein Fremder in Deiner Wohnung“. Begemann erzählt von Erlebnissen mit einer Anhalterin („Eigentlich wollte ich nicht nach Hannover“ - mit Akustikparodie von Britney Spears’ „Baby, one more Time“!) oder einem One-Night-Stand („Viel zu glücklich, um lange zu bleiben“).

Ab und zu schimmert doch ein politischer Begemann durch. Besonders in der sanft-verklärten „Deutsche(n) Hymne ohne Refrain“, wegen der er von linksliberalen Bedenkenträgern schon mal als „Kryptofaschist“ bezeichnet wurde. Bei weitem nicht so verkopft wie Heinz Rudolf Kunze, mit schlichteren Worten als Manfred Maurenbrecher, bricht der sympathische Zyniker aus Hamburg-Eimsbüttel schon mal das ein oder andere Tabu, zum Beispiel in „Nimm doch noch mehr Drogen“. Immer wieder bekennt sich Begemann zu seiner Wahlheimat Hamburg, singt über „Oh, St. Pauli“, berichtet von der Ex-Prostituierten Gudrun aus diesem Stadtteil, die sich nicht mehr Jasmin nennt und in „in einem Reihenhaus in Fischbek Gardinen wäscht“. In seinen Konzerten, teilweise auch auf dieser CD mitgeschnitten, besticht Begemann mit langen, witzigen, teils selbstparodistischen Ansagen zu seinen Kabinettstückchen, beklagt, daß kaum Teenies zu seinen Konzerten kommen, oder ruft sich schon mal zum „deutschen Robbie Williams“ aus. Viel eher jedoch könnte man ihn und seine Vortragskunst mit dem US-amerikanischen Chefzyniker Randy Newman vergleichen. Wie dieser schafft es Begemann, mit klaren Worten bitterböse, aber immer aufheiternde Geschichten zu erzählen - mit dem Unterschied, daß Begemann seine Verse zur E-Gitarre vorträgt.


 
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