© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Wach auf, Amerika!
Die USA drohen die falschen Konsequenzen zu ziehen
Kai-Alexander Schlevogt

Tief schockiert über ihr postmoder nes Pearl Harbor bekämpft die amerikanische Regierung Symptome. Noch während weltweit für die Opfer der Angriffe auf Amerikas Machtsymbole gebetet wurde, plante die amerikanische Regierung neue Agressionen in Afganistan als „rechtmäßige Verteidigung“ auf dem Boden anderer Völker. Als Staatsterroristen töten sie nun wieder einmal als „Kollateralschaden“ unzählige Zivilisten. Amerika reiht sich so in die von ihr aufgestellten Liste der „Schurkenstaaten“ ein. Die amerikanische Po­litik wird diktiert von einer west­lichen mili­täri­schen Logik, die auf die Zerschlagung des Feindes zielt, anstelle der intelligenten östlichen Kriegs­führung, praktiziert von China, die siegt ohne Schlacht.

Im Hinblick auf das Leiden so vieler Unschuldiger, neuerdings auch auf eigenem Boden, sollte das amerika­nische Volk die Ziele und Vorgehens­weisen seiner Füh­rung grundlegend überden­ken und den Ame­­ri­ka-Haß an den Wurzeln bekämpfen. Die Angriffe auf das Welt­han­dels­zen­trum und Verteidi­gungs­­mi­ni­sterium richte­ten sich ausschließlich gegen Amerika, nicht die „zivilisierte Welt“. Jegliche Attacken in ande­ren Ländern werden danach nur aus ei­ner Verbindung mit Amerika resultie­ren. Deutschland wäre gut beraten, sei­ne Steuerzahler und Soldaten davor zu schützen, den Preis für Amerikas Hybris, Versagen und Abenteuer zu zah­len.

Nach der Eroberung des Balkans wird das alttestamentarische Streben nach Vergeltung außerdem als Tarnkappe genutzt, um in Afghanistan eine geopolitisch wichtige Position auf der eurasischen Landmasse zu gewinnen, von der aus die aufstrebenden Schlüsselnationen Rußland, Indien und China bedroht werden. Denn Amerika plant, der Gewinner im neuen Rennen um Zentralasien zu werden.

Die Feinde Amerikas sehen die Angrif­fe als Bestrafung für die Massenmor­de der Amerikaner auf dem Boden anderer Völker. Durch die Massaker in Dres­den, Hiroshima, Nagasaki, Vietnam, Irak, Jugos­lawien und Afghanistan verbreitert sich die Front der Gegner immer mehr. Im Vietnam­krieg warfen Amerikaner mehr Bomben auf das kleine Laos ab als im ganzen Zweiten Weltkrieg. In Jugoslawien be­nu­tzten sie Nuklearmunition gegen ohnmächtige Zivilisten. Amerika wird als der schlim­mste Aggressor in der moder­nen Welt einge­stuft. Aufgrund seiner Verbrechen kann es andere nicht dafür kritisieren, daß sie den Wert menschlichen Lebens ver­achten.

Die traurige Wahrheit ist, daß die zahlenmäßige Mehrzahl der Weltbevölkerung sich womöglich heimlich über die Schläge gegen Amerika freut. Man braucht nur die Bevölkerungszahl der Araber, Russen, Serben, Chinesen und anderer südostasiatischer Staaten zu­sam­men­zuzählen. Die meisten Menschen verurteilen den expansiven Nationalismus Amerikas, der, in einer Neuauflage der Kreuzzüge und Kolonialherrschaft, Amerikanisie­rung mit Zivilisation gleichsetzt und den Rest der Welt als barbarisch einstuft. Sie verachten den Export des ge­schei­terten amerikanischen Modells. Ver­­antwortliche Eltern möchten ihre Kin­der gegen die Produkte der „letzten besten Hoffnung der Menschheit“ schü­tzen. Ihre Gesellschaft soll nicht von Drogen, Verbrechen und anderen Lastern überzogen werden.

Wenn die USA nun verstärkt nationa­li­stisch agieren, werden sie zerstört werden, wie alle anderen Reiche vor ihnen. Sie werden an einer „imperialen Überdehnung“ zugrunde gehen. Natürlich kann Amerika wie früher Länder zerstören und tausende von unschuldigen Menschen töten. Aber es trifft auf eine wachsende Zahl entschlossener Feinde in der ganzen Welt. Die Angriffe auf die Menschen in Afghanistan, die nur als „Ziele“ gelten, werden ein noch größeres Feuer der Rache entfachen.

Bisher war für Amerika Gewalt leider die einzige Sprache, die es kannte, und ein legitimes Mittel, um seine Interessen durchzusetzen. Dies drängte seine Feinde zu extremen Maßnahmen, da diese mit Worten und Leiden nichts er­reichten. Amerika kann nur unter Verzicht auf Hegemonie Frieden mit den Arabern und anderen unterdrückten Völkern schließen. Ist es denn nicht besser aus Feinden Freunde zu machen, anstatt sie zu töten?

Außerdem wissen wir von fernöstlicher Weisheit, daß nur moralische Führung die Herzen der Menschen gewinnen und Macht auf Dauer sichern kann. Die USA sollten ein respektiertes Mitglied der internatio­nalen Gemeinschaft werden und in der ganzen Welt die aufgeklärten Werte leben, die die puritanischen Vorfahren und demokratischen Gründer pro­pagierten, bevor sie als Tarnung für andere Zwecke mißbraucht wurden. Das Land muß andere politische Modelle und Werte tolerieren lernen anstatt Andersartige zu überrollen. Sonst wird ein Kulturkrieg ausgelöst, den Amerika verlieren wird, da es dem Geist, Opfer­willen und der Dizi­plin seiner Feinde nicht gewachsen ist.

Die Welt braucht idealistische Natio­nen wie die USA, die daran glauben, daß man das Schicksal formen kann als nur zu reagieren und die auf menschliche Besserung zu vertrauen. Amerika sollte in Zukunft weltweit das Leben und die Geis­tes­kräfte fördern anstatt, wie in Afghanistan, zynisch Care-Pakete und Transistorradios auf vorher ausgebomte Zivilisten rieseln zu lassen.

 

Prof. Dr. Kai-Alexander Schlevogt ist internationaler Experte für strategische Studien. Er wurde an der Universität Peking zum ersten permanenten ausländischen Professor Chinas ernannt. Außerdem lehrte er an der Universität Sydney. Zuvor war er Unternehmensberater bei McKinsey & Co. und forschte in Harvard und Oxford.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen