© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Bärbel Bohley
Feigenblatt der Liberalen
von Doris Neujahr

Ein Satz von Bärbel Bohley bleibt in Erinnerung: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ In ihm ist der ganze, kompromißlose Moralismus versammelt, mit dem die DDR-Bürgerrechtler die SED-Führung zur Weißglut brachten. Er enthält aber auch ihre Unfähigkeit zur praktischen Politik, durch die sie 1989 nach kurzer Freudenfeier vom Zentrum an den Rand des Geschehens gerieten.

Bärbel Bohley wurde 1945 in Berlin geboren. Sie studierte an der Kunsthochschule Weißensee und arbeitete als freischaffende Malerin. Der große Bohleysche Familienclan, in den sie einheiratete, war eine bildungsbürgerliche Oase inmitten der DDR. Er geriet ins Visier der Stasi, die mehrere Familienmitglieder zur Ausreise nötigte. Für Bärbel Bohley ist diese Erfahrung bis heute prägend. 1982 gründete sie das Netzwerk „Frauen für den Frieden“. Wegen des „Verdachts auf landesverräterische Nachrichtenübermittlung“ saß sie mehrere Wochen in Untersuchungshaft. Als Künstlerin boykottiert, arbeitete sie in der Keramikwerkstatt von Katja Havemann. Nach der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration im Januar 1988, auf der Bürgerrechtler die SED-Führung mit dem Zitat Rosa Luxemburgs: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ konfrontierten, wurde sie verhaftet und für ein halbes Jahr nach England abgeschoben.

Über ein politisches Programm verfügte sie nicht, der Titel „Mutter der DDR-Revolution“ war eine Medienprojektion. Ihre Stärke lag im Bekennermut, der unter den Bedingungen des geschlossenen Systems zum Politikum wurde. Ausgerechnet die mutigsten DDR-Kritiker konnten sich die wenigsten Chancen ausrechnen, in einem wiedervereinigten Deutschland den Status des Intellektuellen zu behaupten, und wurden daher zu den letzten Verteidigern der DDR. Mit diesem Konzept gerieten Bärbel Bohley und das „Neue Forum“ bei der Volkskammerwahl im März 1990 unter die Räder.

Danach trat sie nur noch als Stasi-Expertin in Erscheinung. Ihr beharrlicher Moralismus trug nun dazu bei, daß innerdeutsche Debatten selten den gesellschaftspolitischen Horizont überschritten, den Erich Mielkes Akten vorgaben. 1996 vereinbarte sie mit Helmut Kohl ein „Bürgerbüro zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur“. Doch erst die Arbeit als EU-Beauftragte für humanitäre Fragen auf dem Balkan verschaffte ihr Erfüllung. Ihre erprobte Respektlosigkeit vor der hohen Politik kommt den Kriegswaisen und Flüchtlingen unmittelbar zugute.

Jetzt hat sie sich in Deutschland zurückgemeldet. Gemeinsam mit dem notorisch unbegabten Schriftsteller Lutz Rathenow unterstützt sie den Wahlkampf der Berliner FDP. Ihre Rechnung ist einfach: SPD und Grüne wollen eine Koalition mit den Stasi-belasteten SED-Nachfolgern, und die CDU ist wegen ihrer Erblast ebenfalls unwählbar. Bleiben also nur die Liberalen. Mit Bärbel Bohley verfügt die als kaltherzig verschrieene Westpartei über ein moralisches Feigenblatt aus dem Osten. Ihren Einstieg in die Politik hatte sie einmal so begründet: „Wir wollten in Offenheit, Klarheit und Solidarität unsere Gesellschaft verändern.“ Heute ist sie bei den aalglatten Yuppies gelandet.


 
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